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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Seinswissenschaft, Ontologie; Denken - Sein (primum cognitum)

Kurzinhalt:
as Erste, was in die Begreifung des Verstandes fällt, ist: Seiend. (Primum, quod cadit in conceptionem intellectus, est ens.) Oder: Immer ist Seiend das Erste, was erkannt wird.

Textausschnitt: 1. Seinswissenschaft

LVb Man kann bei einem Rade nicht sagen, diese oder jene Speiche ist die erste, aber von der Nabe, daß sie für alle das Erste ist: Halt und Mitte, Ausgang und Mündung. So läßt sich das thomistische System von diesem oder jenem Teil aus betrachten, aber man würde immer auf etwas Wichtigeres, eine für alle gemeinsame und unerläßliche Voraussetzung geführt: das ist die Wissenschaft vom Sein - die Ontologie. (Fs)

LVIa Sie hat wie jede Wissenschaft ein logisches Verfahren nötig, d. h. sie muß mit den Mitteln unseres Erkenntnisvermögens, nach seinen Gesetzen und Regeln vorgehen, damit nach Möglichkeit der Gegenstand Besitz werde, so das Vermögen durchdringend wie von ihm durchdrungen. Nicht wird unsere Logik vom Sein der Dinge bestimmt, aber auch nicht das Sein der Dinge von unserer Logik. Beide verhalten sich zueinander ähnlich wie Ding und greifende Hand: jedes ist etwas für sich, aber das greifende Vermögen der Hand, abhängig vom Gesetz ihres Baues, hat sich, damit das Ding gegriffen werde, in der Anwendung nach dem Ding, seiner Art, seiner Form, seinem Bau zu richten. Oder nach dem drastischen Bilde Platons vom guten Dialektiker: er gleicht dem geschickten Koch, der sein Tier vorschneidet, ohne die Knochen zu zerschlagen, indem er den Gelenken folgt, wie die Natur sie vorgezeichnet hat. Indem wir also die Logik, die "die Kunst der Künste darum ist, weil sie in der Tätigkeit der Vernunft uns leitet", als Werkzeug für die Spekulation über das Sein gebrauchen, sprechen wir billig von Ontologie, einer echten Wissenschaft vom Sein. Sie ist dies bei Thomas noch aus einem andern Grunde: wegen des Ausgehens von der Erfahrung. Er fragt, was ist, und aus dem, wovon er gefunden, daß es ist, folgert er, was sich gehört. So, als Empiriker im höchsten Sinne, "steht er mit festen, markigen Knochen auf der wohlgegründeten, dauernden Erde". Alle Einzelwissenschaften, wie die Chemie oder Biologie, haben Seiendes zum Gegenstand, erforschen der Erfahrung gegebene Dinge, von denen wir aussagen können, daß Eines ihnen gemeinsam ist: daß sie sind, da sind, Sein haben. Dieses Sein ist die Urerfahrung, die wir an allem machen, was überhaupt für uns erfahrbar ist. Woran sie gemacht wird, das sind die bewegten, veränderlichen Dinge, die auf dem Wege der sinnlichen Empfängnis uns erregen, aber daß sie gemacht wird, nämlich als alle Einzeldinge übergreifende, sie unter ein allgemeinstes Eines befassende, das ist das Ursprünglichste, worin das Erfassende tätig oder betätigt ist. Um diese Binsenwahrheit zu entdecken, hat es einen Aristoteles gebraucht. Thomas bringt sie auf den Satz: Das Erste, was in die Begreifung des Verstandes fällt, ist: Seiend. (Primum, quod cadit in conceptionem intellectus, est ens.) Oder: Immer ist Seiend das Erste, was erkannt wird. (Ens semper est primum quod cognoscitur.) Dieses Sein also, das unsere Urerfahrung ausmacht, begründet eine Wissenschaft, die nicht über die einzelseienden Dinge hinweg, doch über sie hinaus, vielmehr, wie sich zeigen wird, eindringend in den Bau des Wirklichen, dem sie einbeschlossen sind, ihr Allgemeinsames ins Auge faßt. Sie ist nach Thomas "die Wissenschaft, welche Seiend und das ihm Folgliche betrachtet" (scientia, quae considerat ens et ea quae consequuntur ipsum). (Fs)

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