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Autor: Dawson, Christopher

Buch: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Titel: Gestaltungskräfte der Weltgeschichte

Stichwort: Augustinus, Gottesstaat; Afrika; Tertullian; Donatisten; eschatologischer, sozialer Dualismus (Au. vs. Origenes, Eusebius, Athanasius); Tyconius - Au. (apokalyptische Symbole -> philosophische Bedeutung)

Kurzinhalt: Wenn wir den "Gottesstaat" mit den Werken der großen griechischen Apologeten ... vergleichen, fällt uns sofort der Gegensatz seiner Methode auf. Er baut seine Behandlung des Themas ... auf dem eschatologischen und sozialen Dualismus ...

Textausschnitt: 337a Im Abendland aber entwickelte sich die christliche Denkart nach einer völlig anderen Richtung. Zur Zeit, als Origenes eine übersinnlich-spekulative Theologie und eine Philosophie der Religion schuf, konzentrierte sich die abendländische Kirche auf die konkreten Fragen ihres Gemeinschaftslebens. Vom verstandesmäßigen Standpunkt aus scheinen die Polemiken über die Disziplin und Ordnung in der Kirche, die das abendländische Denken beschäftigten, unfruchtbar und uninteressant im Vergleich zu den großen Fragen der Lehre, die im Osten erörtert wurden. Aber vom geschichtlichen Standpunkt aus sind sie der Beweis einer starken sozialen Tradition und eines autonomen und lebendigen Gemeinschaftslebens. (Fs)

337b Diese Tradition war nirgends stärker als in Afrika; ja, in bezug auf ihren literarischen und intellektuellen Ausdruck war Afrika eigentlich der Ursprungsort der abendländischen Tradition. Bei weitem der größte Teil der christlichen Literatur in lateinischer Sprache ist afrikanischer Herkunft; das übrige lateinische Abendland brachte, mit Ausnahme von Ambrosius und Hieronymus, keine Schriftsteller hervor, die sich mit den großen afrikanischen Gelehrten messen können. Daran war zweifellos die Tatsache schuld, daß Afrika einen nationaleren Charakter besaß als alle anderen abendländischen Provinzen. Die alte lybisch-phönizische Bevölkerung war zwar infolge der Überflutung durch die römische Kultur zurückgedrängt worden, aber sie bestand fort, und im späteren Römischen Reich begann sie, gleich den unterworfenen Völkern der östlichen Provinzen, ihre nationale Eigenart neuerlich geltend zu machen. Wie in Syrien und Ägypten fand dieses Wiederaufleben des nationalen Gefühles seinen Ausweg auf religiösem Gebiet. Es brachte zwar keine neue christliche Literatur in der Landessprache hervor wie in Syrien, weil die alte punische Sprache vorwiegend unter den Bauern und den ungebildeten Klassen fortlebte1, aber wenn es sich auch des Lateinischen bediente, war sein Inhalt weitaus origineller und charakteristischer als jener der syrischen und ägyptischen Literatur. (Fs)

338a Das zeigt sich schon in den Werken Tertullians, der vielleicht der originellste Geist war, den die afrikanische Kirche hervorgebracht hat. Neben den Gemeinplätzen Frontos und dem blumenreichen, preziösen Stil des Apulejus ist die Sprache Tertullians gleichzeitig belebend und wuchtig2. Es ist, als trete man aus einem literarischen Salon in die Schrecken eines Gewitters hinaus. Er will nicht den Gegensatz zwischen Kirche und Staat verringern, denn alle seine Hoffnungen sind auf den Untergang der gegenwärtigen Ordnung und auf das Kommen des Reiches der Heiligen gerichtet. Er hat auch keine Sympathien für die versöhnliche Haltung der Schule von Alexandrien gegenüber der griechischen Philosophie. "Was hat Athen mit Jerusalem zu tun?" schreibt er. "Welche Übereinstimmung besteht zwischen der Akademie und der Kirche? Unsere Unterweisung kommt aus dem Vorhof Salomons, der lehrte, daß man den Herrn in der Einfalt des Herzens suchen muß. Fort mit allen Versuchen, aus stoischen, platonischen und dialektischen Zusammenklängen ein buntscheckiges Christentum zu schaffen. Wir brauchen keine wißbegierigen Disputationen, nachdem wir Christus Jesus zum Besitz erhalten haben3."

