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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor

Stichwort: Moral, Neuevangelisierung

Kurzinhalt: Heute so weit verbreitete subjektivistische, utilitaristische und relativistische Tendenzen treten nicht einfach als pragmatische Positionen mit Gewohnheitscharakter auf, sondern unter theoretischem Gesichtspunkt als feste Konzeptionen ...

Textausschnitt: Moral und Neuevangelisierung

106. Die Evangelisierung ist die stärkste und aufregendste Herausforderung, der sich die Kirche von ihren Anfängen an zu stellen hat. Tatsächlich entstammt diese Herausforderung nicht so sehr den gesellschaftlichen und kulturellen Situationen, mit denen die Kirche sich im Laufe der Geschichte auseinandergesetzt hat, als vielmehr dem Auftrag des auferstandenen Jesus Christus, der den eigentlichen Grund für die Existenz der Kirche bestimmt: "Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!" (Mk 16,15). (Fs)

Was wir jedoch derzeit, wenigstens bei zahlreichen Völkern, erleben, ist eigentlich eine außerordentliche Herausforderung an die "Neu-Evangelisierung", das heißt an die Verkündigung des immer neuen und immer Neues vermittelnden Evangeliums, eine Evangelisierung, die neu sein muß, "neu in ihrem Eifer, neu in ihren Methoden und neu in ihren Aussageweisen". 1Die Entchristlichung, die auf ganzen Völkern und Gemeinschaften lastet, die einst von Glauben und christlichem Leben erfüllt waren, zieht nicht nur den Verlust des Glaubens oder zumindest seine Bedeutungslosigkeit für das Leben nach sich, sondern notgedrungen auch einen Verfall oder eine Trübung des sittlichen Empfindens: und das zum einen wegen des fehlenden Sinns für die Ursprünglichkeit der Moral des Evangliums, zum anderen wegen der Verdunkelung fundamentaler sittlicher Grundsätze und Werte. Heute so weit verbreitete subjektivistische, utilitaristische und relativistische Tendenzen treten nicht einfach als pragmatische Positionen mit Gewohnheitscharakter auf, sondern unter theoretischem Gesichtspunkt als feste Konzeptionen, die ihre volle ku1turelle und gesellschaftliche Legitimität beanspruchen. (Fs)

107. Die Evangelisierung - und damit die "Neuevangelisierung" - schließt auch die Verkündigung und das Anbieten einer Moral ein. Jesus selbst hat, als er das Reich Gottes und seine rettende Liebe verkündete, zum Glauben und zur Umkehr aufgerufen (vgl. Mk 1,15). Und mit den anderen Aposteln spricht Petrus, als er die Auferstehung des Jesus von Nazaret von den Toten verkündet, von einem neuen Leben, das es zu leben, von einem "Weg", dem es zu folgen gilt, um Jünger des Auferstandenen zu sein (vgl. Apg 2,37-41; 3,17-20). (Fs)

Wie im Falle der Glaubenswahrheiten, ja in noch höherem Maße, bekundet eine Neuevangelisierung, die Grundlagen und Inhalte der christlichen Moral darlegt, ihre Authentizität und verströmt gleichzeitig ihre ganze missionarische Kraft, wenn sie sich durch das Geschenk nicht nur des verkündeten, sondern auch des gelebten Wortes vollzieht. Insbesondere ist es das Leben in Heiligkeit, das in so vielen demütigen und oft vor den Blicken der Menschen verborgenen Gliedern des Volkes Gottes erstrahlt, was den schlichtesten und faszinierendsten Weg darstellt, auf dem man unmittelbar die Schönheit der Wahrheit, die befreiende Kraft der Liebe Gottes, den Wert der unbedingten Treue, selbst unter schwierigsten Umständen, angesichts aller Forderungen des Gesetzes des Herrn wahrzunehmen vermag. Darum hat die Kirche in ihrer weisen Moralpädagogik stets die Glaubenden eingeladen, in den heiligen Männern und Frauen und zuallererst in der Jungfrau und Gottesmutter, die "voll der Gnade" und "ganz heilig" ist, das Vorbild, die Kraft und die Freude zu suchen und zu finden, um ein Leben gemäß den Geboten Gottes und den Seligpreisungen des Evangeliums zu führen. (Fs)

