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Autor: May, Georg

Buch: Die Ökumenismusfalle

Titel: Die Ökumenismusfalle

Stichwort: Luther; Protestantismus, Entstehung; Gerog Witzel (Beifall der Welt; Zustimmung der Gelehrten ...); Anziehungskraft, Interesse

Kurzinhalt: Was die Entstehung des Luthertums und des Kalvinertums angeht, ist zunächst mit irreführenden Legenden aufzuräumen. Es ist falsch, im Protestantismus eine Reformbewegung gegen die Schäden und Mängel der katholischen Kirche zu sehen.

Textausschnitt: III. Die Vorgänge im 16. Jahrhundert

69a Der Protestantismus ist nicht deswegen entstanden, weil seine Urheber neben eine legitime Tradition eine andere ebenso legitime gesetzt, sondern weil sie die Tradition der katholischen Kirche als illegitim verworfen und ihrerseits eine von ihnen als legitim betrachtete begründet haben. Die Alleinberechtigung, die sie der katholischen Kirche absprachen, nahmen sie für ihr Religionswesen in Anspruch. Was die Entstehung des Luthertums und des Kalvinertums angeht, ist zunächst mit irreführenden Legenden aufzuräumen. Es ist falsch, im Protestantismus eine Reformbewegung gegen die Schäden und Mängel der katholischen Kirche zu sehen. Den Neuerern des 16. Jahrhunderts ging es nicht darum, die Einrichtungen und Strukturen der Kirche zu reinigen, sondern sie zu beseitigen. Die zweifellos vorhandenen Mißstände waren lediglich der Anlaß, eine veränderte Lehre zu schaffen, die dem fleischlichen Menschen eingeht. Ihren Anhang rekrutierten die Protestanten am Anfang aus abgefallenen katholischen Christen. Ein besonders wirksames Mittel der Abwerbung bestand darin, die sittlichen Anforderungen, die an Christen zu stellen sind, zu unterbieten. Georg Witzel nennt die Faktoren, die ihn zunächst zum Anschluß an das Luthertum bewogen: der Beifall der Welt, die Zustimmung der Gelehrten, die Neuheit der Sache, der Zustand der Kirche, die Hoffnung auf Reinheit des Christentums1. Bald erkannte er, daß er sich in seinen Erwartungen getäuscht hatte. (Fs)

70a Es ist weiter unmöglich, die Entstehung des Protestantismus lediglich auf ein Mißverstehen der katholischen Lehre zurückzuführen. Gewiß gab es in mancher Hinsicht Unsicherheiten, wie sie aus Theologenmeinungen zu entstehen pflegen. Wer aus den Quellen der Konzilien und des päpstlichen Lehramtes schöpfte, vermochte jedoch in allen wesentlichen Punkten Klarheit zu gewinnen. Die bedeutenden katholischen Theologen des 16. Jahrhunderts legten den Glauben der Kirche in Schriften und bei Gesprächen deutlich dar. Aber die Neuerer setzten ihnen ihre eigenen Vorstellungen entgegen. Wer diese näher prüfte, erkannte sie als unhaltbar. Ein Mann wie Georg Witzel gesteht, er habe des neuen "Evangeliums" wegen seine Heimat verlassen, sich jedoch immer mehr mit dieser Lehre befaßt und sie immer weniger bewährt gefunden. (Fs)

70b Von protestantischer Seite wird sodann die Lage im 16. Jahrhundert meistens so dargestellt, daß sich das "Evangelium" mühelos Bahn gebrochen habe und daß die Menschen sich willig und freudig dem neuen Religionswesen angeschlossen hätten. Diese Sicht der Ereignisse ist mit Gewißheit unzutreffend. Die anfänglichen und teilweise bleibenden "Erfolge" der veränderten Religion beruhen zum größten Teil auf Gründen, die alles andere als schmeichelhaft sind. Zunächst ist es eine unbestrittene Tatsache, daß bequeme und eingängige Parolen die Masse der Menschen immer anziehen. Wie der durchschnittliche Mensch nun einmal ist, entscheidet er sich, vor die Wahl gestellt, einen steilen, steinigen Pfad zu gehen oder eine flache, ebene Straße zu beschreiten, in überwältigender Mehrheit für die zweite Möglichkeit. Es waren gerade nicht die Inhalte des genuinen (lutherischen) Glaubens, welche die Menschen anzogen, sondern die als angenehm empfundenen Auswirkungen und Folgen desselben auf den Gebieten der Sittlichkeit und der Disziplin, die sie dafür einnahmen. Die allermeisten Zeitgenossen verstanden die subtilen Unterschiede zwischen katholischer Lehre und lutherischer Meinung gar nicht. Ihnen vermochten lediglich grobschlächtige Behauptungen die letztere nahezubringen. An der Frage der Wahrheit war ihnen nichts gelegen. Sodann neigen innerlich nicht gefestigte und zu selbständigem Denken unfähige Personen dazu, dem, was neu und "modern" ist, zu folgen. Das Neue gilt als zeitgemäß und fortschrittlich. Die wenigsten Menschen mögen sich nachsagen lassen, sie seien altmodisch oder zurückgeblieben. Die Aufstellungen der Glaubensneuerer hatten den Trend und den Zeitgeist für sich. Die Durchschlagskraft ihrer Bewegung wurde noch dadurch erhöht, daß sie behauptete, sie bringe das Ursprüngliche, das in der "Papstkirche" verschüttet gewesen sei, wieder zur Geltung. Es nimmt nicht wunder, daß viele Zeitgenossen der Agitation und Propaganda erlagen. (Fs)

