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Autor: Menke, Karl-Heinz

Buch: Die Einzigkeit Jesu Christ

Titel: Die Einzigkeit Jesu Christ

Stichwort: Dadaismus: Der Gegenstand als das Absurde; Duchamp (Urinal); Hans Richter: Deklaration des Nichts; A-Kunst; Tzara (Zufallsgedichte), Hans Richter (Theoretier des D.)



Kurzinhalt: Der Dadaismus geht von der postmodernen Prämisse aus, daß alles, was «ist», nur «etwas für», also eine Funktion, und also «an und für sich» nichts (nihil -> Nihilismus) ist ... «Die Kunst ist <zu Ende> gedacht, in Nichts aufgelöst. Das Nihil ist ...

Textausschnitt: 56a Von der Darstellung des Banalen in der Pop-art ist es nicht weit bis zur Darstellung des Absurden im Dadaismus. Der deutsche Schriftsteller Hugo Ball (1886-1927), der als Mitbegründer des dadaistischen «Club Voltaire» in Zürich seine «absurden Lautgedichte» (Verse ohne Worte) schuf, erklärt den Begriff «Dadaismus» wie folgt: «Dada heißt im Rumänischen ja, ja; im Französischen Hotto- und Steckenpferd. Für Deutsche ist es ein Signum alberner Naivität und zeugungsfroher Verbundenheit mit dem Kinderwagen.»1
56b Der Dadaismus geht von der postmodernen Prämisse aus, daß alles, was «ist», nur «etwas für», also eine Funktion, und also «an und für sich» nichts (nihil -> Nihilismus) ist. Um diese Erkenntnis zu demonstrieren, ließ Marcel Duchamp (1887-1968) ein Urinbecken in einer Umgebung ausstellen, in der es «seinen Sinn», nämlich seine «Funktion für», verloren hatte und nur noch als «das Absurde» erscheinen konnte. Fazit: Ein Gegenstand ist seine Funktion und ansonsten bloße Faktizität, also das schlechthin Nicht-Rationale, das Absurde oder Nichtige. (Fs)

56c Die Dadaisten verzichten auf das Abbilden des Gegenstandes, weil jede Abbildung die Tendenz einer Interpretation oder Sinngebung impliziert. Sie zielen auf den nackten Gegenstand in einer Umgebung, die ihn jeder Funktion entreißt. Hans Richter (1888-1976), der bedeutendste Theoretiker des Dadaismus, konstatiert: «Die Kunst ist <zu Ende> gedacht, in Nichts aufgelöst. Das Nihil ist alles, was übrig bleibt. Eine Illusion ist mit Hilfe der Logik beseitigt. An Stelle der <Illusion> ist ein Vakuum getreten, das weder moralische noch ethische Qualitäten hat. Es ist die Deklaration des NICHTS, die weder zynisch noch bedauernd ist. Es ist eine Feststellung, mit der man sich abzufinden hat! Eine Entdeckung von Tatsachen, die mehr konstatiert als herbeigeführt zu sein scheinen. Duchamp nennt deshalb, um selbst einer negativen Stellung der Kunst gegenüber auszuweichen, seine Haltung nicht Anti-kunst, sondern A-Kunst.»2

57a Wie Duchamp den Gegenstand als das Absurde zur Schau stellt, so wollen Hans Arp (1887-1966), Marcel Janco (1895-1984) und Kurt Schwitters (1887-1948) den Gegenstand als Zufall entlarven. Sie bilden ihre Skulpturen und Collagen aus dem, was sie zufällig finden, vornehmlich «aus den Abfallprodukten der Zivilisation: Schuhsohlen, Drähten, Scheuerlappen, Billets, Streichhölzern, Tuchfetzen, Geschäftspapieren»3. Aber auch wenn sie zunächst dasselbe Ziel wie Duchamp verfolgen, kündigt sich in ihren Darstellungen des Zufalls das an, was man die postmoderne Sehnsucht nach der Welt des Mythos nennen kann. Das Subjekt, das sich von Absurdität umgeben sieht, haßt sich selbst, will sich geradezu auslöschen und flieht deshalb in eine Welt, in der alles, auch es selbst, Zufall ist. Der zu den Züricher Gründern des Dadaismus zählende Schriftsteller Tristan Tzara (1896-1963) «zerschnitt Zeitungsartikel in kleinste Teilchen, jedes nicht länger als ein Wort. Dann tat er diese Wörter in eine Tüte, schüttelte sie tüchtig und ließ dann alles auf den Tisch flattern. In der Ordnung und Unordnung, in der die Worte fielen, stellten sie ein <Gedicht> dar, ein Gedicht von Tzara»4. In diesem Vorgang wird deutlich: Der Dichter will nichts mehr komponieren; er will nicht Subjekt eines von ihm geschaffenen Objekts sein; er will seine Subjektivität aufheben in ein Geschehen, das nicht er macht, sondern das ihn ergreift. Ähnlich kann die Säule gedeutet werden, die Schwitters in seinem Haus in Hannover errichtet hat. An dieser Säule brachte er nach und nach Relikte seiner Besucher an: eine Haarlocke, einen Bleistift, ein Schuhband, eine Krawatte usw.; und er legte Wert auf die Feststellung, daß nicht er die Säule entworfen habe, sondern daß sein Ich in jedem Teil der aus Zufällen entstandenen Säule sei. (Fs)
58a Die via moderna mündet in die via postmoderna; und diese zeigt sich in der Tendenz zur Aufhebung eben des Subjektes, das sich im Gefolge des Nominalismus nicht nur in den Reflexionen von Descartes, Kant, Sartre und Nietzsche, sondern auch in den künstlerischen Subjektivismen eines Kasimir Malewitsch, Theo van Doesburg, Joan Miró oder Wassily Kandinsky verabsolutiert hat. (Fs)

58b Obwohl am Ende dieses Weges alles beliebig, banal und absurd erscheint und vollkommener Relativismus alles als austauschbare Funktion oder Zufall deklariert, so ist doch gleichzeitig eine tiefe Sehnsucht nach dem ganz Anderen, nach dem Nichtbeliebigen, nach Einmaligkeit und unbedingtem Sinn aufgebrochen. Hier wurzelt die Anfälligkeit unzähliger Menschen für fundamentalistische Heilslehren, die sich mit der Behauptung esoterischer Erfahrungen gegen jede Kritik immunisieren. Hier wurzelt aber auch die Chance, den Menschen der Gegenwart die christliche Offenbarung als die Wahrheit zu vermitteln, die nichts vor der Kritik des neuzeitlichen Subjekts versteckt, sondern im Gegenteil das Subjekt zu sich selbst befreit. (Fs)

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