Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Methode in der Theologie Titel: Methode in der Theologie Stichwort: Religion; Wort - Geschichte; das vorausgehende W. Gottes; Kurzinhalt: Bevor die Religion in die durch Bedeutung vermittelte Welt eintritt, ist sie das voraufgehende Wort [sic], das Gott zu uns spricht, indem er unser Herz mit seiner Liebe überflutet. Dieses vorhergehende Wort gehört nicht zu der durch Bedeutung ... Textausschnitt: 6. Das Wort
34/4 Unter Wort verstehen wir hier jeden Ausdruck religiösen Sinngehalts oder religiösen Wertes. Dessen Träger kann Intersubjektivität oder Kunst sein, Symbol oder Sprache, aber auch die erinnerten und aufgezeichneten Lebensläufe, Taten oder Leistungen von Individuen, Klassen oder Gruppen. Normalerweise kommen hierbei alle Ausdrucksweisen zur Anwendung; da aber die Sprache jenes Vehikel ist, durch das der Sinngehalt am umfassendsten artikuliert wird, ist das gesprochene und das geschriebene Wort für die Entwicklung und Klärung der Religion besonders wichtig. (120; Fs)
35/4 Durch ihr Wort tritt die Religion in jene Welt ein, die durch Bedeutung vermittelt und durch Werte geregelt wird. Sie beschenkt diese Welt mit ihrer tiefsten Bedeutung und mit ihrem höchsten Wert. Sie setzt sich in einen Kontext anderer Sinngehalte und anderer Werte. Innerhalb dieses Kontextes gelangt sie zu ihrem Selbstverständnis, setzt sich in Beziehung zu dem, was uns unbedingt angeht, und schöpft so von ihm die Kraft, um die Ziele, die uns als nächste angehen, um so angemessener und um so wirksamer anzustreben. (120; Fs)
36/4 Bevor die Religion in die durch Bedeutung vermittelte Welt eintritt, ist sie das voraufgehende Wort [sic], das Gott zu uns spricht, indem er unser Herz mit seiner Liebe überflutet. Dieses vorhergehende Wort gehört nicht zu der durch Bedeutung vermittelten Welt, sondern zur Welt der Unmittelbarkeit, zur unvermittelten Erfahrung des Mysteriums der Liebe und Ehrfurcht. Das äußerlich gesprochene Wort ist geschichtlich bedingt; seine Bedeutung hängt ab vom menschlichen Kontext, in dem es geäußert wird, und solche Kontexte ändern sich von Ort zu Ort und von einer Generation zur anderen. Doch das voraufgehende Wort in seiner Unmittelbarkeit entrückt den Menschen - obwohl es in seiner Intensität differiert, obwohl es bei unterschiedlichen Charakteren und auf verschiedenen religiösen Entwicklungsstufen recht unterschiedliche Resonanz hervorruft - aus der Mannigfaltigkeit der Geschichte, indem es aus der durch Bedeutung vermittelten Welt herausführt und hin zu einer Welt der Unmittelbarkeit, in der Bild und Symbol, Gedanke und Wort ihre Relevanz verlieren und sogar verschwinden. (121; Fs) (notabene)
37/4 Daraus sollte man nicht schließen, daß das äußere Wort etwas Nebensächliches sei, denn ihm kommt eine konstituierende Rolle zu. Wenn ein Mann und eine Frau einander lieben, ihre Liebe aber nicht bekennen, so sind sie noch nicht in der Liebe. Gerade ihr Schweigen bedeutet, daß ihre Liebe noch nicht den Punkt der Selbstaufgabe und Selbsthingabe erreicht hat. Erst die Liebe, die jeder freiwillig und völlig dem anderen bekundet, führt zur gänzlich neuen Situation des In-Liebe-Seins und ist der Anfang der Entfaltung ihrer lebenslangen Implikationen.1 (121; Fs)
38/4 Was für die Liebe von Mann und Frau gilt, gilt auf seine Weise auch für die Liebe von Gott und Mensch. Für gewöhnlich wird die Erfahrung des Mysteriums der Liebe und Ehrfurcht nicht objektiviert. Sie bleibt innerhalb der Subjektivität als ein Vektor, als ein Sog, als ein schicksalhafter Ruf zu einer gefürchteten Heiligkeit. Vielleicht verliert nach Jahren beständigen Gebetslebens und der Selbstverleugnung die Immersion in der durch Bedeutung vermittelten Welt ihren Totalitätscharakter und wird die Erfahrung des Mysteriums klar und deutlich genug, um Aufmerksamkeit, Staunen und Suche zu wecken. Selbst dann gibt es im individuellen Einzelfall keine sicheren Antworten. Das einzige, was man tun kann, ist sein lassen, was ohnehin ist, und geschehen lassen, was sich sowieso wiederholt. Dann aber braucht man, mehr denn je, das Wort - das Wort der Überlieferung, das religiöse Weisheit aufgespeichert hat, das Wort der Mitbrüderlichkeit, das jene vereint, die das Geschenk der Liebe Gottes teilen, das Wort des Evangeliums, das verkündet, daß Gott uns zuerst geliebt und in der Fülle der Zeit diese Liebe im gekreuzigten, gestorbenen und auferstandenen Christus uns geoffenbart hat. (121f; Fs)
