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Autor: Menke, Karl-Heinz

Buch: Die Einzigkeit Jesu Christ

Titel: Die Einzigkeit Jesu Christ

Stichwort: Der Subjektivismus des Willens: Expressionismus und Abstrakter Expressionismus; Mythos - E.; Gegenstandslosigkeit (Klee, Kandinsky); abstraker E.: transzendentale Strukturen der Wahrnehmung



Kurzinhalt: Wie in der Welt des Mythos alles Erscheinung des Göttlichen ist, so ist in den Bildern des Expressionismus alles Ausdruck des Subjekts, das sich ausstreckt nach dem «Ganzen» von Sinn

Textausschnitt: ad Der Subjektivismus des Willens: Expressionismus und Abstrakter Expressionismus


50a Wenn nach den geschilderten Subjektivismen der Wahrnehmung, des Verstandes und des Unbewußten der expressionistische Subjektivismus des Willens an vierter Stelle behandelt wird, dann nicht aus Gründen der Chronologie oder Präferenz. Im Gegenteil: Der Subjektivismus des Willens zieht sich wie eine verbindende Klammer durch alle genannten Formen moderner Malerei. Denn auch der ästhetisch, rational oder intuitiv arbeitende Künstler streckt sich aus nach dem Unbedingten, das ich philosophisch «Sinn an sich» genannt habe. In allen Kunstwerken der via moderna findet sich zumindest ansatzweise jenes voluntaristische Streben, das im Expressionismus1 am reinsten und unmittelbarsten zum Ausdruck kommt. (Fs) (notabene)

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Fußnote 1 oben:
32 «Für die Herkunft des Wortes Expressionismus werden die verschiedensten Quellen genannt. Die einen sehen den Ursprung bei dem Maler Julian August Hervé, der 1901 im <Salon des Independants> in Paris akademisch-realistische Naturstudien zeigte, die er unter der Bezeichnung Expressionismus zusammenfaßte. Andere glauben, der Begriff habe seinen Ausgangspunkt bei dem Kritiker Louis Vauxcelles, der Bilder von Henri Matisse expressionistisch» genannt hat. Wieder andere meinen, das Wort sei zum ersten Male bei einer Jury-Sitzung der Berliner Sezession gefallen, als jemand vor einem Bilde Max Pechsteins gefragt habe, ob das noch als Impressionismus bezeichnet werden könne. Paul Cassirer habe daraufhin geantwortet, nein, das sei Expressionismus.» (W.-D. Dube, Die Expressionisten, Frankfurt-Berlin-Wien 1973, 18).
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51a Karin Thomas charakterisiert den Expressionismus aller Spielarten wie folgt: «Die sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit dient [...] nur noch als auslösender Impuls für das innere Erlebnis oder als Sinnbildträger für eine spezifische Seelenlage. So sind die Werke des Expressionismus durchweg ein sublimierter Aufschrei des um Befreiung ringenden, aber ohnmächtigen Individuums2. Sie besitzen eine lapidar einfache, direkte Bildsprache, deren Vokabular aus einer ungebrochenen, starken, großflächigen Farbigkeit, einer expressiven spannungsgeladenen Pinselführung und einer ausdruckssteigernden Deformierung der Form besteht»3. Die verschiedenen Zentren des Expressionismus - Die «Fauves» in Chatou, die «Brücke» in Dresden und Berlin, der «Blaue Reiter» in München - bilden eigene Merkmale aus; aber ihnen allen gemeinsam ist die Einholung des Objektiven in das Subjektive - besonders klar zu beobachten in Bildern wie dem des norwegischen Expressionisten Edvard Munch (1863-1944) mit dem Titel «Der Schrei»; nicht nur der dort dargestellte Mensch schreit, sondern die ganze Welt. Auch die Bilder eines Vincent van Gogh (1853-1890), Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901), André Derain (1880-1954), Maurice de Vlaminck (1876-1958), Georges Rouault (1871-1958) oder Marc Chagall (1889-1985) spiegeln die Beseelung der Umwelt durch den eigenen Gefühlsimpuls. Wie in der Welt des Mythos alles Erscheinung des Göttlichen ist, so ist in den Bildern des Expressionismus alles Ausdruck des Subjekts, das sich ausstreckt nach dem «Ganzen» von Sinn4. Paul Klee (1879-1940) hat in seinen kunsttheoretischen Betrachtungen beschrieben, wie das Auge des Ich mit dem Auge des Du und der Welt insgesamt zu vermitteln ist. Und er hat auch festgehalten, was ihm und anderen Expressionisten vorgeworfen wurde: nämlich Schimpfworte wie «Vollsynthetiker hinaus! Hinaus Totalisator! [...] Romantik! Kosmik! Mystik!»5

52a Die «Brücke-Künstler» Erich Heckel (1883-1970), Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) und Emil Nolde (1867-1956) stellen ausdrücklich eine Beziehung her zwischen dem Schrei nach unbedingtem Sinn in Dostojewskijs Romanen und den eigenen Versuchen, künstlerisch den Hiatus zwischen «Sinn für mich» und «Sinn an sich» zu überwinden. Im Großstadt-Expressionismus von Oskar Kokoschka (1886-1980), George Grosz (1893-1959) oder Max Beckmann (1884-1950) ist der Glaube an Sinn dem Schrei der Verzweiflung gewichen. Das voluntaristische Auslangen nach dem «Ganzen» bleibt auch in ihren Bildern; aber die Qual antwortloser Fragen überwiegt. (Fs) (notabene)

52b Wie der ästhetische, rationale und intuitive Subjektivismus, so mündet auch die expressionistische Subjektivität des Willens in die Gegenstandslosigkeit. Als Vorboten des «Abstrakten Expressionismus» können Paul Klee und Wassily Kandinsky (1866-1944) gelten. Klee studiert die Kunst der Antike, weil er den Hiatus zwischen Subjekt und Gegenstand überwinden will; aber er erkennt immer deutlicher, daß dieses Ziel unzeitgemäß ist, weil sich das Subjekt nicht hinter den von Kant beschriebenen Graben zwischen Subjekt und Objekt zurückziehen kann. Klee malt in seinen späten Werken nur noch mögliche Welten, die aus den abstrakten Formen der Subjektivität hervorbrechen. So sehnt er sich nach «dem Ganzen», läßt aber gleichzeitig erkennen, daß die Subjekt-Objekt-Spaltung unüber-windbar ist. (Fs)

53a Kandinsky ist noch abstrakter als der späte Klee, weil er die erstrebte Ganzheit ungegenständlich bzw. rein intuitiv (z. B. durch Färb- und Formkompositionen) ausdrückt. Deshalb führt von Kandinsky ein direkter Weg zu jenen Vertretern eines «Abstrakten Expressionismus»6, die in der Abstraktion von allen Gegenständen (in den transzendentalen Strukturen der Wahrnehmung und des Verstandes) eine alles umfassende Ordnung entdecken wollen. In den Werken von Arshile Gorky (1905-1948) ergibt sich aus einem diffusen Linienlabyrinth die Andeutung einer Gestalt. Und Jackson Pollock (1912-1956) will gerade durch Verzicht auf jede reflektierte Bildstruktur, z. B. durch Malhandlungen (Action Painting), die eine Leinwand spielerisch mit Farben und Linien überziehen, die «Ordnung an sich» aufscheinen lassen. (Fs)

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