Autor: Dawson, Christopher Buch: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte Titel: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte Stichwort: Marx; christliche Geschichtsphilosophie - Marxismus; Klassenkampf - Mysterium des Kreuzes; Herren der Geschichte - spirituelle Menschen; Menschwerdung: Fülle der Zeiten; Erlösung: nicht außerhalb d. Geschichte (Protestantismus)
Kurzinhalt: Die Menschen, die wirklich Geschichte machen, sind nicht an der Oberfläche der Ereignisse zu finden, unter den erfolgreichen Politikern oder den erfolgreichen Revolutionären. Diese sind die Diener der Ereignisse. Ihre Herren sind die spirituellen ... Textausschnitt: 374c Die christliche Geschichtsphilosophie ähnelt dem Marxismus insoferne, als auch sie eine revolutionäre Auffassung von dem Ende des Geschichtsprozesses und eine apokalyptische Auffassung von dem Ende der Geschichte hat. Wie der Marxismus lehnt auch sie den statischen Idealismus der liberalen Tradition und den naiven Optimismus des humanistischen Ethos ab. Aber während die geschichtliche Dialektik des Marxismus vorwiegend materialistisch ist, ist die des Christentums vorwiegend spirituell -- ein Dialog zwischen Gott und dem Menschen --, und das Ende der Geschichte liegt nicht in der Geschichte selbst, sondern es entsteht durch das Hinausheben der Geschichte auf eine Ebene jenseits der Zeit. (Fs; tblStw: Geschichte) (notabene)
375a Überdies findet der christliche Dualismus, da er ein spiritueller ist, seine Lösung nicht im Klassenkampf oder in einem der weltlichen Konflikte der Geschichte, sondern in dem Mysterium des Kreuzes, das die äußeren Werte der Geschichte aufhebt und Sieg und Niederlage einen neuen Sinn verleiht. Die Menschen, die wirklich Geschichte machen, sind nicht an der Oberfläche der Ereignisse zu finden, unter den erfolgreichen Politikern oder den erfolgreichen Revolutionären. Diese sind die Diener der Ereignisse. Ihre Herren sind die spirituellen Menschen, von denen die Welt nichts weiß, die unbeachteten Werkzeuge der schöpferischen Tätigkeit des Geistes. Das höchste Beispiel dafür - der Schlüssel zu der christlichen Geschichtsauffassung - ist die Menschwerdung, die von der Welt unerkannte Gegenwart des Schöpfers der Welt in der Welt. Und obwohl dieses göttliche Eingreifen in den Lauf der Geschichte auf den ersten Anblick der weltlichen Geschichte jeden Sinn zu nehmen scheint, verleiht es ihr in Wirklichkeit zum ersten Mal einen absoluten geistigen Wert. Die Menschwerdung ist selbst in gewissem Sinn die göttliche Frucht der Geschichte - die Fülle der Zeiten - und findet ihre Fortführung und Vollendung in dem geschichtlichen Leben der Kirche. Denn die Erlösung der Menschheit ist nicht, wie der Protestantismus zu behaupten trachtete, eine isolierte, außerhalb der Geschichte stehende Handlung, die von der Menschheit nichts fordert als den rechtfertigenden Akt des Glaubens. Sie ist ein vitaler Prozeß der Wiedergeburt, der sich in der Wirklichkeit einer göttlichen Gemeinschaft verkörpert. Die Entstehung dieser göttlichen Gemeinschaft - die Schaffung einer neuen Menschheit - verleiht dem Geschichtsprozeß jenen absoluten Wert und jenes übernatürliche Ziel, das der Marxismus vergeblich in einem sozialen Glauben an ein Tausendjähriges Reich sucht - ein Glaube, der keine wahre Beziehung zu der materialistischen Lehre hat, auf der er angeblich beruht. (Fs)
(notabene)
376a Daher ist zwischen dem marxistischen Materialismus - selbst in seiner idealistischesten Form - und dem christlichen Glauben an Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde, den Erschaffer und Erlöser der Menschen, den Herrn und Spender des Lebens, keine Aussöhnung möglich. Wo dieser Glaube fehlt, wie es weitgehend in der modernen Welt der Fall ist, dort lebt der Mensch fern der Wirklichkeit; er lebt im Dunkel und seine gesamten verstandesmäßigen und politischen Systeme werden verzerrt und irreal. Das gilt für den Kommunismus, der, mehr als alle anderen geschichtlichen Systeme, versucht hat, seine neue Welt im Dunkel zu erbauen. Daher glaube ich, daß das letzte Urteil über den Kommunismus darin bestehen wird, daß sein für die neue Menschheit erbautes Haus kein Palast, sondern ein Gefängnis sein wird, weil es keine Fenster hat. Denn was der Mensch noch immer braucht und zutiefst ersehnt, ist das Kommen eines "Anbruchs aus der Höhe, zu leuchten denen, die in Finsternis und im Todesschatten sitzen, um unsere Füße zu leiten auf den Weg des Friedens".
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