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Autor: Ratzinger, Josef

Buch: Einführung in das Christentum

Titel: Einführung in das Christentum

Stichwort: Empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau; Jungfrauengeburt, Religionsgeschichte; Gott-Sohn, Jesus; falsche Verknüpfung: Jungfrauengeburt - Gottessohnschaft Jesu



Kurzinhalt: ... die Empfängnis Jesu bedeutet nicht, dass ein neuer Gott-Sohn entsteht, sondern dass Gott als Sohn in dem Menschen Jesus das Geschöpf Mensch an sich zieht, sodass er selber Mensch »ist«.

Textausschnitt: 1. »Empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau«

255a Die Herkunft Jesu steht im Geheimnis. Zwar wenden die Jerusalemer im Johannesevangelium gegen seine Messianität ein, von ihm wisse man, »woher er ist; wenn aber der Christus kommt, weiß niemand um sein Woher« (Jo 7,27). Aber gleich die folgende Rede Jesu enthüllt, wie unzulänglich dieses ihr vermeintliches Wissen um Jesu Herkunft ist: »Ich komme nicht von mir selber her, sondern der Wahrhafte ist es, der mich gesandt hat, und ihn kennt ihr nicht« (7,28). Gewiss, Jesus stammt aus Nazareth. Aber was weiß man schon um sein wahres Woher, wenn man den geographischen Ort angeben kann, von dem er kommt? Das Johannesevangelium betont immer wieder, dass die wirkliche Herkunft Jesu »der Vater« ist, dass er totaler und anders von ihm herkommt als jeder Gottesgesandte zuvor. (Fs)

255b Dieses Herkommen Jesu aus dem Geheimnis Gottes, »das niemand weiß«, schildern die so genannten Kindheitsgeschichten des Matthäus- und des Lukasevangeliums, nicht um es aufzuheben, sondern um es gerade als Geheimnis zu bestätigen. Beide Evangelisten, besonders aber Lukas, erzählen den Anfang der Geschichte Jesu fast ganz in Worten des Alten Testaments, um so von innen her das, was sich hier zuträgt, als Erfüllung der Hoffnung Israels auszuweisen und es einzuordnen in den Zusammenhang der ganzen Bundesgeschichte Gottes mit den Menschen. Das Wort, mit dem der Engel bei Lukas die Jungfrau anspricht, lehnt sich eng an den Gruß an, mit dem der Prophet Sophonias das gerettete Jerusalem der Endzeit grüßt (Soph 3,14 ff1), und es nimmt zugleich die Segensworte auf, mit denen man die großen Frauen Israels gepriesen hatte (Ri 5,24; Jdt 13,18 f). So wird Maria als der heilige Rest Israels, als das wahre Sion gekennzeichnet, auf das sich in den Verwüstungen der Geschichte die Hoffnungen gerichtet hatten. Mit ihr beginnt nach dem Text des Lukas das neue Israel, nein: es beginnt nicht bloß mit ihr, sie ist es, die heile »Tochter Sion«, in der Gott den neuen Beginn setzt2.

256a Nicht weniger gefüllt ist das zentrale Verheißungswort: »Heiliger Geist wird auf dich herabkommen und Kraft des Höchsten dich überschatten. Darum wird, was aus dir geboren wird, heilig genannt werden: Sohn Gottes« (Lk 1,35). Über die Bundesgeschichte Israels hinaus wird hier der Blick auf die Schöpfung geweitet: Der Geist Gottes ist im Alten Testament Gottes Schöpfungsmacht; er ist es, der am Beginn über den Wassern schwebte und Chaos zu Kosmos gestaltete (Gn 1,2); wenn er gesandt wird, werden die lebendigen Wesen geschaffen (Ps 104 [1O3],3O). So ist, was hier an Maria geschehen soll, neue Schöpfung: Der Gott, der aus dem Nichts das Sein rief, setzt inmitten der Menschheit einen neuen Anfang; sein Wort wird Fleisch. Das andere Bild unseres Textes - die »Überschattung mit der Kraft des Höchsten« - verweist auf den Tempel Israels und auf das heilige Zelt in der Wüste, wo sich Gottes Gegenwart in der Wolke anzeigte, die seine Herrlichkeit ebenso verbirgt wie offenbart (Ex 40,34; 3 Kg 8,11). Wie Maria vorher als das neue Israel, als die wahre »Tochter Sion« geschildert worden war, so erscheint sie nun als der Tempel, auf den sich die Wolke herabsenkt, in der Gott mitten in die Geschichte eintritt. Wer sich Gott zur Verfügung stellt, verschwindet mit ihm in der Wolke, in der Vergessenheit und Unansehnlichkeit, und wird gerade so seiner Herrlichkeit teilhaftig. (Fs) (notabene)

257a Die Geburt Jesu aus der Jungfrau, von der solchermaßen in den Evangelien berichtet wird, ist den Aufklärern aller Art nicht erst seit gestern ein Dorn im Auge. Quellenscheidungen sollen das neutestamentliche Zeugnis minimalisieren, der Hinweis auf das unhistorische Denken der Alten soll es ins Symbolische abschieben und die Einordnung in die Religionsgeschichte es als Variante eines Mythos ausweisen. Der Mythos von der wunderbaren Geburt des Retterkindes ist in der Tat weltweit verbreitet. Eine Menschheitssehnsucht spricht sich in ihm aus: die Sehnsucht nach dem Herben und Reinen, das die unberührte Jungfrau verkörpert; die Sehnsucht nach dem wahrhaft Mütterlichen, Bergenden, Reifen und Gütigen und endlich die Hoffnung, die immer wieder aufsteht, wo ein Mensch geboren wird - die Hoffnung und Freude, die ein Kind bedeutet. Man wird es als wahrscheinlich ansehen dürfen, dass auch Israel Mythen dieser Art gekannt hat; Jes 7,14 (»Siehe, die Jungfrau wird empfangen ...«) könnte durchaus sich als Aufgreifen einer solchen Erwartung erklären, auch wenn aus dem Wortlaut dieses Textes nicht ohne weiteres hervorgeht, dass dabei an eine Jungfrau im strengen Sinne gedacht ist. Wenn der Text von solchen Ursprüngen her zu verstehen wäre, würde das heißen, dass auf diesem Umweg das Neue Testament die verworrenen Hoffnungen der Menschheit auf die Jungfrau-Mutter aufgenommen hätte; einfach bedeutungslos ist ein solches Urmotiv der menschlichen Geschichte sicher nicht. (Fs)

