Autor: Dawson, Christopher Buch: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte Titel: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte Stichwort: Augustinus, Gottesstaat; Au.: Grundprinzip seiner Soziologie u. Geschichtstheologie; Wurzel des Dualismus (amor sui - Dei); 2 Willenstendenzen -> 2 Leben -> 2 Städte
Kurzinhalt: Hier und nur hier liegt die Wurzel des Dualismus: in der Gegenüberstellung des "natürlichen" Menschen, der für sich lebt und nur nach einem äußeren Glück und einem irdischen Frieden strebt, und des geistigen Menschen, der für Gott lebt ...
Textausschnitt: 345a So ist die Soziologie des heiligen Augustinus auf demselben psychologischen Prinzip aufgebaut, das sein ganzes Denken durchdringt - dem Prinzip der ausschlaggebenden Bedeutung des Willens und der Souveränität der Liebe. Die Macht der Liebe hat für die geistige Welt dieselbe Bedeutung wie die Schwerkraft für die Welt der Physik1. Wohin die Liebe einen Menschen zieht, dorthin muß er gehen und so muß er werden: pondus meum amor meus, eo feror quocumque feror. (Fs)
345b Und obwohl der Mensch scheinbar eine unendliche Zahl von Wünschen hat, lassen sie sich in Wirklichkeit auf einen einzigen reduzieren. Alle Menschen sehnen sich nach dem Glück, alle suchen den Frieden, und alle ihre Begierden und Abneigungen, ihre Hoffnungen und Befürchtungen sind auf dieses letzte Ziel gerichtet. Der einzige wesentliche Unterschied liegt in der Natur des ersehnten Friedens und Glückes; denn gerade infolge seiner geistigen Autonomie hat der Mensch die Fähigkeit, sein eigenes Wohl zu wählen: entweder durch die Unterordnung seines Willens unter die göttliche Ordnung seinen Frieden zu finden, oder alle Dinge in Beziehung zu der Befriedigung seiner eigenen Wünsche zu bringen und sich zum Mittelpunkt seines Universums zu machen - ein "verdunkeltes Bild der göttlichen Allmacht". Hier und nur hier liegt die Wurzel des Dualismus: in der Gegenüberstellung des "natürlichen" Menschen, der für sich lebt und nur nach einem äußeren Glück und einem irdischen Frieden strebt, und des geistigen Menschen, der für Gott lebt und nach einer geistigen Seligkeit und einem Frieden strebt, der von ewiger Dauer ist. Die beiden Willenstendenzen schaffen zwei Arten von Menschen und zwei Typen von Gesellschaften. So kommen wir schließlich zu der großen Verallgemeinerung, auf der das Werk des heiligen Augustinus beruht: "Zwei Leben erbauten zwei Städte - die irdische, die von der Selbstliebe zur Gottesverachtung erbaut wurde, und die himmlische, die von der Gottesliebe zur Selbstverachtung erbaut wurde2." (Fs) (notabene)
346a Aus dieser Verallgemeinerung erwächst die gesamte augustinische Geschichtstheorie, da die beiden Städte durch alle Veränderungen der Zeit hindurch von Anbeginn der Menschheit bestanden und sich vermischt haben und auch auf diese Weise bis zum Ende der Welt fortbestehen werden, wo es ihnen bestimmt ist, beim Jüngsten Gericht voneinander geschieden zu werden3. (Fs)
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