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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Hebräerbrief: Versöhnungsfest - Kreuz, Opfer Jesu; vernichtende Bilanz der Religionsgeschichte;

Kurzinhalt: Gott gehört alles, dem Menschen aber ist die Freiheit des Ja und des Nein, der Liebe und der Verweigerung, verliehen; das freie Ja der Liebe ist das Einzige, worauf Gott warten muss - die Anbetung und das »Opfer«, das allein Sinn haben kann.

Textausschnitt: b) Das Kreuz als Anbetung und Opfer.

267a Damit ist freilich noch nicht das Ganze gesagt. Wenn man das Neue Testament von Anfang bis Ende liest, wird man die Frage nicht unterdrücken können, ob es nicht doch die Sühnetat Jesu als Opferdarbringung an den Vater schildert, das Kreuz als das Opfer darstellt, das Christus im Gehorsam dem Vater übergibt. In einer Reihe von Texten erscheint es dennoch als die aufsteigende Bewegung von der Menschheit zu Gott, sodass alles wieder aufzutauchen scheint, was wir eben abgewiesen hatten. In der Tat, mit der absteigenden Linie allein kann man den Befund des Neuen Testaments nicht erfassen. Wie aber sollen wir uns dann das Verhältnis der beiden Linien erklären? Müssen wir etwa eine zugunsten der anderen ausschließen? Und wenn wir es tun wollten, welcher Maßstab berechtigte uns dazu? Es ist klar, dass wir nicht so vorgehen können: Damit würden wir schließlich die Willkür unserer eigenen Meinung zum Maßstab des Glaubens erheben. (Fs)

267b Um vorwärts zu kommen, müssen wir unsere Frage ausweiten und uns klarzumachen versuchen, wo der Ausgangspunkt der neutestamentlichen Sinndeutung des Kreuzes liegt. Man muss sich zunächst bewusst werden, dass das Kreuz Jesu den Jüngern fürs Erste als das Ende, als das Scheitern seines Beginnens erschien. Sie hatten geglaubt, in ihm den König gefunden zu haben, der nie mehr gestürzt werden könne, und waren unversehens zu Gefährten eines Hingerichteten geworden. Die Auferstehung gab ihnen zwar die Gewissheit, dass Jesus dennoch König war, aber wozu das Kreuz diente, mussten sie erst langsam verstehen lernen. Das Mittel des Verstehens bot ihnen die Schrift, das heißt das Alte Testament, mit dessen Bildern und Begriffen sie das Geschehene auszulegen sich mühten. So zogen sie auch dessen liturgische Texte und Vorschriften heran, in der Überzeugung, dass alles dort Gemeinte in Jesus erfüllt sei, ja, dass man von ihm her nun umgekehrt erst eigentlich begreifen könne, um was es dort in Wahrheit ging. Auf diese Weise finden wir im Neuen Testament das Kreuz unter anderem auch mit den Gedanken der alt-testamentlichen Kulttheologie erklärt. (Fs)

268a Die konsequenteste Durchführung dieses Bemühens begegnet uns im Brief an die Hebräer, der den Tod Jesu am Kreuz mit Ritus und Theologie des jüdischen Versöhnungsfestes in Beziehung setzt und ihn als das wahre kosmische Versöhnungsfest auslegt. Der Gedankengang des Briefes ließe sich dabei in Kürze etwa so wiedergeben: Alles Opferwesen der Menschheit, alle Versuche, durch Kult und Ritus Gott zu versöhnen, von denen die Welt voll ist, mussten hilfloses Menschenwerk bleiben, weil Gott nicht Stiere und Böcke sucht, oder was immer sonst ihm rituell dargeboten wird. Man kann ganze Hekatomben von Tieren Gott allenthalben auf der Welt opfern; er braucht sie nicht, weil alles das ohnedies ihm gehört und weil dem Herrn des Alls nichts gegeben wird, wenn man solches zu seiner Ehre verbrennt. »Ich nehme den Stier aus deinem Stall nicht an und Böcke aus deinen Hürden. Alles Wild des Waldes ist ja mein Eigentum, der Tiere auf meinen Bergen sind tausend. Die Vögel der Luft sind mir alle bekannt, was im Felde sich regt, gehört mir an. Hätte ich Hunger, dann sagte ich dir's nicht, denn mein ist der Erdkreis und seine Fülle. Genieße ich denn Stierfleisch überhaupt, trinke ich denn das Blut von Böcken? Bringe Gott Danksagung als Opfer dar...«, so sagt ein Gottesspruch des Alten Testaments (Ps 50 [49],9-14). Der Verfasser des Hebräerbriefs stellt sich in die geistige Linie dieses und ähnlicher Texte. Mit noch endgültigerem Nachdruck betont er die Vergeblichkeit des rituellen Bemühens. Gott sucht nicht Stiere und Böcke, sondern den Menschen; das uneingeschränkte Ja des Menschen zu Gott könnte allein die wahre Anbetung sein. Gott gehört alles, dem Menschen aber ist die Freiheit des Ja und des Nein, der Liebe und der Verweigerung, verliehen; das freie Ja der Liebe ist das Einzige, worauf Gott warten muss - die Anbetung und das »Opfer«, das allein Sinn haben kann. Das Ja zu Gott, in dem der Mensch sich selbst zurückgibt an Gott, ist aber nicht durch das Blut von Stieren und Böcken zu ersetzen und zu vertreten. »Was könnte der Mensch als Ersatz für sich selber bieten?« heißt es einmal im Evangelium (Mk 8,3V). Die Antwort kann nur lauten: Es gibt nichts, womit er sich aufwiegen könnte. (Fs) (notabene)

