Autor: Amerio, Romano Buch: Iota Unum Titel: Iota Unum Stichwort: Schule, Krise; Mgr. Leclercq; katholische Universität - Getto? Kurzinhalt: Mgr. Leclercq, emeritierter Moraltheologe an der Katholischen Universität von Löwen, hält die katholischen Universitäten generell für unvereinbar mit der zeitgenössischen Zivilisation, die vom Pluralismus geprägt und jedem Getto abgeneigt sei.
Textausschnitt: 126. Ablehnung der katholischen Schule von katholischer Seite. Mgr. Leclercq
296a Während über die Beweggründe für die Existenz der katholischen Schule in der modernen Gesellschaft bei einigen Zweifel herrschen, sind sie für andere völlig hinfällig geworden. Dazu nun Tatsachen und Theorien. (Fs)
In Baden-Württemberg hörte die Christlich-Demokratische Union 1967 auf, sich für katholische Schulen einzusetzen, und schloß sich der Position der Sozialdemokraten an. Es wurden die sogenannten Simultanschulen auf christlicher, jedoch nicht mehr konfessioneller Basis eingeführt1. Besonders bedeutsam an dem Ereignis ist, daß Nuntius Mgr. Bafile im gleichen Schriftstück, mit dem er wegen Verletzung des Konkordats von 1933 Protest einlegte, erklärte: »Auch die Kirche hat ein reales Interesse an der Schaffung eines fortschrittlichen Schulsystems« (RI, 1967, S. 395). (Fs)
In Bayern bewirkte ein Volksentscheid mit 75% Jastimmen eine Verfassungsänderung zwecks Einführung der christlichen anstelle der katholischen Schule2. Als 1967 in Italien zweihundert Milliarden Lire für universitäre Bauvorhaben ausgeschüttet werden sollten, schlugen die Liberalen vor, die Mittel auch den freien Universitäten, einschließlich der Katholischen in Mailand, zugute kommen zu lassen. Da nun aber die christlich-demokratischen Abgeordneten Absprachen mit anderen Parteien einhielten und sich der Stimme enthielten, wurde der Vorschlag abgelehnt. Während die Verzichtleistung auf die katholische Schule in einigen Fällen den ökumenisch beflügelten Einfluß erkennen läßt, zeigen dagegen andere Fälle, daß die Option für den Marxismus dabei mitgewirkt hat. Im afrikanischen Staat Mali, einer sozialistischen Republik, halten sich die katholischen Schulen an das staatliche Erziehungsprogramm und erteilen folglich Unterricht in Marxismus. In Ceylon beschlossen die Katholiken, dem - von Marxismus regierten - Staat die meisten katholischen Kollegien zu überlassen, damit die Jugend sich leichter in das nationale Leben einfügt, die Kirche ein Gettodasein vermeidet und die Schule Ort des Dialogs statt Herd von Spannungen wird (ICI, Nr. 279, S. 25f., Januar 1967). In den kommunistischen Ländern verhält sich der Episkopat gegenüber der staatlichen Schule so, wie es seiner Einstellung zum Kommunismus selbst entspricht. (Fs)
297a Doch nicht weniger gravierend als die Tatsachen sind die theoretischen Urteile bezüglich der Nutz- und Bedeutungslosigkeit der katholischen Schule. Mgr. Leclercq, emeritierter Moraltheologe an der Katholischen Universität von Löwen, hält die katholischen Universitäten generell für unvereinbar mit der zeitgenössischen Zivilisation, die vom Pluralismus geprägt und jedem Getto abgeneigt sei. Diese Unvereinbarkeit nehme ihr jede Daseinsberechtigung. Das Argument von Mgr. Leclercq ist jedoch nicht stichhaltig und erledigt sich durch seine Widersprüchlichkeit von selbst. Gerade in einer pluralistischen Welt wird das Vorhandensein katholischer Universitäten zum Normalfall. Man kann nicht den Pluralismus wollen, was schlicht und einfach Vielfalt von Doktrinen beziehungsweise Lehren bedeutet, und diese Vielfalt andererseits unter dem Vorwand von sich weisen, daß eine der Lehren, wie auch immer sie beschaffen sein mag, als Bestandteil des Pluralismus entfalle. (Fs) (notabene)
Das zweite Argument, mit dem man der katholischen Universität in der heutigen Welt jede Existenzberechtigung abspricht, lautet, sie kapsele sich zwangsläufig ab, weil sie auf spirituelle Sicherheit aus sei und somit das Denken davor bewahre, sich mit dem Widerspruch auseinanderzusetzen, den die moderne Kultur gegen den Katholizismus geltend mache: Die Methode der Bewahrung oder, wie man es spöttisch nennt, das Treibhaussystem könne keine aufgeschlossenen Köpfe, keine starken Überzeugungen hervorbringen. (Fs)
