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Autor: Dawson, Christopher

Buch: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Titel: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Stichwort: Dawson: sein Geschichtsbild; 4 Zeitalter: primitiven Kultur, archaische Zivilisation, Weltreligionen, abendländische Wissenschaften


Ursachen für die Veränderung in der Weltanschauung;

Kurzinhalt: Laut Dawson gibt es vier große Zeitalter in der Entwicklung der Menschheit, deren jedes durch eine andere Auffassung des Universums gekennzeichnet ist... Die Veränderungen, die das vierte große Zeitalter der Weltgeschichte herbeiführte, hatten ihre ...

Textausschnitt: 402a Obwohl Dawson die Möglichkeit ausdrücklich geleugnet hat, derzeit eine die ganze Welt umfassende Geschichte zu schreiben1, die allen kulturellen Traditionen gerecht würde, enthält sein gesamtes Werk doch eine Auffassung über die Entwickung der Weltgeschichte, die, unserer Meinung nach, hier am Schluß des vorliegenden Bandes dargelegt werden sollte. (Fs)

Dawsons Auffassung über die Bewegung der Weltgeschichte kreist um die großen Veränderungen, die in dem Weltbild des Menschen vorgegangen sind und die ihren Ausdruck in dem Leben bestimmter Gesellschaften und Kulturen gefunden haben. (Fs)

402b Laut Dawson gibt es vier große Zeitalter in der Entwicklung der Menschheit, deren jedes durch eine andere Auffassung des Universums gekennzeichnet ist. Die erste Stufe ist die der primitiven Kultur, die zweite die der Entstehung der archaischen Zivilisation in Ägypten, Mesopotamien und Kleinasien, die dritte die der Entstehung und Verbreitung der Weltreligionen und die vierte die der Entstehung der Wissenschaften in der abendländischen Zivilisation. Diese vierte Stufe ist, nach Dawsons Anschauung, eng mit der christlichen Auffassung vom Menschen und dem Weltall verbunden. (Fs)

402c Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Stufe der Weltgeschichte ist der zwischen dem durch keinerlei Denken beschwerten Weltbild der primitiven Sammler und Jäger und dem der Kenntnis der Naturgesetze, die die Grundlage der archaischen Kultur bildete. Über dieses Zusammenwirken des Menschen mit den Naturgesetzen, das zu der Entwicklung des fortgeschrittenen Ackerbaues, der Verarbeitung der Metalle und der Entstehung der Schrift und des Kalenders geführt hat, schreibt Dawson:

"Es bestimmte jahrtausendelang den Fortschritt der Zivilisation und hörte erst mit der Entstehung einer Weltanschauung auf, die im 6. und 5. Jahrhundert, dem Zeitalter der jüdischen Propheten und griechischen Philosophen, Buddhas und Konfuzius', die Alte Welt zu verwandeln begann - einem Zeitalter, in dem sich der Anbruch einer neuen Welt ankündigt2."

403a Welche Ursachen führten zu der Veränderung der Weltanschauung, die den Übergang von dem zweiten zum dritten großen Zeitalter der Weltgeschichte bezeichnet? Eine davon waren die Grenzen der archaischen Zivilisation selbst. Durch ihr Zusammenwirken mit den Vorgängen der Natur hatte sie einen ungeheuren äußeren Fortschritt bewirkt, "vielleicht im Verhältnis den größten, den die Welt je erlebt hat", sagt Dawson. Trotzdem "war jede Kultur mit einer absolut feststehenden Form verbunden, von der sie sich nicht loslösen ließ. Aber als sie ihre inneren Kräfte erkannt hatte, wurde sie stationär und unfortschrittlich3". Das führte zu einer so vollständigen Identifizierung der Religion mit der Sozialordnung, daß sowohl die Religion wie die Kultur behindert wurden; jene verlor ihren geistigen Charakter und diese wurde durch die Fesseln der religiösen Überlieferung so eingeengt, "daß der Sozialorganismus so starr und leblos wurde wie eine Mumie"4. Gegen diese Starrheit der archaischen Religionkulturen und die Leugnung des transzendenten Charakters der geistigen Wirklichkeit lehnten sich die großen Weltreligionen auf. (Fs) (notabene)