338b Dieser kompromißlose Geist blieb für die afrikanische Kirche charakteristisch, so daß Karthago zur Antithese Alexandriens in der Entwicklung des christlichen Denkens wurde. Es blieb ein Bollwerk der alten realistischen Eschatologie und des Glaubens an das Tausendjährige Reich, den nicht nur Tertullian, sondern auch Arnobius, Lactantius und Commodian teilten. Besonders die Schriften des letzteren zeigen, wie die apokalyptischen Gedanken der Christen von einem Gefühl der Feindlichkeit gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung und sogar gegen das Römische Reich durchsetzt werden können. In seinen seltsamen, barbarischen Versen, die trotzdem manchmal eine gewisse rauhe Größe besitzen, greift Commodian den Luxus und die Bedrückungsmethoden der Reichen an und frohlockt über das nahende Ende der heidnischen Weltmacht:

"Tollatur imperium, quod fuit inique repletum,
Quod per tributa mala diu macerabat omnes [eg: sic]
Haec quidem gaudebat, sed tota terra gemebat;
Vix tamen advenit illi retributio digna,
Luget in aeternum quae se jactabat aeterna4."

339a Derselbe unversöhnliche Geist zeigt sich in dem Märtyrerkult, der in Afrika besonders unter den niedrigeren Ständen ein außergewöhnlich hohes Maß erreichte. Gebildete Heiden sahen in den Märtyrern die Rivalen und Ersatzgestalten für die alten Götter und betrachteten ihre Verehrung als typisch für den barbarischen antirömischen oder antigriechischen Geist der neuen Religion. Maximus, der alte heidnische Gelehrte von Madaura, beklagte sich dem heiligen Augustinus gegenüber, daß er es nicht ertragen könne zu sehen, wie Römer die Tempel ihrer Vorfahren verließen, um an den Grabstätten von Verbrechern niedriger Abkunft mit gemeinen punischen Namen wie Mygdo, Lucitas und Namphanio und von anderen, mit einer endlosen, von Göttern und Menschen verabscheuten Namenliste ihre Andacht zu verrichten. Er schließt: "Es scheint mir derzeit fast, als habe eine zweite Schlacht von Actium begonnen, in der ägyptische Ungeheuer, denen ein baldiger Untergang bestimmt ist, es wagen, ihre Waffen gegen die Götter der Römer zu erheben5."

340a Im Grunde hatte die Christianisierung des Römischen Reiches den leidenschaftlichen und kompromißlosen Geist des afrikanischen Christentums nicht verändert. Im Gegenteil, der kirchliche Friede war in Afrika nur der Anlaß zu neuen Kämpfen. Die Donatistenbewegung entstand, wie so viele andere Schismen, aus einem örtlichen Streit über die Stellung derjenigen, die unter dem Druck der Verfolgung abgefallen oder in ihrer Treue wankend geworden waren. Aber das Eingreifen des römischen Staates machte aus einer Sache, die vielleicht ein unbedeutendes örtliches Schisma geblieben wäre, eine Bewegung von fast nationaler Bedeutung und stachelte den angeborenen Fanatismus des afrikanischen Geistes auf. Für die Donatisten war die katholische Kirche "die Kirche der Verräter6, die ihr Erstgeburtsrecht verkauft und sich mit den Fürsten dieser Welt zur Ermordung der Heiligen verbündet hatte". Sie selbst erhoben den Anspruch, die echten Vertreter der ruhmreichen Tradition der alten afrikanischen Kirche zu sein, denn auch sie wurden von der Welt verfolgt, auch sie waren eine Märtyrerkirche, der treu gebliebene Rest der Heiligen. (Fs)

340b Die afrikanische Kirche wurde von Christus berufen, um an seinem Leiden teilzunehmen, und die Verfolgung der Donatisten ist der erste Akt in dem endgültigen Kampf der Mächte des Bösen gegen das Reich Gottes. "Sicut enim in Africa factum est", schreibt Tyconius, "ita fieri oportet in toto mundo, revelari Antichristum sicut et nobis ex parte revelatum est." "Ex Africa manifestabitur omnis ecclesia7."