Das Argument trifft die katholische Philosophie nicht. Von den Fakten her ist dem zu entgegnen, daß Menschen mit den genannten Gaben, ja Generationen von ihnen, aus der katholischen Schule hervorgegangen sind. Von der Axiologie her verkennt dieses Argument sodann den Wert der Sicherheit, denn sie gilt fast als eine zu verachtende und, wie man sagt, bürgerliche Befindlichkeit. Ganz im Gegenteil: Sicherheit ist der moralische Reflex3 der Gewißheit. Dazu ist sie noch -auf höherer Ebene - ein moralischer Reflex des Heils, wenn man davon ausgeht, daß Gewißheit ein Reflex des Glaubens ist. Gewißheit und Sicherheit sind die der Erkenntnis gemäße Seite und die psychologische Seite des gleichen Standorts, den man bezogen hat. Es ist allemal zu beachten, daß der übernatürliche Glaube den Geist in eine Ruhestellung versetzt, die kein Abstehen, sondern Stand-festigkeit bedeutet und in die sich der Zweifel nicht einschleichen darf. Siehe § 167. (Fs) (notabene)
298a Die Sicherheit, auf der die katholische Unterweisung beruht, ist im übrigen keine Flucht vor der Auseinandersetzung, denn der Gläubige muß jedem Rechenschaft geben über seine übernatürliche Anschauung (I Petr. 3,15), dies jeweils seiner Glaubenserkenntnis entsprechend, und wenn er Lehrer ist, von Berufs wegen. Und der Vergleich der verschiedenen Meinungen ist ein notwendiger Schritt, den das Denken übernimmt, um die Wahrheit zu erforschen und für sie einzutreten. Dieses Prüfen, ob mittels Befragung oder Widerlegung, gehört zur allgemein üblichen Praxis. Überdies war die Methode der Auseinandersetzung ganz besonders in der Scholastik zu Hause. Man bedenke, daß die Magister der Pariser Universität den Studenten der artes und sogar dem gemeinen Volk zur Verfügung standen, um auf Einwände zu antworten und der Wißbegier zu genügen. Dies ist ersichtlich aus den Quaestiones quodlibetales des hl. Thomas von Aquin, wo die Empfindungen und der Geist jenes Jahrhunderts lebhaft geschildert werden. Abgesehen davon hätte die literarische Gattung der Apologie nicht entstehen können, wenn Religion grundsätzlich Absonderung bedeuten würde. Sie sondert sich sehr wohl vom Irrtum ab, aber um eine Isolation dieser Art zu verwirklichen, ist es unausbleiblich, daß sie zunächst einmal mit den diversen Gegenpositionen dialektisch konfrontiert wird. Eine solche Isolation vom Irrtum kennt die durch den Pyrrhonismus entstellte Theologie der Neuerer nicht. Unbekannt ist ihr ferner das Grundprinzip der Apologetik, wonach es gar nicht nötig ist, sämtliche Einwände gegen den Glauben widerlegt zu haben, damit dessen Bestand gesichert bleiben kann. Siehe §§ 152f. (Fs)
Ein weiteres Argument von Mgr. Leclercq berührt die Epistemologie4 und das Verhältnis, in dem alle Teile des Wissensgefüges zueinander stehen. Die katholische Universität (so drückte er sich aus) konfessionalisiere die Wissenschaft und beeinträchtige die Freiheit sowie die Unvoreingenommenheit der Forschung. Wissenschaft verweigere in der Tat jede Unwiderruflichkeit und jede Fremdgesetzlichkeit. (Fs)
299a Im Wort des eminenten Theologen scheint die Stimme des ungläubigen Rationalismus widerzuhallen. Die Wissenschaft unterliegt keineswegs dem katholischen Konfessionalismus, wird also nicht vom Glauben vereinnahmt, womit sie unter ein artfremdes Prinzip fallen würde, vielmehr bleibt sie innerhalb ihres Bereiches eigengesetzlich. Und bei allem Verlangen, daß sie dem Glauben dienstbar sein solle, ist immerhin zu bedenken: Wie könnte sie dienen, wenn sie nicht so beschaffen wäre, wie sie ist, als eine eigenständige, autonome, spezielle Wissenschaft eben? Eine äußere Unterordnung ändert nichts an der inneren Autonomie jedes Wissenszweigs. Es verhält sich vielmehr so, daß diese äußere Unterordnung bestimmend für das Gesamtgefüge und Voraussetzung für alle Disziplinen ist, die Autonomie keiner von ihnen verletzt und sich als notwendig für die Architektonik des Wissens erweist. Beispielsweise ist die Pharmakologie allemal eine Wissenschaft, ist allemal der Medizin untergeordnet, schreitet nur im Dienst an dieser voran, ohne jedoch die eigenen Gesetze von ihr zu beziehen. Was sie von ihr bezieht, ist lediglich das Ziel. Weder wird Pharmakologie zur Medizin, noch verzichtet sie auf ihre eigenen Methoden, um die der Medizin zu übernehmen. So hat jede Wissenschaft ihre Unabhängigkeit, auch wenn sie in der Außenrealität auf ein Ziel ausgerichtet wird. (Fs)
