Autor: Amerio, Romano Buch: Iota Unum Titel: Iota Unum Stichwort: Schule; die Pädagogik der Neuerer, Irrwege; drei Hauptpunkte der katholischen P. (metaphysich, axiologisch, gnoseologisch); Wahrheit: übersteigt Lehrer und Schüler
Kurzinhalt: Es bleibt also ganz und gar ausgeschlossen, daß Didaktik Autodidaxie und Erziehung Selbsterziehung sei, ebenso wie es nach metaphysischem Prinzip ausgeschlossen ist, daß ein In-Potenz-Seiendes sich selbst aktuiert. Der hl. Thomas von Aquin faßt es ...
Textausschnitt: 128. Die Pädagogik der Neuerer
303a Es folgt nun die genaue Aufgliederung des Irrtums, von dem die Pädagogik der Neuerer betroffen ist. Der ERSTE Irrweg ist, die Abhängigkeit des zu erziehenden Geistes von der erzieherischen Grundlegung zu übergehen und zu verneinen. Er besteht in der Annahme, die Wahrheit sei ein Ergebnis persönlichen kreativen Denkens, wohingegen sie ein Licht ist, das der Intellekt vorfindet und nicht schaffend hervorbringt, ja das für ihn um so vorfindbarer ist, je weniger an Lebenserfahrung er in die Betrachtung des Wahren hineinzieht. Erfahrung vermittelt zwar den Zugang zur Wahrheit, doch ist diese nicht das Gelebte, wie man heute sagt, sondern allein das Wahrgenommene. Sowohl Augustinus als auch Thomas von Aquin bekräftigen in ihren Abhandlungen über den Lehrer, De magistro, daß die Wahrheit Schüler wie Lehrer übersteigt und der Mensch sie nicht erzeugt, sondern sie entdeckt. Lernen ist gewiß auch ohne Lehrer möglich, durch Einblick in die Wirklichkeit. Der Lehrer legt die Wissenschaft nicht in den Schüler hinein, vielmehr ruft er in ihm persönliche Erkenntnisakte wach. Der Unterweisende, der das Wissen bereits als etwas Entfaltetes besitzt, aktualisiert nämlich das, was der Lernende dem Vermögen nach besitzt1, und bewirkt somit, daß dieser aus sich heraus erkennt. Es bleibt also ganz und gar ausgeschlossen, daß Didaktik Autodidaxie und Erziehung Selbsterziehung sei, ebenso wie es nach metaphysischem Prinzip ausgeschlossen ist, daß ein In-Potenz-Seiendes sich selbst aktuiert. Der hl. Thomas von Aquin faßt es ausdrücklich in diesen Satz: »Man kann nicht behaupten, daß ein Individuum sein eigener Lehrer sei und sich selbst unterweise«2. (Fs)
303b An dieser Stelle sollten drei Hauptpunkte der katholischen Pädagogik in Erinnerung gerufen werden:
1. ein metaphysischer: die Unterscheidung zwischen Potenz und Akt beziehungsweise die Nicht-Kreativität des im Menschen angelegten Vermögens. (Fs)
2. ein axiologischer: die axiologische Überlegenheit des Wissenden im Vergleich zum Nichtwissenden. (Fs)
3. ein gnoseologischer: der Primat des Erkennens gegenüber der Erfahrung3 im moralischen Bereich. Dies besagt, daß das Leben des Menschen in moralischer Hinsicht - für alles Übrige gilt das Gleiche - so beschaffen ist wie seine Einstellung zu den Zielen und Handlungen seines Daseins. (Fs) (notabene)
304a Der ZWEITE Irrweg der neuerungsbeflissenen Pädagogik besteht in der Ansicht, der Unterricht habe als Direktziel einen Erfahrungserwerb; die Methode sei gleichermaßen die der Erfahrung; vom Lebensvollzug losgelöste Kenntnisse seien, wie man sich ausdrückt, reinweg angelerntes Wissen. Demgegenüber ist das eigentliche und bindende Unterrichtsziel - und das gilt auch für die Katechese - nicht, Erfahrung zu erwerben, sondern Erkenntnis zu gewinnen. Der Schüler wird vom Lehrer dazu gebracht, eine Erkenntnis aus der anderen zu entwickeln, wozu die Darstellung von Ideen in didaktischem Vorgehen dient. So ist auch das Ziel der Katechese nicht unmittelbar eine existentielle und erfahrbare Begegnung mit der Person Christi (was mehr als alles andere eine Zuwendung zur Mystik wäre), sondern Kenntnis der geoffenbarten Wahrheit und ihres Vorfelds. (Fs) (notabene)
Die modernistische Herkunft dieser Pädagogik kann nicht übersehen, wer weiß, daß das philosophische Prinzip des Modernismus das Empfinden war, in dem jeder Wert aufgelöst und das über den theoretisch erkannten Werten steht. Diese seien das Abstrakte, zu dem die Erfahrung als das Konkrete gehöre. (Fs)
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