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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor

Stichwort: Moral: Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens; Totalitarismus - transzendente Wahrheit; Marxismus - nicht weniger ernste Gefahr heute (eg: Liberalismus)

Kurzinhalt: "Der Totalitarismus entsteht aus der Verneinung der Wahrheit im objektiven Sinn: Wenn es keine transzendente Wahrheit gibt, in deren Gefolge der Mensch zu seiner vollen Identität gelangt, ... zeichnet sich heute eine nicht weniger ernste Gefahr ab ...

Textausschnitt: 98. Angesichts der schwerwiegenden Formen sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und politischer Korruption, von denen ganze Völker und Nationen heimgesucht werden, wächst die Empörung unzähliger mit Füßen getretener und in ihren menschlichen Grundrechten gedemütigter Personen, und immer verbreiteter und heftiger macht sich das Verlangen nach radikaler persönlicher und gesellschaftlicher Erneuerung bemerkbar, die allein imstande ist, Gerechtigkeit, Solidarität, Wahrhaftigkeit und Transparenz zu gewährleisten. (Fs)

Sicher bleibt noch ein langer und mühsamer Weg zurückzulegen; zahlreiche, gewaltige Anstrengungen müssen unternommen werden, damit eine solche Erneuerung verwirklicht werden kann; Grund dafür sind auch die Vielfalt und Schwere der Ursachen, welche die heutigen ungerechten Zustände in der Welt erzeugen und nähren. Aber wie die Geschichte und die Erfahrung jedes einzelnen lehren, kann man unschwer an der Wurzel dieser Situationen eigentlich "kulturelle" Ursachen entdecken, das heißt Ursachen, die mit bestimmten Auffassungen vom Menschen, von der Gesellschaft und von der Welt zusammenhängen. Tatsächlich steht im Mittelpunkt der kulturellen Frage das sittliche Empfinden, das seinerseits auf dem religiösen Empfinden beruht und sich in ihm vollendet.1

99. Allein Gott, das höchste Gut, bildet die unverrückbare Grundlage und unersetzbare Voraussetzung der Sittlichkeit, also der Gebote, im besonderen jener negativen Gebote, die immer und auf jeden Fall die mit der Würde jedes Menschen als Person unvereinbaren Verhaltensweisen und Handlungen verbieten. So begegnen sich das höchste Gut und das sittlich Gute in der Wahrheit: der Wahrheit über Gott, den Schöpfer und Erlöser, und der Wahrheit über den von ihm geschaffenen und erlösten Menschen. Nur auf dem Boden dieser Wahrheit ist es möglich, eine erneuerte Gesellschaft aufzubauen und die komplizierten und drückenden Probleme, die sie erschüttern, zu lösen, zuallererst jenes Problem der Überwindung der verschiedenen Formen von Totalitarismus, um der authentischen Freiheit der Person den Weg zu ebnen. "Der Totalitarismus entsteht aus der Verneinung der Wahrheit im objektiven Sinn: Wenn es keine transzendente Wahrheit gibt, in deren Gefolge der Mensch zu seiner vollen Identität gelangt, gibt es kein sicheres Prinzip, das gerechte Beziehungen zwischen den Menschen gewährleistet. Ihr Klasseninteresse, Gruppeninteresse und nationales Interesse bringt sie unweigerlich in Gegensatz zueinander. Wenn die transzendente Wahrheit nicht anerkannt wird, dann triumphiert die Gewalt der Macht und jeder trachtet, bis zum Äußersten von den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch zu machen, um ohne Rücksicht auf die Rechte des anderen sein Interesse und seine Meinung durchzusetzen ... Die Wurzel des modernen Totalitarismus liegt darum in der Verneinung der transzendenten Würde des Menschen, der sichtbares Abbild des unsichtbaren Gottes ist. Eben deshalb, aufgrund seiner Natur, ist er Träger von Rechten, die niemand verletzen darf: weder der einzelne, noch die Gruppe, die Klasse, die Nation oder der Staat. Auch die gesellschaftliche Mehrheit darf das nicht tun, indem sie gegen eine Minderheit vorgeht, sie ausgrenzt, unterdrückt, ausbeutet oder sie zu vernichten versucht".2 (Fs) (notabene)