269a Da aber der ganze vorchristliche Kult auf der Idee des Ersatzes, der Vertretung beruht, das zu ersetzen versucht, was unersetzbar ist, musste dieser Kult vergeblich bleiben. Der Hebräerbrief kann im Lichte des Christusglaubens es wagen, diese vernichtende Bilanz der Religionsgeschichte zu ziehen, die auszusprechen in einer Welt voller Opfer als ungeheurer Frevel erscheinen musste. Er kann es wagen, dies völlige Scheitern der Religionen ohne Rückhalt auszusagen, weil er weiß, dass in Christus die Idee des Ersatzes, der Vertretung einen neuen Sinn bekommen hat. Er, der religionsgesetzlich gesehen ein Laie war, kein Amt im Kultdienst Israels innehatte, er war - so sagt es der Text - der einzige wahre Priester der Welt. Sein Tod, der innergeschichtlich gesehen einen völlig profanen Vorgang darstellte - die Hinrichtung eines Mannes, der als politischer Verbrecher verurteilt war -, dieser Tod war in Wirklichkeit die einzige Liturgie der Weltgeschichte, kosmische Liturgie, in der nicht im abgegrenzten Bereich des liturgischen Spiels, im Tempel, sondern in der Öffentlichkeit der Welt Jesus durch den Vorhang des Todes hindurch in den wirklichen Tempel, das heißt vor das Angesicht Gottes selbst, hintrat, um nicht Dinge, Blut von Tieren oder was auch immer, sondern sich selbst darzubringen (Hebr 9,11 ff). (Fs)

269b Achten wir auf diese grundlegende Umkehrung, die zum Kerngedanken des Briefes gehört: Was irdisch betrachtet ein profanes Geschehen war, ist der wahre Kult der Menschheit, denn der ihn vollzog, hat den Raum des liturgischen Spiels durchbrochen und Wahrheit gemacht: Er gab sich selbst. Er nahm den Menschen die Opfersachen aus der Hand und setzte an ihre Stelle die geopferte Persönlichkeit, sein eigenes Ich. Wenn in unserem Text dennoch gesagt wird, Jesus habe durch sein Blut die Versöhnung vollzogen (9,12), so ist dieses Blut nicht wieder als eine sachliche Gabe zu verstehen, als ein quantitativ zu bemessendes Sühnemittel, sondern es ist einfach die Konkretisierung einer Liebe, von der gesagt ist, dass sie bis zum äußersten reicht (Jo 13,1). Es ist Ausdruck der Totalität seiner Hingabe und seines Dienstes; Inbegriff der Tatsache, dass er nicht mehr und nicht weniger bringt als sich selbst. Der Gestus der alles gebenden Liebe, er und er allein war nach dem Hebräerbrief die wirkliche Versöhnung der Welt; deshalb ist die Kreuzesstunde der kosmische Versöhnungstag, das wahre und endgültige Versöhnungsfest. Einen anderen Kult gibt es nicht und einen anderen Priester nicht als den, der ihn vollzog: Jesus Christus. (Fs)

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