Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef Buch: Enzyklika Veritatis splendor Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor Stichwort: Vatikanum 2: Vernunft - Sittengesetz; Naturgesetz; partizipative Theonomie
Kurzinhalt: Das Naturgesetz ist nämlich, wie wir gesehen haben, "nichts anderes als das von Gott uns eingegebene Licht des Verstandes.
Textausschnitt: 40. Die Lehre des Konzils unterstreicht einerseits die aktive Rolle der menschlichen Vernunft bei der Auffindung und Anwendung des Sittengesetzes: Das sittliche Leben erfordert die Kreativität und den Einfallsreichtum, die der Person eigen und Quelle und Grund ihres freien und bewußten Handelns sind. Andererseits schöpft die Vernunft ihre Wahrheit und ihre Autorität aus dem ewigen Gesetz, das nichts anderes als die göttliche Weisheit ist.1 Dem sittlichen Leben liegt also das Prinzip einer "richtigen Autonomie"2 des Menschen als Person und Subjekt seiner Handlungen zugrunde. Das Sittengesetz kommt von Gott und findet immer in ihm seine Quelle: Aufgrund der natürlichen Vernunft, die aus der göttlichen Weisheit stammt, ist es zugleich das dem Menschen eigene Gesetz. Das Naturgesetz ist nämlich, wie wir gesehen haben, "nichts anderes als das von Gott uns eingegebene Licht des Verstandes. Dank seiner wissen wir, was man tun und was man meiden soll. Dieses Licht und dieses Gesetz hat uns Gott bei der Erschaffung geschenkt".3 Die richtige Autonomie der praktischen Vernunft bedeutet, daß der Mensch ein ihm eigenes, vom Schöpfer empfangenes Gesetz als Eigenbesitz in sich trägt. Doch die Autnomie der Vernunft kann nicht die Erschaffung der Werte und sittlichen Normen durch die Vernunft bedeuten.4 Würde eine solche Autonomie die Leugnung der Teilhabe der praktischen Vernunft an der Weisheit des göttlichen Schöpfers und Gesetzgebers einschließen oder einer schöpferischen Freiheit das Wort reden, die je nach den historischen Umständen oder der Verschiedenheit von Gesellschaften und Kulturen sittliche Normen hervorbringt, dann stünde eine solchermaßen verfochtene Autonomie im Gegensatz zur Lehre der Kirche über die Wahrheit vom Menschen.5 Sie wäre der Tod der wahren Freiheit: "Doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse sollst du nicht essen; denn wenn du davon ißt, wirst du sterben" (Gen 2,17). (Fs)
41. Wahre sittliche Autonomie des Menschen bedeutet in der Tat nicht Ablehnung, sondern nur Annahme des Sittengesetzes, des Gebotes Gottes: "Gott der Herr gebot dem Menschen..." (Gen 2,16). Die Freiheit des Menschen und das Gesetz Gottes begegnen einander und sind aufgerufen, sich im Sinne des freien Gehorsams des Menschen gegenüber Gott und des unverdienten Wohlwollens Gottes gegenüber dem Menschen gegenseitig zu durchdringen. Der Gehorsam Gott gegenüber ist daher nicht, wie manche meinen, eine Heteronomie, so als wäre das moralische Leben dem Willen einer absoluten Allmacht außerhalb des Menschen unterworfen, die der Behauptung seiner Freiheit widerspricht. Wenn Heteronomie der Moral tatsächlich Leugnung der Selbstbestimmung des Menschen oder Auferlegung von Normen bedeutete, die mit seinem Wohl nichts zu tun haben, dann stünde sie im Gegensatz zur Offenbarung des Bundes und der erlösenden Menschwerdung Gottes. Eine solche Heteronomie wäre nur eine Form von Entfremdung, die der göttlichen Weisheit und der Würde der menschlichen Person widerspricht. (Fs)
Manche sprechen mit Recht von Theonomie oder von partizipativer Theonomie, weil der freie Gehorsam des Menschen dem Gesetz Gottes gegenüber in der Tat die Teilhabe der menschlichen Vernunft und des menschlichen Willens an der Weisheit und Vorsehung Gottes einschließt. Wenn Gott dem Menschen verbietet, "vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen", sagt er damit, daß der Mensch diese "Erkenntnis" nicht als ursprünglichen Eigenbesitz in sich trägt, sondern nur durch das Licht der natürlichen Vernunft und der göttlichen Offenbarung, die ihm die Forderungen und Appelle der ewigen Weisheit kundtun, daran teilhat. Das Gesetz muß also Ausdruck der göttlichen Weisheit genannt werden: Indem sich die Freiheit ihm unterwirft, unterwirft sie sich der Wahrheit der Schöpfung. Darum müssen wir in der Freiheit der menschlichen Person das Abbild und die Nähe Gottes anerkennen, der "in allen gegenwärtig ist" (vgl. Eph 4,6); zugleich müssen wir die Majestät des Gottes des Alls anerkennen und die Heiligkeit des Gesetzes des unendlich transzendenten Gottes verehren. Deus semper maior.6 (Fs) (notabene)
Wohl dem Mann, der Freude hat an der Weisung des Herrn (vgl. Ps 1,1-2)
42. Die der Freiheit Gottes nachgebildete Freiheit des Menschen wird durch dessen Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes nicht nur nicht verneint, sondern vielmehr bleibt sie erst durch diesen Gehorsam in der Wahrheit und entspricht der Würde des Menschen, wie das Konzil offen schreibt: "Die Würde des Menschen verlangt, daß er in bewußter und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem innerem Drang oder unter bloßem äußerem Zwang. Eine solche Würde erwirbt der Mensch, wenn er sich aus aller Knechtschaft der Leidenschaften befreit und sein Ziel in freier Wahl des Guten verfolgt sowie sich die geeigneten Hilfsmittel wirksam und in angestrengtem Bemühen verschafft".7 (Fs)
In seinem Streben nach Gott, dem, der "allein gut ist", muß der Mensch in freier Entscheidung das Gute tun und das Böse meiden. Aber dazu muß der Mensch das Gute vom Bösen unterscheiden können. Und das erfolgt vor allem dank des Lichtes der natürlichen Vernunft, Widerschein des Glanzes von Gottes Angesicht im Menschen. In diesem Sinne schreibt der hl. Thomas, einen Vers des 4. Psalms kommentierend: "Nachdem der Psalmist gesagt hat: Bringt rechte Opfer dar! (Ps 4,6), als ob ihn Leute nach den Werken der Gerechtigkeit gefragt hätten, fügt er hinzu: Viele sagen: 'Wer macht uns das Gute sehen?' Und als Antwort auf die Frage sagt er: Herr, laß dein Angesicht über uns leuchten! Als wollte er sagen, daß das Licht der natürlichen Vernunft, mit der wir das Gute vom Bösen unterscheiden - wofür das Naturgesetz zuständig ist -, nichts anderes als ein Abdruck des göttlichen Lichtes in uns ist".8 Daraus folgt auch, warum dieses Gesetz Naturgesetz genannt wird: Es wird so genannt nicht im Blick auf die Natur der vernunftlosen Wesen, sondern weil die Vernunft, die dieses Gesetz erläßt, zur menschlichen Natur gehört.9 (Fs) (notabene)
____________________________
|