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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Kategorien: Substanz und Akzidens; substantia prima - secunda; Hypostase, Person

Kurzinhalt: Es läßt sich eine erstige Substanz nicht von einer andern erstigen aussagen, also nicht: Peter ist Paul, wohl aber zweitige Substanz von einer erstigen, also: Peter ist Mensch, ...

Textausschnitt: LXXIa Betrachten wir das Sein an sich, indem wir auf Grund der seienden Dinge seine allgemeine Struktur ins Auge fassen, so findet sich an ihm, nach Thomas, eine doppelte Zusammensetzung: die von Möglichsein und Wirklichsein, die andere von Wesenheit und Dasein. Um diese beiden Angeln bewegt sich die Tür, die zwischen Gott und Welt und Welt und Gott hin und her dem Denken über das Letzte und Eigentliche den Weg bestimmt. (Fs)

a) Die Kategorien Substanz und Akzidens

LXXIb Aus praktischen Gründen scheint es geraten, einige der Griffe und Begriffe zu erkennen, mit denen Thomas, auch hierin auf der Spur des Aristoteles, sich deutlich macht, in welchen Weisen das Sein den Dingen zukommt. Unter diesen Klassen (modi) des Seins, die der Grieche in seinen zehn allgemeinsten begrifflichen Aussagen (Kategorien, praedicamenta) erfaßte, steht allen voran die Scheidung von Seiendem in Substanz und Akzidens (in unserer Übersetzung Selbtrage und Beischaft genannt). Wir finden an einem Ding, daß es warm oder hart oder grün, an einem Menschen, daß er musikalisch ist. Aber Temperatur, Dichte, Farbe, Musikalität sind nicht an und für sich selbst etwas, sondern ein Daran-, Dabeiseiendes. Sie sind nicht Dinge, sondern von Dingen Getragenes und können ohne solche Träger nicht sein. Anders das Sein dieser Träger, des erwärmten Wassers, des harten Steins, der grünen Pflanze, des musikalischen Menschen. Sie sind Substanzen, sie stehen in sich selbst, sie tragen sich selbst, sie sind in sich, nicht in einem andern. Dieses im Begriff Substanz erfaßte Selbständigsein ist sein wesentliches, hauptsächliches Merkmal, das auch auf übermenschliche Wesenheiten zutrifft, im überragenden Sinne auf Gott; nebensächliches Merkmal, das dem Substanzbegriff nur im Hinblick auf die geschöpflichen Substanzen zukommt, ist das Trägersein für Akzidenzien. (Fs)

LXXIIa Thomas war also nicht der Meinung, daß alles fließt. Mag das Wasser fließen - nicht so die Natur des Wassers, die etwas Bleibendes, Festes ist; die Formel H2O zeigt etwas Unveränderliches an. Das Schilf, das im Morgenwind rauscht, hat als In- und Für-sich-Bestehendes eine andere Weise des Seins als der Hauch, der es bewegt, und der Schimmer auf der Libelle, der sich nicht lösen kann, um selbst etwas zu sein, hat sein Dingsein nur in dem Ding Libelle. Das Akzidens geht über seinen Träger nicht hinaus, man soll es eher "eines Seienden" heißen als "ein Sein" (magis proprie dicitur entis quam ens). Diese Natur des Nebenbeiseienden ist auch im Bereich der Tätigkeit festzustellen. Die Sonne leuchtet an sich (per se) durch das Fenster herein, aber wenn ich den Vorhang zurückziehe, der ihr Licht abgehalten hat, so erfolgt es mit diesem Tun nebenher, beischaftlich (per accidens), daß ich das Zimmer erleuchte. (Fs)

LXXIIb Mit Aristoteles unterscheidet auch Thomas eine erstige und zweitige Substanz. Man nennt Substanz an erster Stelle (substantia prima) das tatsächlich daseiende Einzelwesen, etwa diesen Menschen Peter oder Paul, Substanz an zweiter Stelle (substantia secunda) diejenige allgemeine Daseinsweise, nach der ich von jenem Einzelding aussagen kann, was es ist, also von Peter oder Paul die Wesenheit Mensch. Es läßt sich eine erstige Substanz nicht von einer andern erstigen aussagen, also nicht: Peter ist Paul, wohl aber zweitige Substanz von einer erstigen, also: Peter ist Mensch, Paul ist vernunftbegabtes Lebewesen. (Fs) (notabene)

LXXIIIa An den erstigen Substanzen, den individualen, geschlossenen und selbständigen Einzelwesen, läßt sich dreierlei ins Auge fassen: 1. Das geschichtlich konkrete Für-sich-Dasein, etwa dieses individualen Seins Paul. 2. Die Natur oder Wesenheit, durch welche dieses Einzelsein als etwas Bestimmtes an der Wirklichkeit beteiligt ist, hier also die Wesenheit Mensch (humanitas). 3. Die geschlossene, fertige, sich abgrenzende Einzelwesigkeit des Dings, durch die es der besonderte Träger und selbständige Darsteller der auch von andern Dingen getragenen und dargestellten Wesenheit ist: die individuell, unmittelbar in und für sich bestehende Trage des in Gattung und Art bestimmten Seins, in der Sprache der Scholastik das Suppositum oder die Hypostase. (Fs)

LXXIIIb Die Hypostase kann eine vernünftige oder nicht vernünftige sein. Die Verbindung gewisser Elemente begründet dieses ganzheitliche Ding Stein, das ich als solches geschlossenes Zusammen Hypostase nennen kann. Aber das Zusammentreten der Elemente begründet nicht an sich auch immer schon ein ganzheitlich geschlossenes Ding, so beim Tiere nur den Körper, der noch nicht die Hypostase Tier ausmacht; so kräftig und wirksam diese Verbindung der Elemente ist (sie ist dies mehr noch als beim Stein, weil sie auf ein viel höheres Ding abzielt), zum ganzheitlichen Abschluß dieses Tierseins gehört noch etwas anderes, die Seele. Erst als diese Leib-Seele-Verbindung ist es Hypostase einer bestimmten Natur, z. B. der Natur Pferd. In Vollkommenheitsgraden aufsteigend bewegt sich das Substanz-Sein zur höchsten Art der Hypostase im vernunftbegabten Wesen. Diese Form des Für-sich-Seins, des Sich-selbst-Besitzens ist die Person. Persona est suppositum rationale. Sie ist durch die vernünftige Naturanlage Trägerin von freien Handlungen, von Rechten und Pflichten. Was immer fähig des Handelns ist, handelt als Hypostase (actus referuntur ad supposita), und weil ja das Tun nach dem Sein sich richtet, steigert sich die Freiheit und Selbstmächtigkeit des Handelns mit dem Seinsgrad der Hypostase. Weit mehr als dem Tiere, das dem Innenantrieb des Instinkts hörig ist, kommt der vernunftbegabten Natur das Durch-sich-selbst-Handeln (per se agere), die freie Aktivität, zu. (Fs)

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