340c Aber die Donatistenbewegung war nicht nur ein geistiger Protest gegen jedes Kompromiß mit der Welt, sie weckte auch alle Kräfte der sozialen Unzufriedenheit und des nationalen Fanatismus. (Fs)
341a Die wilden Bauernscharen der Circumcellionen, die mit ihrem Kampfruf "Deo laudes" das Land durchzogen, waren in erster Linie religiöse Fanatiker, die eine Gelegenheit zum Martyrium suchten. Aber sie waren auch Verteidiger der Armen und Bedrückten; sie zwangen die Gutsbesitzer, ihre Sklaven freizulassen und ihre Schuldner zu enthaften, und wenn sie einen reichen Mann in seinem Wagen begegneten, zwangen sie ihn, seinen Platz seinem Diener zu überlassen, in wörtlicher Erfüllung der Worte des Magnificat: "deposuit potentes de sede et exaltavit humiles". In Wirklichkeit haben wir im Donatismus ein typisches Beispiel der Folgen einer ausschließlichen Betonung der apokalyptischen und weltfeindlichen Aspekte des Christentums, eine Tendenz, die sich später in den Exzessen der Wiedertäufer und einiger puritanischer Sekten wiederholte. (Fs) (notabene)

341b Diese mächtige, selbstsichere und kompromißlose Bewegung übte eine tiefe Wirkung auf das Leben und Denken des heiligen Augustinus aus. Die Lage der Kirche in Afrika war wesentlich verschieden von der in allen anderen Ländern. Die Katholiken waren nicht, wie in so vielen östlichen Provinzen, das herrschende Element in der Gesellschaft oder, wie in anderen Teilen des Abendlandes, die anerkannten Vertreter des neuen Glaubens gegenüber dem Heidentum. Zahlenmäßig waren sie wahrscheinlich den Donatisten gleich, aber geistig waren sie schwächer, da - mit Ausnahme von Optatus von Milevis - die ganze literarische Tradition des afrikanischen Christentums in den Händen der Donatisten lag; ja, in der Zeit vom Ausbruch des Schismas bis zu der des Optatus, einer Spanne von mehr als fünfzig Jahren, hatte es keinen einzigen literarischen Vertreter der katholischen Sache gegeben. (Fs)

341c Daher mußte der heilige Augustinus in den dreißig Jahren seines Kirchenlebens einen ununterbrochenen Kampf führen, nicht nur gegen das Heidentum und die offenen Feinde des Christentums, sondern auch gegen den Fanatismus und den Sektengeist seiner Mitchristen. Die Unterdrückung des Donatistenschismas war das Werk, dem er sein späteres Leben in allererster Linie widmete und naturgemäß beeinflußte es seine Anschauungen über das Wesen der Kirche und ihr Verhältnis zu der weltlichen Macht. Seit der Zeit Konstantins waren die Katholiken mit dem Staat verbündet und bauten hinsichtlich ihres Schutzes und der Niederwerfung der Schismatiker auf die Hilfe des weltlichen Armes. Daher konnte Augustinus nicht mehr an der für den afrikanischen Geist typischen Einstellung feindseliger Unabhängigkeit gegenüber dem Staat festhalten, in der die Donatisten noch immer verharrten. Trotzdem war er ein echter Afrikaner. Ja, man kann sagen, daß er in erster Linie ein Afrikaner und erst in zweiter ein Römer war; denn trotz seiner Loyalität gegenüber dem Römischen Reich hatte er nichts von dem spezifisch römischen Patriotismus an sich, den Ambrosius und Prudentius besaßen. Für ihn war Rom immer "das zweite Babylon"8, das oberste Beispiel menschlichen Stolzes und Ehrgeizes, und er scheint eine bittere Freude daran zu finden, die Verbrechen und Mißgeschicke seiner Geschichte zu berichten9. Dagegen äußert er oft seinen afrikanischen Patriotismus, besonders in seiner Erwiderung auf den Brief des Maximus von Madaura, den ich schon erwähnt habe und in dem er die punische Sprache gegen den Vorwurf der Barbarei verteidigt10. (Fs)

