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Autor: Dawson, Christopher

Buch: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Titel: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Stichwort: Augustinus, Gottesstaat; Geschichte - Naherwartung: Kirchenväter (Tertullian): Origenes: Heilsgeschichte - kosmisches Drama; Eusebius (Konstantin als neuer David)

Kurzinhalt: Aber der Gottesstaat des Origenes ähnelt im Gegensatz zu dem des heiligen Augustinus mehr dem Weltstaat der Stoiker als dem Gottesstaat der jüdischen und christlichen Prophetie. Er fand seine Erfüllung in dem christlichen Reich Konstantins ...

Textausschnitt: 334b Gewiß war Tertullian ein Rigorist, aber in dieser Hinsicht zumindest unterscheidet sich seine Haltung nicht wesentlich von der des heiligen Cyprian oder der ältesten Tradition überhaupt. Im 3. Jahrhundert entstand jedoch eine wachsende Strömung zugunsten engerer Beziehungen der Christen zu der äußeren Welt und ihrer Annahme griechischer Denkweise und Kultur. Sie gipfelte in Origenes' Synthese des Christentums und des Hellenismus, die nicht nur einen tiefgehenden Einfluß auf die Theologie ausübte, sondern auch auf die soziale und politische Haltung der Christen. So schreibt Porphyrius, daß "Origenes zwar seiner Lebensweise nach ein Christ, seinem religiösen Denken nach aber ein Hellene war und insgeheim griechische Lehren in fremde Mythen einschmuggelte". (Fs)

334c Das ist selbstverständlich die Übertreibung einer feindseligen Kritik; trotzdem läßt sich nicht leugnen, daß Origenes' Einstellung zu der Geschichte und der Kosmologie vollständig griechisch ist. Er brach nicht nur vollkommen mit der Tradition des Glaubens an ein Tausendjähriges Reich, sondern auch mit dem konkreten Rationalismus der christlichen Eschatologie und ersetzte sie durch die kosmologischen Spekulationen der spätgriechischen Philosophie. Er faßte das Reich Gottes in einem metaphysischen Sinn als das Reich einer geistigen Wirklichkeit auf - als die übersinnliche und intelligible Welt. Die geschichtlichen Tatsachen der christlichen Offenbarung verloren infolgedessen ihren einmaligen Wert und wurden Symbole höherer immaterieller Wirklichkeiten - eine Art christlicher Mythos. An die Stelle der heiligen Geschichte der Menschheit vom Sündenfall bis zur Erlösung tritt, wie in den gnostischen Systemen, ein großes kosmisches Drama, in dem die himmlischen Geister aus ihrer immateriellen Seligkeit in die Knechtschaft der Materie geraten oder die Gestalt von Dämonen annehmen. Das Heil besteht nicht in der Befreiung des Leibes, sondern in der Befreiung der Seele aus den Fesseln der Materie und aus ihrer allmählichen Rückkehr durch die sieben planetarischen Himmel in ihre ursprüngliche Heimat. Infolgedessen gibt es keine wirkliche Einheit der Menschheit mehr, da sie aus einer Anzahl individueller Geister besteht, die sozusagen infolge ihrer Fehler in einem früheren Daseinszustand Menschen geworden sind. (Fs) (notabene)

335a Gewiß sind diese Gedanken nicht der Mittelpunkt von Origenes' Glauben. Sie finden ihr Gegengewicht in der Rechtgläubigkeit seiner Absicht und in seinem Bestreben, der katholischen Tradition treu zu bleiben. Trotzdem führen sie zwangsläufig zu einer neuen Haltung gegenüber der Kirche und zu einer neuen Anschauung über ihr Verhältnis zu der Menschheit. Die traditionelle Auffassung der Kirche als einer objektiven Gesellschaft, einem neuen Israel und einer Vorstufe des Gottesreiches trat in den Hintergrund zugunsten einer intellektuelleren Auffassung der Kirche als der Lehrmeisterin einer esoterischen Theorie oder Gnosis, die die menschliche Seele aus der Zeit in die Ewigkeit führt. Auch hier ist Origenes der Vertreter der griechisch-orientalischen Ideale, die in den Mysterienreligionen ihren vollen Ausdruck fanden. (Fs) (notabene)

335b Die Folge dieser Abweichung in der Betonung war eine Verringerung des Gegensatzes, der früher zwischen der Kirche und der weltlichen Gesellschaft bestanden hatte. Zum Unterschied von den älteren Kirchenvätern war Origenes völlig bereit, die Möglichkeit einer allgemeinen Bekehrung des Römischen Reiches zum Christentum anzuerkennen und in seiner Schrift gegen Celsus malt er ein leuchtendes Bild der Vorteile, die es genießen würde, wenn es unter dem christlichen Glauben zu einem großen "Gottesstaat" vereint wäre. Aber der Gottesstaat des Origenes ähnelt im Gegensatz zu dem des heiligen Augustinus mehr dem Weltstaat der Stoiker als dem Gottesstaat der jüdischen und christlichen Prophetie. Er fand seine Erfüllung in dem christlichen Reich Konstantins und seiner Nachfolger, wie wir es aus den Schriften Eusebius' von Cäsarea erkennen können, dem größten Vertreter der Anschauungen des Origenes in dem darauffolgenden Zeitalter. (Fs)

336a Eusebius geht in seiner Ablehnung des Chiliasmus und der alten, realistischen Eschatologie weiter als alle anderen Kirchenlehrer. Für ihn findet die Weissagung ihre entsprechende Erfüllung in den geschichtlichen Verhältnissen seiner eigenen Zeit. Das messianische Reich des Propheten Isaias ist das christliche Römische Reich, und Konstantin ist der neue David. Das neue Jerusalem aber, das der heilige Johannes wie eine für ihren Bräutigam geschmückte Braut vom Himmel herabschweben sah, ist für Eusebius nichts anderes als die Erbauung der Grabeskirche auf Konstantins Befehl1. (Fs) (notabene)

336b In einer solchen Haltung ist kein Platz für den alten christlichen und jüdischen sozialen Dualismus. Der Kaiser ist nicht nur der Anführer des christlichen Volkes, sein Reich ist das irdische Gegenstück und Spiegelbild der Herrschaft des Göttlichen Wortes. So wie das Ewige Wort im Himmel herrscht, so herrscht Konstantin auf Erden, indem er sie vom Götzendienst und Irrtum reinigt und die Seelen der Menschen bereitmacht, die Wahrheit zu empfangen. Die Reiche dieser Welt sind zum Reich Gottes und seines Christus geworden und diesseits der Ewigkeit bleibt nichts mehr zu tun übrig2. (Fs)

336c Man kann dies alles nicht nur als Schmeichelei eines Hofprälaten abtun. Das Ideal der Monarchie des Eusebius fußt auf einer großen philosophischen und geschichtlichen Tradition. Es geht einerseits auf die hellenistische Lehre von der Königswürde zurück, wie Dio Chrysostomus sie vertritt, andererseits auf die orientalische Tradition einer heiligen Monarchie, die so alt ist wie die Zivilisation selbst. Sie ist zwar nicht spezifisch christlich und ist völlig unvereinbar mit der streng religiösen Haltung von Männern wie Athanasius, die bereit waren, die Einheit des Reiches einem theologischen Prinzip zum Opfer zu bringen. Aber sie blieb trotzdem letzten Endes siegreich, zumindest im Osten; denn sie findet ihre Erfüllung in der unter der Herrschaft eines orthodoxen Kaisers stehenden unauflöslichen Verbindung von Kirche und Staat in Byzanz. (Fs)

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