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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Religion; religiöse Erfahrung; heiligmachende Gnade - Interiorität;

Kurzinhalt: Von heiligmachender Gnade zu sprechen gehört jenem Stadium der Bedeutung an, in dem die Welt der Theorie und die Welt des Allgemeinverstands zwar voneinander unterschieden, aber noch nicht ausdrücklich von der Welt der Interiorität unterschieden ...

Textausschnitt: 3. Religiöse Erfahrung

17/4 Mit Gott In-Liebe-Sein, als erlebt, heißt auf unbegrenzte Weise in Liebe zu sein. Jede Liebe ist Selbst-Hingabe, doch mit Gott in Liebe zu sein, ist ohne Einschränkungen oder Qualifikationen oder Bedingungen oder Vorbehalte In-Liebe-Sein. So wie unbegrenztes Fragen unsere Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz ist, so ist mit Gott auf unbegrenzte Weise in Liebe zu sein die eigentliche Erfüllung dieser Fähigkeit. (114; Fs)

18/4 Diese Erfüllung ist nicht das Ergebnis unseres Wissens und unserer Wahl. Ganz im Gegenteil - sie läßt den Horizont, in dem sich unser Wissen und Wählen bisher abspielte, verschwinden und stellt einen neuen Horizont auf, in welchem die Liebe zu Gott unsere Werte umwertet und die Augen dieser Liebe unser Wissen verwandeln. (114; Fs) (notabene)

19/4 Obwohl diese Erfüllung nicht Ergebnis unseres Wissens und Wählens ist, ist sie doch ein bewußter und dynamischer Zustand von Liebe, Freude und Friede, der sich in Taten der Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung zeigt (Gal 5,22). (114; Fs) (notabene)

20/4 Sagt man, dieser dynamische Zustand sei bewußt, so sagt man damit noch nicht, er sei auch erkannt. Denn Bewußtsein ist einfach Erfahrung, Wissen dagegen ist zusammengesetzt aus Erfahrung, Verstehen und Urteilen. Weil dieser dynamische Zustand bewußt ist, ohne jedoch erkannt zu sein, ist er eine Erfahrung des Geheimnisses. Weil es ein In-Liebe-Sein ist, ist das Geheimnis nicht nur anziehend, sondern geradezu faszinierend. Man gehört ihm, man wird von ihm besessen. Weil es eine unermeßliche Liebe ist, ruft das Geheimnis auch Ehrfurcht hervor. Daher ist das Geschenk der Liebe Gottes an sich, insofern es bewußt ist, ohne erkannt zu sein, eine Erfahrung des Heiligen, eine Erfahrung dessen, was Rudolf Otto mysterium fascinans et tremendum nannte.1 Paul Tillich nennt es 'Das, was uns unbedingt angeht'.2 Es entspricht dem, was Ignatius von Loyola als 'Trost' bezeichnet, der keine Ursache hat, wie Karl Rahner darlegte.3 (115; Fs)

21/4 Es ist auf der vierten Ebene des intentionalen Bewußtseins bewußt. Es ist nicht jenes Bewußtsein, das die Akte des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens und Tastens begleitet; auch nicht das Bewußtsein, das die Akte des Untersuchens, des Einsehens, des Formulierens und Sprechens begleitet. Es ist auch nicht das Bewußtsein, das die Akte der Reflexion, des Ordnens und Abwägens des Belegmaterials, der Tatsachen- und Möglichkeitsurteile begleitet. Vielmehr geht es um jenes Bewußtsein, das überlegt, Werturteile fällt, entscheidet und handelt - verantwortlich und frei. Es ist aber dieses Bewußtsein, insofern es zur Erfüllung gebracht wurde, eine Bekehrung durchgemacht hat, eine Grundlage besitzt, die zwar ausgeweitet, vertieft, erhöht und bereichert, nicht aber ersetzt werden kann, und insofern es bereit ist zu überlegen, zu urteilen, zu entscheiden und zu handeln, und zwar mit der Leichtigkeit und Freiheit derer, die alles Gute tun, weil sie in Liebe sind. So durchdringt das Geschenk der Liebe Gottes den Wurzelgrund der vierten und höchsten Ebene des menschlich intentionalen Bewußtseins. Die Liebe herrscht über die 'Seelenspitze', den apex animae. (115; Fs)

22/4 Dieses Geschenk, das wir beschrieben haben, ist wirklich die heiligmachende Gnade, unterscheidet sich aber begrifflich von dieser. Die begriffliche Differenz ergibt sich aus unterschiedlichen Stadien der Bedeutung. Von heiligmachender Gnade zu sprechen gehört jenem Stadium der Bedeutung an, in dem die Welt der Theorie und die Welt des Allgemeinverstands zwar voneinander unterschieden, aber noch nicht ausdrücklich von der Welt der Interiorität unterschieden und in ihr fundiert sind. Vom dynamischen Zustand des mit Gott In-Liebe-Seins zu sprechen, gehört jenem Stadium der Bedeutung an, in dem die Welt der Interiorität explizit zur Grundlage der Welten der Theorie und des Allgemeinverstands gemacht worden ist. Daraus folgt, daß in diesem Stadium der Bedeutung das Geschenk der Gottesliebe zuerst als eine Erfahrung beschrieben und nur infolgedessen dann auch in theoretischen Kategorien objektiviert wird. (115f; Fs) (notabene)

23/4 Abschließend sei angemerkt, daß der dynamische Zustand an sich wirkende Gnade ist; der gleiche Zustand als Urgrund von Akten der Liebe, der Hoffnung, des Glaubens, der Reue und dergleichen aber mitwirkende Gnade. Man kann ergänzend sagen, daß damit die Bekehrung nicht als allzu gewaltsamer Wechsel oder als Bruch der psychologischen Kontinuität stattfindet und dem dynamischen Zustand recht ähnliche vorübergehende Dispositionen, die ebenso wirkend wie auch mitwirkend sind, vorangehen können. Ist der dynamische Zustand einmal hergestellt, wird er noch durch weitere zusätzliche Gnaden bereichert und entfaltet.4 (116; Fs)

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