Autor: Menke, Karl-Heinz Buch: Die Einzigkeit Jesu Christ Titel: Die Einzigkeit Jesu Christ Stichwort: Neuzeit: Wende zum Subjekt (Verneinung alles Unbedingten) Fritjof Capra, New Age, Enomiya-Lassalle: Aufhebung des einzelnen in das Ganze; Devotio postmoderna
Kurzinhalt: Wenn ich das Universum im Fragment bin, dann bin nicht ich es, der denkt und handelt, sondern das Universum handelt und denkt durch mich ... Das Subjekt, das sich alles unterwerfen wollte, will sich nun in «das Ganze» aufheben.
Textausschnitt: c) Die Verneinung alles Unbedingten
31a Auch wenn man in der Regel mit dem Begriff «Postmoderne» nicht die mit dem Etikett «New Age» versehenen Versuche benennt, eine Antwort auf die via moderna zu finden, möchte ich mich denen anschließen, die mit dem Attribut «postmodern» nicht nur die Verabschiedung jeder Sinnsuche, den totalen Relativismus und Funktionalismus radikaler Pluralität, sondern auch die Beantwortung dieses Phänomens durch alle möglichen Ansätze der Verneinung des Subjekts bezeichnen. Denn das Subjekt, das alles machen zu können meinte (via moderna), erfährt sich nicht nur als gänzlich relativ, als austauschbar und ersetzbar, sondern es möchte sich selbst auflösen; es möchte zurück «in die Unschuld des Anfangs». (Fs) (notabene)
31b Fritjof Capra, der den Begriff «New Age» maßgeblich geprägt hat, sieht die Gegenwart bestimmt von einem objektivierenden und instrumentalisierenden Umgehen des Menschen mit der Wirklichkeit. Und deshalb fordert er die Umkehr der neuzeitlichen Wende zum Subjekt. Der Mensch ist, so sagt er, nicht das transzendentale Subjekt im Sinne Kants und schon gar nicht der von Bacon beschriebene Herr der Natur; er darf sich nicht objektivierend, analysierend und experimentierend zu seiner Umwelt verhalten, sondern er muß existentiell verinnerlichen, was die moderne Physik neu entdeckt hat: die «integrierte Ganzheit». Capra wörtlich: «Im Gegensatz zur mechanistischen kartesianischen Weltanschauung kann man die aus der modernen Physik hervorgehende Weltanschauung mit Worten wie organisch, ganzheitlich und ökologisch charakterisieren. Man könnte sie auch ein Systembild nennen, im Sinne der allgemeinen Systemtheorie. Das Universum wird nicht mehr als Maschine betrachtet, die aus einer Vielzahl von Objekten besteht, sondern muß als ein unteilbares, dynamisches Ganzes beschrieben werden, dessen Teile auf ganz wesentliche Weise in Wechselbeziehung stehen und nur als Strukturen eines Vorganges von kosmischen Dimensionen verstanden werden können.»1 Die Erkenntnis der Physik, daß die kleinsten Teilchen der Materie nicht objektiviert, nicht definiert oder lokalisiert, sondern nur als Beziehungen beschrieben werden können, veranlaßt Capra zu einer «neuen Weltanschauung», die alles mit allem so vernetzt, daß jedes Teilchen aus allen anderen Teilchen besteht. In einem seiner Hauptwerke mit dem bezeichnenden Titel «Das Tao der Physik» beschreibt er die große Übereinstimmung zwischen der chinesischen Weisheitslehre des Tao und der modernen Physik. Capra führt seine neue Sicht alles Seienden auf ein Schlüssel- bzw. Bekehrungserlebnis zurück: «Ich <sah> förmlich» - so berichtet er - «wie sich aus dem Weltenraum Kaskaden von Energie ergossen, in denen in einem rhythmischen Impuls Teilchen erzeugt und zerstört wurden. Ich <sah>, wie sich die Atome der Elemente und jene meines Körpers an diesem kosmischen Tanz der Energien beteiligten; ich fühlte dessen Rhythmus, und ich <hörte> dessen Klang, und in diesem Augenblick wußte ich, daß dies der Tanz Shivas war»2. (Fs)
33a Der Jesuit Hugo M. Enomiya-Lassalle, «der sich in neueren Veröffentlichungen offensichtlich dem New-Age-Weltbild sehr angenähert hat»3, plädiert in seinem Buch mit dem Titel «Am Morgen einer besseren Welt» (Freiburg 1984) für eine Rückkehr aus dem «mentalen» ins «archaische Bewußtsein». Und darunter versteht er nichts anderes als die Aufhebung des eigenen Ich in das allumfassende Ganze einer als heilig bezeichneten Natur. Der einzelne muß sich, so fordert Enomiya-Lassalle, immer intensiver als das Ganze im Fragment verstehen. Entsprechend verweist Eugen Drewermann auf die Archetypenlehre C. G. Jungs; denn in ihr geht es um die Ausschaltung des verfügenden Ich zugunsten des kollektiven Unbewußten, das den einzelnen mit dem Ganzen von Welt und Natur verbindet. (Fs) (notabene)
33b In einer Welt, die Habermas mit dem Buchtitel «Neue Unübersichtlichkeit» gekennzeichnet hat, ist die Versuchung groß, die eigene Verantwortung an ein übergreifendes Ganzes abzutreten, das alles umfaßt, aber von keiner Vernunft kritisch befragt wird. Das Bewußtsein, daß alles mit allem «vernetzt» ist, hat sich zwar auf vielen Feldern wie z. B. im Umgang mit der Natur als segensreich erwiesen; aber eine undifferenzierte Einbeziehung der menschlichen Subjektivität in das von Capra beschriebene Paradigma der Vernetzung verunmöglicht die Verantwortung des Glaubens vor der Vernunft und führt in letzter Konsequenz zur Verleugnung der Einmaligkeit (Freiheit; Personalität) des einzelnen. Wenn ich das Universum im Fragment bin, dann bin nicht ich es, der denkt und handelt, sondern das Universum handelt und denkt durch mich. Wenn auch der Mensch nur als Phänomen jenes Ganzen betrachtet wird, das alles mit allem verbindet, dann entsteht die Gefahr der Entmündigung und Manipulation, dann steht die unantastbare Würde des einzelnen Menschen in Frage. (Fs)