Ein letztes Argument des gefeierten Emeritus aus Löwen: Er verneint die Autonomie - also die Wissenschaftlichkeit - der Wissenschaft im katholischen System, entstellt dabei aber (wie mir scheint) die Epistemologie, behauptet er doch, man mache die Wissenschaft zur Magd, wenn man neben ihr eine andere Quelle der Wahrheit zugrunde lege. Immerhin bedeutet es keine Knechtschaft, Organfunktion zu besitzen. Im Gesamtorganismus ist kein Teil - trotz seiner Zuordnung zu den anderen und seiner Abhängigkeit von ihnen - geknechtet. Der Urquell der beiden Wahrheitsquellen Wissenschaft und Glaube ist die objektive Höchste Vernunft, das VERBUM5. Erachtet man es nun als unmöglich, Wissenschaft und Religion für die Erkenntnis nebeneinander bestehen zu lassen, so übernimmt man wohl oder übel entweder die eine oder die andere dieser Thesen: Die Wissenschaft sei in der Offenbarung enthalten, - das wäre eine Rückkehr zum Irrtum der Theologie aus der Zeit vor Galilei; die subjektive Vernunft sei nicht begrenzt und nehme nichts Wißbares außerhalb der Grenzen des Wissens an, - das hieße, sich den Panlogismus6 der heterodoxen deutschen Philosophie zu eigen zu machen. (Fs) (notabene)
300a Weit davon entfernt, einfach nur eine Variante politischer Philosophie zu sein, orientiert sich die Ablehnung der katholischen Schule in Wirklichkeit - bewußt oder unbewußt - an Auffassungen, die katholischem Denken fremd sind. Man nimmt der katholischen Schule die ihr gemäße Grundlage, räumt das ihr Wesenhafte aus und richtet sie nach dem Pluralismus und dem kulturellen Nihilismus her. Das in Freiburg (Schweiz) ausgearbeitete Reformprogramm für die Seminare stellt einen Verzicht auf die traditionelle Ordnung der Priesterausbildung (ratio studiorum) dar. Es enthält die Vorschrift: »... dadurch, daß von Anfang an eine globale Sicht vermittelt wird und die Probleme angepackt werden, die mit der Existenz der Andersgläubigen und Nicht-glaubenden gegeben sind, soll der Studierende imstande sein, die Gefahr einer christlichen Selbstgenügsamkeit zu meiden« (ICI, Nr. 279, 1. Januar 1967, S. 20)7. (Fs)
Um zu ermessen, wie sehr eine solche Auffassung von der katholischen Pädagogik abweicht, braucht man sich nur dies vor Augen zu halten: Hier wird der christlichen Weltanschauung der globale Charakter abgesprochen (es fehlt ihr also ein universales Prinzip); es wird verlangt, sich von Anfang an mit den anderen Philosophien zu befassen, doch ist kein Kriterium für das entsprechende Vorgehen ersichtlich; schließlich sollen die jungen Männer sich vor der Gefahr hüten, das Christentum als etwas sich selbst Genügendes anzusehen (schwer zu sagen, ob hier das Kuriosum oder der Irrtum überwiegt). Ergo wäre das Christentum, obwohl göttliche Lehre, per se unzureichend, dem Geist Befriedigung und Geborgenheit in der Wahrheit zu verschaffen. Es darf nur als ein Standpunkt gelten, der die Integration in andere Positionen nötig hat, um Wertrelevanz zu gewinnen8. Daher kommt es, daß die katholische Schule nach und nach den Eigencharakter verliert, sich bewußt nach der staatlichen Schule richtet, was Strukturen, Erziehungsvorschrift, Koedukation, Kalender, einfach alles betrifft. Und was die Bildung anbelangt, hat die katholische Schule die Beurteilung geschichtlicher Ereignisse aus katholischer Sicht großenteils aufgegeben und vertritt die Ansichten, die für die Gegner der Kirche im vergangenen Jahrhundert typisch waren9. (Fs)
301a Zum Abschluß unserer Ausführungen über die Antipathie gegen die katholische Schule - und ohne näheres Eingehen auf die Schließungen oder Verstaatlichungen von Instituten, noch auf das skandalöse Abweichen von der Lehre an katholischen Schulen10 - ist es angebracht, die gewaltigen Rückschläge zu ermessen, die die katholische Schule in der Nachkonzilszeit erlebt hat. Wir tun dies mit einem Zitat des Münchner Erzbischofs Michael Kardinal Faulhaber, der, in offenen Konflikt mit dem Hitler-Despotismus geraten, 1936 sagte: »Mit einem Schlag hundert Schulen schließen ist mehr, als einige Kirchen zerstören«11. (Fs)
____________________________
|