Autor: Sertillanges A. D. (Gilbert) Buch: Der heilige Thomas von Aquin Titel: Der heilige Summa von Aquin Stichwort: Transzendentalien: Wahrheit (verum) 1; in quod tendit intellectus; das Gute - Begehren = Erkennen - Ding; gött. Erkennen - Ding - menschliches E. Kurzinhalt: Die Wahrheit ist ihrem allgemeinsten Sinne nach das, wonach der erkennende Geist strebt [in quod tendit intellectus]. Dieses Streben ist keine von innen nach außen gehende Bewegung, wie es das Begehren ist, ...
Textausschnitt: Die Wahrheit
70 Die Wahrheit ist ihrem allgemeinsten Sinne nach das, wonach der erkennende Geist strebt [in quod tendit intellectus]. Dieses Streben ist keine von innen nach außen gehende Bewegung, wie es das Begehren ist, das nach einem Gut strebt, sondern es ist eine von außen nach innen gehende Bewegung, indem der Geist sich in seinem Zentrum sammelt, um dort eine Berührung zu gewinnen mit dem, was von außen durch die Sinne in ihn hineingeleitet wird. Es verhält sich so, wie schon oben gesagt wurde: Das Gute als Ziel des Begehrens liegt in den Dingen; das Wahre als Ziel des Erkennens liegt in diesem selbst. (51; Fs)
71 Indessen, wie das in den Dingen liegende Gute das Begehren bestimmt, das auf diese Dinge sich hinrichtet, so bestimmt das im Erkennen liegende Wahre die Dinge, insofern sie auf uns Bezug haben. Wir wissen freilich, daß die Beziehung der Dinge zu uns nichts in ihnen selbst Liegendes ist. Träger dieser Beziehungen sind ja wir. (51; Fs)
72 Die Philosophie des Thomas ist realistisch. sie schreibt den Dingen ihr eigenes Leben zu und betrachtet es als zufällig für ihr Sein, ob sie von uns erkannt sind oder nicht. Nichtsdestoweniger wird man, wenn man an die idealen Beziehungen der Dinge zu uns denkt, sagen, daß die Dinge wahr sind, insofern sie dem Begriff entsprechen, den wir uns von ihnen gemacht haben. (51; Fs)
73 Man sagt von einem Menschen: er ist ein wahrer Mensch, um auszudrücken, daß das also bezeichnete Einzelwesen vollkommen dem Begriff entspricht, den wir uns vom Menschen machen. Von diesem Gesichtspunkt aus ließe sich eine ganze Philosophie der Wahrheit und eine ganze Ästhetik aufbauen. Mehr noch; wenn es auch für die Dinge zufällig ist, ob sie eine Beziehung zu unserm Erkennen haben, da dieses für sie weder Ursache, noch Norm, noch irgend etwas anderes ist, was eine wirkliche Beziehung begründen könnte, so wird die Sache doch anders, sobald wir von der schöpferischen Erkenntnis sprechen. (51; Fs)
74 Die Erkenntnis, die Gott von den Dingen hat, kommt ihm nicht von den Dingen her; sondern die Dinge leiten sich von der Erkenntnis her, die Gott von ihnen hat [scientia Dei est causa rerum]. So geht das Haus aus der künstlerischen Vorstellung des Baumeisters hervor, und dieser beurteilt das Werk, nachdem er es geschaffen hat, nicht aber wird seine Erkenntnis von dem Werk bestimmt. Jedes Ding ist also mit dem göttlichen Geist als seiner Quelle verbunden; es hängt wesentlich von ihm ab; er ist also seine erste Norm. (51f; Fs)
75 Nur mittelbar, insofern unsere Erkenntnis ein Abglanz der schöpferischen Erkenntnis ist, ist die Wahrheit der Dinge auf uns bezogen und insofern von uns abhängig. So sagte Aristoteles, der Weise sei das Maß des Guten und ihm gehöre die Herrschaft: so sagt der heilige Thomas von dem Gottmenschen, er sei 'gewissermaßen ein beseeltes Gesetz und eine beseelte Gerechtigkeit' [quasi quaedam lex et quaedam justitia animata]. (52; Fs)
76 Da nun unsere eigentliche Aussage über ein Ding sich nicht auf das Mittelbare und Zufällige stützen darf; da es aber anderseits für die Dinge zufällig ist, ob sie von uns - die wir nur mittelbar und durch Teilnahme über sie zu urteilen vermögen - in ihrer Wahrheit beurteilt werden, so muß man sagen, daß die transzendentale Wahrheit zuerst und eigentlich in dem Sein der Dinge selbst besteht, insofern es der schöpferischen Erkenntnis entspricht1. (52; Fs)
77 Hierauf beruhen die berühmten Definitionen der Scholastik; die Augustins: 'Die Wahrheit ist die vollkommene Übereinstimmung eines jeden Dings mit seinem Prinzip', die Anselms: 'Die Wahrheit ist die durch den Geist festgestellte Richtigkeit'; die Avicennas: 'Die Wahrheit eines Dinges besteht in der Eigentümlichkeit des Seins, das ihm zugeteilt ist.' Die Definition des Isaak, die Thomas allen andern vorgezogen hat: 'Die Wahrheit ist die Übereinstimmung der Dinge und des erkennenden Geistes' [adaequatio rei et intellectus], hat einen doppelten Sinn. Sie bezeichnet entweder die Wahrheit 'in uns' oder die 'transzendentale' Wahrheit, je nachdem man unter dem erkennenden Geist unsern Geist oder den schöpferischen Geist versteht. (52; Fs)
78 'Zwischen dem göttlichen und menschlichen Erkennen stehend, wird das Naturding wahr genannt, insofern es mit dem einen und dem andern übereinstimmt2.' Diese Formel hat durch ihre Kürze und Allgemeinheit den heiligen Thomas für sich eingenommen und durch ihn ihre große Bedeutung gewonnen3. (52; Fs) (notabene)
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