100. So betont der Katechismus der katholischen Kirche zunächst, daß äuf wirtschaftlichem Gebiet die Achtung der Menschenwürde die Tugend der Mäßigung erfordert, um die Anhänglichkeit an die Güter dieser Welt zu zügeln; die Tugend der Gerechtigkeit, um die Rechte des Nächsten zu wahren und ihm zu geben, was ihm zusteht; und die Solidarität gemäß der Goldenen Regel und der Freigebigkeit des Herrn, denn 'er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen' (2 Kor 8,9)"1, um dann eine Reihe von Verhaltensweisen und von Handlungen, die der menschlichen Würde widersprechen, beim Namen zu nennen: Diebstahl, vorsätzliches Zurückbehalten entliehener oder abhanden gekommener Gegenstände, Geschäftsbetrug (vgl. Dtn 25,13-16), ungerechte Löhne (vgl. Dtn 24,14-15; Jak 5,4), Preiserhöhung durch Ausnützen der Unwissenheit und Not anderer (vgl. Am 8,4-6), Aneignung des Gesellschaftsvermögens eines Unternehmens zur privaten Nutzung, schlecht durchgeführte Arbeiten, Steuerbetrug, Fälschung von Schecks und Rechnungen, übermäßige Ausgaben, Verschwendung usw.2 Und weiter: "Das siebte Gebot verbietet Handlungen und Unternehmungen, die aus irgendeinem Grund - aus Egoismus, wegen einer Ideologie, aus Profitsucht oder in totalitärer Gesinnung - dazu führen, daß Menschen geknechtet, ihrer persönlichen Würde beraubt oder wie Waren gekauft, verkauft oder ausgetauscht werden. Es ist eine Sünde gegen ihre Menschenwürde und ihre Grundrechte, sie gewaltsam zur bloßen Gebrauchsware oder zur Quelle des Profits zu machen. Der hl. Paulus befahl einem christlichen Herrn, seinen christlichen Sklaven 'nicht mehr als Sklaven, sondern als weit mehr: als geliebten Bruder' zu behandeln (Phlm 16)".3

101. Im politischen Bereich gilt es hervorzuheben, daß Wahrhaftigkeit in den Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten, Transparenz in der öffentlichen Verwaltung, Unparteilichkeit im Dienst am Staat, Achtung der Rechte auch der politischen Gegner, Schutz der Rechte der Angeklagten gegen summarische Verfahren und Verurteilungen, richtige und gewissenhafte Verwendung der öffentlichen Gelder, Ablehnung zweifelhafter oder unerlaubter Mittel, um die Macht um jeden Preis zu erobern, festzuhalten und zu vermehren, Prinzipien sind, die ihre erste Wurzel - wie auch ihre einzigartige Dringlichkeit - im transzendenten Wert der Person und in den objektiven sittlichen Erfordernissen für das Funktionieren der Staaten haben.4 Wenn sie nicht eingehalten werden, zerbricht das Fundament des politischen Zusammenlebens, und das ganze gesellschaftliche Leben wird dadurch fortschreitend beeinträchtigt, bedroht und der Auflösung preisgegeben (vgl. Ps 14,3-4; Offb 18,2-3.9-24). Nach dem Niedergang der Ideologien in vielen Ländern, die die Politik mit einem totalitären Weltbild verbanden - unter ihnen vor allem der Marxismus -, zeichnet sich heute eine nicht weniger ernste Gefahr ab angesichts der Verneinung der Grundrechte der menschlichen Person und der Auflösung der im Herzen jedes Menschenwesens wohnenden religiösen Frage in politische Kategorien: Es ist die Gefahr der Verbindung zwischen Demokratie und ethischem Relativismus, die dem bürgerlichen Zusammenleben jeden sicheren sittlichen Bezugspunkt nimmt, ja mehr noch, es der Anerkennung von Wahrheit beraubt. Denn "wenn es keine letzte Wahrheit gibt, die das politische Handeln leitet und ihm Orientierung gibt, dann können die Ideen und Überzeugungen leicht für Machtzwecke mißbraucht werden. Eine Demokratie ohne Werte verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus".5

In allen Bereichen des persönlichen, familiären, gesellschaftlichen und politischen Lebens leistet also die Moral - die sich auf die Wahrheit gründet und sich in der Wahrheit der authentischen Freiheit öffnet - nicht nur dem einzelnen Menschen und seinem Wachstum im Guten, sondern auch der Gesellschaft und ihrer wahren Entwicklung einen ursprünglichen, unersetzlichen und äußerst wertvollen Dienst. (Fs)

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