Das Leben der Heiligen - es ist Spiegelbild der Güte Gottes, der "a llein der Gute ist" - stellt nicht nur ein echtes Glaubensbekenntnis und einen Impuls für seine Mitteilung an die anderen dar, sondern auch eine Verherrlichung Gottes und seiner unendlichen Heiligkeit. Das heiligmäßige Leben führt so zur Vollendung in Wort und Tat des einen und dreifachen Amtes, des munus propheticum, sacerdotale et regale, das jeder Christ bei der Wiedergeburt in der Taufe äus Wasser und Geist" (Joh 3,5) als Geschenk empfängt. Das sittliche Leben besitzt den Wert eines "Gottesdienstes" (Röm 12,1; vgl. Phil 3,3), der aus jener unerschöpflichen Quelle von Heiligkeit und Verherrlichung Gottes gespeist wird, die die Sakramente, insbesondere die Eucharistie, sind: Denn durch die Teilnahme am Kreuzesopfer hat der Christ Gemeinschaft mit der Opferliebe Christi und wird dazu befähigt und verpflichtet, dieselbe Liebe in allen seinen Lebenshaltungen und Verhaltensweisen zu leben. In der sittlichen Existenz offenbart und verwirklichtsich auch der königliche Dienst des Christen: Je mehr er mit Hilfe der Gnade dem neuen Gesetz des Heiligen Geistes gehorcht, desto mehr wächst er in der Freiheit, zu der er im Dienst der Wahrheit, der Liebe und der Gerechtigkeit berufen ist. (Fs)

108. Am Ursprung der neuen Evangelisierung und des neuen sittlichen Lebens, das sie in ihren Früchten der Heiligkeit und des missionarischen Engagements darlegt und weckt, steht der Geist Christi, Prinzip und Kraft der Fruchtbarkeit der heiligen Mutter Kirche, wie uns Paul VI. in Erinnerung bringt: "Ohne Wirken des Heiligen Geistes wird die Evangelisierung niemals möglich sein".2 Dem Geist Jesu, der vom demütigen und bereiten Herzen des Glaubenden aufgenommen wird, ist also das Erblühen und Gedeihen des sittlichen Lebens des Christen und das Zeugnis der Heiligkeit in der großen Vielfalt der Berufungen, der Gaben, der Verantwortlichkeiten und der Lebensbedingungen und -situationen zu verdanken: es ist der Heilige Geist - betonte bereits Novitian und brachte damit den authentischen Glauben der Kirche zum Ausdruck - "der den Jüngern in Herz und Geist Festigkeit verliehen hat, der ihnen die Geheimnisse des Evangeliums erschlossen hat, der ihnen Erleuchtung für die göttlichen Dinge gegeben hat; von ihm haben sie Stärkung erfahren, so daß sie weder vor Gefängnissen noch vor Ketten um des Namens des Herrn willen mehr Angst hatten; ja sie treten auf eben diese Mächte und Leiden der Erde, bewaffnet und gestärkt durch ihn; in sich tragen sie die Gaben, die eben dieser Geist spendet und der Kirche, der Braut Christi, als wertvollen Schmuck weitergibt. In der Tat ist er es, der in der Kirche Propheten erweckt, die Lehrer anleitet, die Zungen lenkt, Zeichen und Heilungen vollbringt, wunderbare Werke hervorbringt, die Unterscheidung der Geister ermöglicht, jede andere Geistesgabe zuteilt und ordnet und somit durch alles und in allem die Kirche des Herrn auf vollendete Weise zur Vollkommenheit führt".3

Im lebendigen Zusammenhang dieser Neuevangelisierung, die "den Glauben, der in der Liebe wirksam ist" (Gal 5,6), hervorbringen und fördern soll, und im Blick auf das Wirken des Heiligen Geistes können wir jetzt begreifen, welcher Platz in der Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen ist, der Reflexion über das sittliche Leben gebührt, wie es die Theologie in Gang bringen und entwickeln muß, ebenso wie wir nun den Auftrag und die eigentliche Verantwortung der Moraltheologen darlegen können. (Fs)

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