403b Aber in ihrem Bestreben, die Unabhängigkeit des Geistes von der äußeren Ordnung zu betonen, irrten die Weltreligionen oft nach der entgegengesetzten Richtung ab, indem sie Lehren aufstellten, die der Religion als sozialer Macht ebenso abträglich waren. Durch ihre Verurteilung der Materie und des Leibes, ihre Flucht vor der Natur und der Welt der Sinne, ihre Leugnung der Wirklichkeit der Welt und des Wertes der Sozialordnung führten die neuen Religionen zu einer Schwächung, wenn nicht Zerstörung der Brücke, die die archaische Zivilisation zwischen Religion und Kultur erbaut hatte. Ja, die äußere Zivilisation des Ostens verdankte ihren Fortbestand im Grunde größtenteils dem Weiterleben der Traditionen der archaischen Naturreligionen. Dawson schreibt über die Wirkungen der neuen Weltreligionen auf den äußeren Fortschritt:

"Die großen Leistungen der neuen Kultur liegen auf dem Gebiet der Literatur und Kunst. Aber vom äußeren Standpunkt aus ist es mehr ein Ausbreiten als ein Fortschritt. Die neue Kultur gab einfach dem Material, das sie von der archaischen Zivilisation übernommen hatte, eine neue Form und einen neuen Inhalt. In allen wesentlichen Dingen hatte Babylonien zur Zeit Hammurabis und sogar schon früher einen Höhepunkt äußerer Zivilisation erreicht, der in Asien seither niemals übertroffen wurde. Nach der Blüte der Kunst im frühen Mittelalter wurden die großen, von der Religion bestimmten Kulturen stationär und sogar dekadent5. (Fs)

404a Die Veränderungen, die das vierte große Zeitalter der Weltgeschichte herbeiführte, hatten ihre Ursprünge im westlichen Europa und lassen sich ohne ein Studium der in diesem Raum entstandenen neuen christlichen Kultur nicht verstehen. Im Gegensatz zu der Spaltung zwischen Religion und Kultur, die in größerem oder geringerem Maß bei den Religionen des Ostens eintrat, war das Christentum infolge seiner Lehre von der Menschwerdung besser geeignet, die einander widerstreitenden Forderungen der geistigen und der äußeren Ordnung miteinander zu versöhnen. Die geistige Welt konnte ihren transzendenten Charakter beibehalten und gleichzeitig die Welt der Menschen mit ihrer dynamischen Kraft durchdringen. Dawson stellt die Wirkungen dieser Tatsache auf die soziale und kulturelle Entwicklung der abendländischen Zivilisation fest:

"Ihr religiöses Ideal war nicht die Verehrung zeitloser und unwandelbarer Vollkommenheit, sondern ein Geist, der danach strebt, sich in der Menschheit zu verkörpern und die Welt zu verändern. Im Abendland erstarrte die geistige Macht nicht in einer geheiligten Sozialordnung, wie es der Staat des Konfuzius in China und das Kastenwesen in Indien waren. Sie hat soziale Freiheit und Autonomie erworben und daher war ihre Tätigkeit nicht auf die religiöse Sphäre beschränkt, sondern übte weitreichende Wirkungen auf alle Seiten des sozialen und intellektuellen Lebens aus6. (Fs)

405a Dawson erkennt, daß das angestrebte Ziel, die Versöhnung der Macht des Geistes und der ihm widerstrebenden Institutionen der zeitlichen Ordnung, zu keiner Zeit der abendländischen Geschichte entsprechend verwirklicht wurde. Trotzdem war sie die treibende Kraft, die hinter den einmaligen Leistungen der abendländischen Kultur stand, und sie hat diese Kultur in der übrigen Welt wie unter ihren eigenen Völkern zu einer verwandelnden Gewalt gemacht. (Fs)

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