39/4 Das Wort ist demnach personal. Cor ad cor loquitur: Liebe spricht zur Liebe, und ihre Sprache ist machtvoll. Der religiöse Führer, der Prophet, der Christus, der Apostel, der Priester, der Prediger - sie alle verkünden in Zeichen und Symbolen das, was mit dem Geschenk der Liebe, die Gott in uns wirkt, übereinstimmt. Das Wort ist aber auch sozial: Es bringt die versprengten Schafe, die zusammengehören, weil sie in der Tiefe ihres Herzens dem gleichen Mysterium der Liebe und Ehrfurcht antworten, in eine einzige Hürde [sic]. Schließlich ist das Wort auch geschichtlich. Es ist nach außen zum Ausdruck gebrachter Sinngehalt. Es muß seinen Ort im Kontext anderer, nicht-religiöser Sinngehalte finden. Es muß eine konkrete Sprache entlehnen und adaptieren, eine Sprache, die viel leichter über diese Welt als über die Transzendenz zu reden vermag. Doch solche Sprachen und Kontexte ändern sich je nach Zeit und Raum; sie geben den Worten wandelnde Bedeutungen und den Aussagen andere Implikationen. (122; Fs)
40/4 Daraus folgt, daß der religiöse Ausdruck durch die Stadien der Bedeutung hindurchgehen und in ihren verschiedenen Bereichen sprechen wird. Wenn man die Bereiche des Allgemeinverstands, der Theorie, der Interiorität und der Transzendenz unterscheidet und aufeinander bezieht, versteht man leicht die Vielfalt religiöser Äußerungen. Denn deren Quelle und Kern liegt in der Erfahrung des Mysteriums der Liebe und Ehrfurcht, und dies gehört zum Bereich der Transzendenz; die Grundlagen und Grundbegriffe religiöser Äußerungen, ihre Beziehungen und ihre Methode werden aus dem Bereich der Interiorität hergeleitet. Ihre technische Entfaltung finden sie im Bereich der Theorie; gepredigt und gelehrt werden sie im Bereich des Allgemeinverstands. (122; Fs) (notabene)
41/4 Hat man diese Bereiche einmal unterschieden und ihre Beziehungen verstanden, so ist es recht einfach, in groben Zügen frühere Stadien und verschiedenartige Entwicklungen zu verstehen. Fernöstliche Religion betonte besonders die religiöse Erfahrung. Semitische Religion betonte den prophetischen Monotheismus. Die Religion der westlichen Hemisphäre pflegte den Bereich der Transzendenz durch ihren Kirchbau und die Liturgie, durch ihren zölibatären Klerus sowie durch ihre religiösen Orden, Gemeinschaften und Bruderschaften. Sie zog ein in den Bereich der Theorie durch ihre Dogmen und ihre Theologie, durch ihre juridischen Strukturen und gesetzlichen Verfügungen. Sie hat die gemeinsame Grundlage von Theorie und Allgemeinverstand zu legen, die in der Interiorität zu finden ist, und sie muß sich dieser Grundlage bedienen, um die Erfahrung des Transzendenten mit der durch Bedeutung vermittelten Welt zu verbinden. (122f; Fs)
42/4 Rückschau zu halten ist leicht, doch Voraussicht ist recht schwierig. Wenn der Ausdruck auf den Bereich des Allgemeinverstands beschränkt ist, kann er nur gelingen, indem er sich der Kraft der Symbole und Gestalten bedient, um das, was nicht adäquat gesagt werden kann, anzudeuten oder zu evozieren. Wird der Bereich der Theorie expliziert, so kann auch die Religion von ihm profitieren, um eine klare und fest umrissene Skizze ihrer selbst, ihrer Aufgabenbereiche und Ziele aufzuzeichnen. Sofern es aber an intellektueller Bekehrung fehlt, entstehen Kontroversen. Selbst wo diese Bekehrung stattfindet, entsteht der merkwürdige Kontrast und die Spannung zwischen der alten Erfassungsweise, die von Gefühl durchtränkt ist, und der neuen theoretischen Erfassung, die frei von Gefühl ist, von Definitionen und Theoremen aber nur so strotzt. Daher wird der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs dem Gott der Philosophen und der Theologen gegenübergestellt. Die Anbetung der Dreifaltigkeit und das Gefühl der Reue werden der gelehrten Abhandlung über die Trinität und dem Definieren von Reue entgegengesetzt. Innerhalb der Bereiche des Allgemeinverstands und der Theorie läßt sich nun dieser Kontrast nicht verstehen und die Spannung nicht lösen. Man muß über sie hinausgehen und ins Reich der Interiorität vordringen. Denn nur im Bereich der Interiorität vermag sich das differenzierte Bewußtsein selbst zu verstehen und dadurch das Wesen und die komplementären Ziele der verschiedenen Schemata der Erkenntnistätigkeit zu erklären. (123; Fs) (notabene)
____________________________
|