342a Zwar enthält der Geist des heiligen Augustinus nichts Provinzielles, denn er hatte, mehr als jeder andere abendländische Kirchenlehrer, klassische Kultur und insbesondere griechische Denkweise in sich aufgenommen. Aber er blieb trotzdem ein Afrikaner, der letzte und größte Vertreter der Tradition Tertullians und Cyprians, und als er es unternahm, das Christentum gegen die Angriffe der Heiden zu verteidigen, führte er nicht nur ihr Werk, sondern auch ihre Denkweise fort. Wenn wir den "Gottesstaat" mit den Werken der großen griechischen Apologeten, dem "Contra Celsum" des Origenes, dem "Contra Gentes" von Athanasius und dem "Praeparatio Evangelica" von Eusebius vergleichen, fällt uns sofort der Gegensatz seiner Methode auf. Er baut seine Behandlung des Themas nicht auf philosophischen und metaphysischen Argumenten auf, wie es die griechischen Kirchenlehrer getan hatten, sondern auf dem eschatologischen und sozialen Dualismus, der, wie wir gesehen haben, die älteste christliche Lehre kennzeichnete und dem die afrikanische Tradition treu geblieben war. (Fs)

343a Überdies stammt die Form, in der Augustinus diesen Dualismus ausdrückt und die den zentralen und einigenden Gedanken des ganzen Werkes bildet, ebenfalls aus einer afrikanischen Quelle, nämlich von Tyconius, dem originellsten donatistischen Schriftsteller des 4. Jahrhunderts11. Tyconius stellt die afrikanische Tradition in ihrer reinsten und unverfälschtesten Form dar. Er hat nichts mit der klassischen Kultur oder irgendwelchen philosophischen Ideen gemein; seine geistigen Quellen sind rein biblisch und jüdisch. Ja, seine Auslegung der Bibel ist jener der jüdischen Midrasch viel ähnlicher als die übliche Art der patristischen Exegese. Es ist ein Beweis für die Beiderseitigkeit des Geistes des heiligen Augustinus, daß er die dunkle und gewundene originelle Art Tyconius' ebenso schätzen konnte wie die durchsichtig klare, klassische Art Ciceros. Er wurde tief beeinflußt durch Tyconius, nicht nur in seiner Auslegung der Bibel12, sondern auch in seiner Theologie und in seiner Einstellung gegenüber der Geschichte, besonders in seiner zentralen Lehre von den zwei Städten. In seinem Kommentar zur Apokalypse hatte Tyconius geschrieben: "Siehe da, zwei Städte, die Stadt Gottes und die Stadt Satans. Eine davon will der Welt dienen, die andere will dieser Welt entfliehen. Die eine ist betrübt, die andere freut sich; eine entflammt, die andere ist entflammt; eine schlägt, die andere ist geschlagen; die eine, um dadurch gerechtfertigt zu werden, die andere, um das Maß ihrer Missetaten voll zu machen. Und beide streben gemeinsam, die eine, auf daß sie verdammt werde, die andere, auf daß sie gerettet werde13."

344a Dieser Gedanke hatte von Anfang an einen tiefen Eindruck auf das Denken des heiligen Augustinus gemacht. Schon im Jahre 390 in Tagaste beschäftigte er sich damit; im Jahre 400 verwendet er ihn in seiner Abhandlung "De Catechizandis Rudibus" und schließlich macht er ihn im "Gottesstaat" zum Thema seines Hauptwerkes. Aber der Gedanke hatte bei ihm eine tiefere Bedeutung angenommen als bei Tyconius. Für diesen waren die zwei Städte apokalyptische Symbole, die aus der Bilderwelt der Bibel abgeleitet und mit seinen realistischen eschatologischen Ideen verknüpft waren. Für Augustinus hingegen hatten sie eine eigene philosophische Bedeutung angenommen und waren mit einer rationalen soziologischen Theorie verbunden worden. Er lehrte, daß jede Gesellschaft ihr konstituierendes Prinzip in einem gemeinsamen Willen besitzt - einem Willen zum Leben, einem Willen zur Freude und vor allem in einem Willen zum Frieden. Er definiert ein Volk als "eine Vielheit vernunftmäßiger Geschöpfe, die durch die gemeinsame Wertschätzung der Dinge, die sie lieben, zu einer Einheit verbunden werden"14. Um daher zu erkennen, wie ein Volk beschaffen ist, müssen wir die Dinge betrachten, die es liebt. Ist die Gesellschaft in einer Liebe zum Guten verbunden, so wird sie gut sein; sind die Dinge, die sie liebt, schlecht, so wird sie schlecht sein. So ist das Sittengesetz des einzelnen und des sozialen Lebens gleich, denn wir können auf die Stadt wie auf den einzelnen Menschen dasselbe Prinzip anwenden - non faciunt bonos vel malos mores nisi boni vel mali amores. (Fs) (notabene)

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