71a Die sogenannte Reformation war zudem bei den meisten ihrer Anhänger eine Sache des Interesses. Ihre Bestrebungen und Ziele verschafften ihnen irdischen Gewinn und zeitliche Vorteile. Die Landesherren und die Reichsstädte gierten nach dem Besitz der Stifter und Klöster. Sie gedachten, ihre Territorien zu vergrößern und abzurunden sowie ihre finanziellen Verhältnisse zu verbessern. Sie wollten den Klerus besteuern und seine Immunität beseitigen. Die Stände strebten nach Freiheit von den geistlichen Landesherren, denen sie in doppelter Hinsicht untergeben waren. Sie wollten vor allem die geistliche Gerichtsbarkeit abwerfen. Daß sich die Anhänger des Luthertums später der Rückführung zum katholischen Glauben heftig und manchmal gewalttätig widersetzten, ist alles andere als erstaunlich. Gegen weniges wendet sich der Mensch so energisch wie gegen Einschränkungen oder den Verlust des angenehmen und bequemen Lebens sowie gegen die Aufgabe irdischer Vorteile. (Fs)

72a Die meisten protestantischen Autoren neigen zu der Ansicht, die gesamte Bevölkerung oder fast alle Einwohner der Ortschaften und Territorien hätten sich bis zu einem gewissen Zeitpunkt dem Luthertum zugewandt. Den Beweis für diese Behauptung bleiben sie regelmäßig schuldig, denn es fehlen ihnen die Mittel, sie zu beweisen. Vielmehr läßt sich nachweisen oder erschließen, daß es - aller Agitation und Verführung, allem Druck und Zwang zum Trotz - überall Teile der Bevölkerung gab, die dem katholischen Glauben die Treue hielten oder, von den Neuerern enttäuscht, zu ihm zurückfanden. Man kann den Satz wagen: Ohne obrigkeitliche Einwirkung wären keine Stadt und kein Territorium geschlossen protestantisch geworden. Wenn im Laufe der Zeit in den Orten und Gebieten mit protestantischer Obrigkeit die Katholiken verschwanden, dann erklärt sich dies zum überwiegenden Teil aus der Verführung und der Verlockung sowie der Nötigung, dem Druck und dem Terror, die gegen sie ausgeübt wurden, zum geringen Teil aus der Auswanderung, wobei letztere zu den unerforschten Gebieten der Geschichte des 16. Jahrhunderts gehört. Vor allem herrscht bei den protestantischen Autoren das Bestreben vor, die sogenannte Reformation als Erfolg der "Wahrheit" des neuen "Evangeliums" auszugeben, die Ergebnisse der sogenannten Gegenreformation dagegen als Auswirkung von Zwangsmaßnahmen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Durchsetzung der sogenannten Reformation erklärt sich fast vollständig durch Gewalt und Verführung. So gut wie überall wurde der neuen Lehre durch Drohungen und Tumulte, durch Druck und Nötigung Bahn gebrochen. Mit Zwangsmaßnahmen wurden die Menschen von der Kirche und vom Glauben getrennt, und mit Zwangsmaßnahmen wurden sie in den neuen Religionsverband und dessen Lehren hineingezwungen. Was bei den Erwachsenen nicht völlig gelang, das glückte bei den Kindern. Sie wurden durch Unterricht und Unterweisung der Irrlehre zugeführt. Dazu kamen Täuschung und Verführung. Verleitung und Verhetzung sind wirksamer als Druck und Zwang. Die Neuerer gaukelten den Menschen vor, die "Papstkirche" sei vom Evangelium abgefallen, und sie hätten es wieder ans Licht gebracht. Sie behaupteten, das Wesen des Christentums sei bei ihnen gewahrt, in der katholischen Kirche aber entstellt. Die allermeisten Menschen waren nicht imstande, die Aufstellungen der Neuerer zu durchschauen, die Abwehr der protestantischen Verdrehungen drang nicht an ihr Ohr. So beugten sie sich dem obrigkeitlichen Zwang und der Verführung der Prädikanten. (Fs)

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