257b Gleichzeitig ist aber völlig klar, dass die unmittelbaren Anknüpfungspunkte der neutestamentlichen Berichte von der Geburt Jesu aus der Jungfrau Maria nicht im religionsgeschichtlichen Raum, sondern in der alttestamentlichen Bibel liegen. Die außerbiblischen Erzählungen dieser Art sind tief gehend durch ihr Vokabular und durch ihre Anschauungsformen von der Geburtsgeschichte Jesu unterschieden; der zentrale Gegensatz besteht darin, dass in den heidnischen Texten fast immer die Gottheit als befruchtende, zeugende Macht, also unter einem mehr oder weniger geschlechtlichen Aspekt und von da aus in einem physischen Sinne als der »Vater« des Retterkindes erscheint. Nichts davon ist, wie wir sahen, im Neuen Testament der Fall:

259a An alledem ändern auch zwei Ausdrücke nichts, die den Unkundigen allerdings leicht irreführen können. Wird denn nicht im lukanischen Bericht im Zusammenhang mit der Verheißung der wunderbaren Empfängnis gesagt, das Geborene werde »heilig geheißen werden, Sohn Gottes« (Lk 1,35)? Wird hier also nicht doch Gottessohnschaft und Jungfrauengeburt verkoppelt und damit der Weg des Mythos beschritten? Und was die kirchliche Theologie angeht: Spricht sie nicht andauernd von der »physischen« Gottessohnschaft Jesu, und enthüllt sie nicht damit doch ihren mythischen Hintergrund? Beginnen wir vom Letzteren her. Ohne Zweifel: die Formel von der »physischen« Gottessohnschaft Jesu ist höchst unglücklich und missverständlich; sie zeigt, dass es der Theologie in fast zweitausend Jahren noch immer nicht gelungen ist, ihre Begriffssprache von den Eierschalen ihrer hellenistischen Herkunft zu befreien. »Physisch« ist hier im Sinne des antiken Begriffs der Physis, also der Natur, besser: des Wesens, gemeint. Es besagt das dem Wesen Zugehörige. »Physische Sohnschaft« bedeutet also, dass Jesus dem Sein und nicht bloß dem Bewusstsein nach von Gott ist; das Wort drückt mithin den Gegensatz zur Vorstellung der bloßen Adoption Jesu durch Gott aus. Selbstverständlich ist das Sein-von-Gott, das mit dem Wort »physisch« angedeutet werden soll, nicht biologisch-generativ, sondern auf der Ebene des göttlichen Seins und seiner Ewigkeit gemeint. Es will sagen, dass in Jesus derjenige Menschennatur angenommen hat, der von Ewigkeit her der dreifach-einen Relation der göttlichen Liebe »physisch« (= wirklich, dem Sein nach) zugehört. (Fs)

259b Was soll man aber sagen, wenn ein so verdienstvoller Forscher wie E. Schweizer sich zu unserer Frage folgendermaßen äußert: »Da Lukas an der biologischen Frage nicht interessiert ist, ist die Grenze zu einem metaphysischen Verständnis hin auch bei ihm nicht überschritten«1? An diesem Satz ist so ziemlich alles falsch. Das Verblüffendste daran ist die stillschweigende Gleichsetzung von Biologie und Metaphysik, die darin vorgenommen wird. Die metaphysische (seinsmäßige) Gottessohnschaft wird allem Anschein nach als biologische Abstammung missdeutet und damit in ihrem Sinn völlig auf den Kopf gestellt: Sie ist, wie wir sahen, gerade die nachdrückliche Abwehr einer biologischen Auffassung der Herkunft Jesu von Gott. Es kann einen freilich etwas betrübt stimmen, dass man eigens sagen muss, dass die Ebene der Metaphysik nicht diejenige der Biologie ist. Die kirchliche Lehre von der Gottessohnschaft Jesu liegt nicht in der Verlängerung der Geschichte der Jungfrauengeburt, sondern in der Verlängerung des Dialogs Abba-Sohn und der Relation des Wortes und der Liebe, die wir darin eröffnet fanden. Ihr Seinsgedanke gehört nicht der biologischen Ebene zu, sondern dem »Ich-bin's« des Johannesevangeliums, das darin, wie wir sahen, bereits die ganze Radikalität des Sohnesgedankens entfaltet hat - eine Radikalität, die viel umfassender und weitreichender ist als die biologischen Gottmensch-Ideen des Mythos. All dies haben wir schon früher ausgiebig bedacht; es sollte hier nochmals in Erinnerung gerufen werden, weil sich der Eindruck aufdrängt, dass die heutige Aversion gegen die Botschaft von der Jungfrauengeburt wie gegen das volle Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu auf einem gründlichen Missverständnis beider beruht und auf der falschen Verknüpfung miteinander, in der man sie weithin zu sehen scheint. (Fs)


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