34a In Mitteleuropa haben Organisationen Zulauf, die zumeist in kleinen Gruppen die Aufhebung des einzelnen in das Ganze trainieren1. Ich zitiere folgende Berichte und Kommentare über eine große Veranstaltung aus dem Jahre 1987, die an verschiedenen Orten unter dem Titel «Harmonische Konvergenz» stattfand:
«Zum 16./17. August 1987 hatten eine Reihe von Einzelpersonen und Gruppen im New Age-Netzwerk zu einem geomantischen Fest zur Heilung und Befriedigung der Erde aufgerufen. Weltweit sollten sich Menschen an bestimmten <Orten der Kraft>, an <Plätzen im Herzen von Mutter Erde>, auf heiligen Bergen und an den Kultzentren alter Kulturen zusammenfinden zur <Meditation und Hingabe an den Planeten>. [...] Indem die ersten Abgesandten bei Einbruch der Morgendämmerung der Feuer-Licht-Zeremonie folgen, legen sie ihre Körper in Kreisformation an Schlüsselpunkten des Planeten nieder, die Köpfe auf das Feuer gerichtet, die Füße nach außen gekehrt, rücklings gen Himmel blickend. Die neue Welt dämmert. Planetische Harmonisierung hat sich erfüllt. [...] In Peru sollen sich zur gleichen Zeit 14 auserwählte Menschen mit einem außerirdischen <Helfer der Erde> getroffen und von ihm einen bestimmten Ton empfangen haben. Durch Abstimmen dieses Tones während eines Rituals wird die atomare Struktur bzw. Schwingungsfrequenz dieses Kristalls in der Erdmitte so erhöht, daß die latente Energie dieses Kristalls freigesetzt wird. Die Energie, die dadurch - seit dem 16.8. - im Erdinnern frei wird, strahlt radial zur Erdoberfläche, und das bewirkt die Reinigung der Erde.»2
35a Das Subjekt, das sich alles unterwerfen wollte, will sich nun in «das Ganze» aufheben. Eine neue «Frömmigkeit» macht sich breit, die ich als «Devotio postmoderna» bezeichnen möchte. Sie sucht das Unbedingte weder im Menschen, noch in Gott; und erst recht nicht in einem geschichtlichen Ereignis (in Jesus Christus). Die von Fritjof Capra immer wieder bemühte Relativitätstheorie weist schon mit ihrem Namen darauf hin, daß Relativität die Kategorie ist, die das postmoderne Denken und Fühlen insgesamt beherrscht. Entsprechend sieht der Biochemiker Rupert Sheldrake «die morphogenetischen Felder aller Organismen durch morphische Resonanz miteinander verbunden». Für Capra und Sheldrake ist alles mit allem verbunden; und der einzelne Mensch ist in dem Maße «richtig», als er seine Verbundenheit mit dem Ganzen existentiell einholt. (Fs)
Auch wenn die zitierten Beispiele extrem erscheinen, signalisieren sie doch eine Tendenz, die dem Selbstverständnis des Christen und den zentralen Inhalten des Evangeliums entgegensteht. Die Kirche bekennt, wie gesagt, von einem einzelnen Menschen, daß er nicht nur ein Beispiel erlösten Daseins, sondern der Weg, die Wahrheit und das Leben für alle Menschen aller Zeiten ist; und daß jeder Christ und jede Christin berufen ist, durch, mit und in Jesus Christus eine je einmalige Sendung zu sein bzw. zu erfüllen. Wenn die Kirche ein Kind tauft, dann nicht, weil es andernfalls nicht selig werden könnte, sondern weil es eine einmalige Berufung durch, mit und in Christus ist und diese Berufung in seinem Leben entfalten soll. Analog empfangen Christen das Altarssakrament nicht, weil sie andernfalls keine Gemeinschaft mit Christus haben könnten, sondern um Christus auf je einmalige Weise sichtbar machen zu können. (Fs)
36a Die christliche Anthropologie basiert auf der Anerkennung des einzelnen; auf der auch phänomenologisch aufweisbaren Tatsache, daß die Person des Anderen durch keine Wissenschaft, durch keine Biologie und Medizin, durch keine Psychologie und Soziologie, sondern nur durch Anerkennung ihrer unbedingten Einmaligkeit bzw. Freiheit «erfaßt» wird. Weil der andere unbedingt «der Andere» ist, kann man sein Eigentlichstes, nämlich seine Liebe, nicht begreifen und nicht erzwingen, sondern nur als Geschenk seiner Freiheit (seiner Einmaligkeit) erfahren. Aus dem schmerzlichen Scheitern des alles begreifen und machen wollenden «homo modernus» zieht das Christentum nicht die «postmoderne» Konsequenz der Relativierung des Subjekts, sondern ganz im Gegenteil die Konsequenz einer unbedingten Anerkennung seiner Einmaligkeit - allerdings einer Einmaligkeit, die niemand selbst leisten kann, sondern im gleichzeitigen Empfangen und Geben liebender Anerkennung als Geschenk erfährt. (Fs)
____________________________
|