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Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef

Buch: Enzyklika Veritatis splendor

Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor

Stichwort: Genesis; Freiheit - Gesetz; Baum der Erkenntnis - moderne Autonomie

Kurzinhalt: Eine derart verstandene Autonomie führt natürlich auch dazu, daß eine spezifische Kompetenz der Kirche und ihres Lehramtes hinsichtlich bestimmter, das sogenannte "Humanum" betreffender sittlicher Normen geleugnet wird:

Textausschnitt: 35. Im Buch Genesis lesen wir: "Gott der Herr gebot dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn wenn du davon ißt, wirst du sterben" (Gen 2,16-17). (Fs)

Mit diesem Bild lehrt uns die Offenbarung, daß die Macht, über Gut und Böse zu entscheiden, nicht dem Menschen, sondern allein Gott zusteht. Gewiß, der Mensch ist von dem Augenblick an frei, in dem er die Gebote Gottes erkennen und aufnehmen kann. Und er ist im Besitz einer sehr weitgehenden Freiheit, denn er darf "von allen Bäumen des Gartens" essen. Aber es ist keine unbegrenzte Freiheit: Sie muß vor dem "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" haltmachen, da sie dazu berufen ist, das Sittengesetz, das Gott dem Menschen gibt, anzunehmen. Tatsächlich findet gerade in dieser Annahme die Freiheit des Menschen ihre wahre und volle Verwirklichung. Gott, der allein gut ist, erkennt genau, was für den Menschen gut ist, und kraft seiner eigenen Liebe legt er ihm dies in den Geboten vor. (Fs)

Das Gesetz Gottes mindert also die Freiheit des Menschen nicht und noch weniger schaltet es sie aus, im Gegenteil, es garantiert und fördert sie. Ganz anders bilden jedoch manche der heutigen kulturellen Strömungen den Ausgangspunkt zahlreicher Richtungen der Ethik, welche einen mutmaßlichen Konflikt zwischen der Freiheit und dem Gesetz in den Mittelpunkt ihres Denkens stellen. Solcher Art sind die Lehren, die den einzelnen oder sozialen Gruppen die Fähigkeit und Befugnis zuschreiben, über Gut und Böse zu entscheiden: Die menschliche Freiheit könnte "die Werte schaffen" und würde einen Primat über die Wahrheit besitzen; ja, die Wahrheit würde sogar selbst als eine Schöpfung der Freiheit angesehen. Somit würde diese also eine solche moralische Autonomie beanspruchen, die praktisch ihre absolute Souveränität bedeuten würde. (Fs)

36. Der moderne Autonomieanspruch hat natürlich seinen Einfluß auch im Bereich der katholischen Moraltheologie ausgeübt. Auch wenn diese sicher nie die menschliche Freiheit dem göttlichen Gesetz entgegensetzen noch das Vorhandensein einer letzten religiösen Grundlage der sittlichen Normen in Frage stellen wollte, wurde sie doch zu einem gründlichen Überdenken der Rolle der Vernunft und des Glaubens bei der Begründung einzelner sittlicher Normen herausgefordert, die sich auf bestimmte "innerweltliche" Verhaltensweisen gegenüber sich selbst, gegenüber den anderen und gegenüber der Sachwelt (Welt der Dinge) beziehen. (Fs)

Man muß anerkennen, daß am Beginn dieses Bemühens um Neubesinnung einige berechtigte Anliegen stehen, die allerdings zu einem guten Teil zur besten Tradition katholischen Denkens gehören. Vom II. Vatikanischen Konzil gedrängt,1 wollte man den Dialog mit der modernen Kultur dadurch fördern, daß man den rationalen - und damit universal verständlichen und mitteilbaren - Charakter der dem Bereich des natürlichen Moralgesetzes zugehörigen sittlichen Normen an den Tag legte.2 Darüber hinaus wollte man den innerlichen Charakter sittlicher Forderungen bekräftigen, die aus dem natürlichen Sittengesetz hervorgehen und sich dem Willen nur kraft ihrer vorhergehenden Anerkennung durch die menschliche Vernunft und, konkret, das persönliche Gewissen als Verpflichtung auferlegen. (Fs)

Indem jedoch die Abhängigkeit der menschlichen Vernunft von der göttlichen Weisheit und - im gegenwärtigen Zustand der gefallenen Natur - die Notwendigkeit und Tatsächlichkeit der göttlichen Offenbarung für die Kenntnis auch natürlicher sittlicher Wahrheiten3 in Vergessenheit gerieten, sind einige zu der Theorie einer vollständigen Souveränität der Vernunft im Bereich der sittlichen Normen gelangt, die sich auf die richtige Ordnung des Lebens in dieser Welt beziehen: Diese Normen stellten den Bereich einer rein "menschlichen" Moral dar, das heißt, sie wären Ausdruck eines Gesetzes, das der Mensch sich autonom selbst gibt und das seine Quelle ausschließlich in der menschlichen Vernunft hat. Als Urheber dieses Gesetzes könnte keinesfalls Gott angesehen werden, außer in dem Sinne, daß die menschliche Vernunft ihre Gesetzgebungsautonomie aufgrund einer ursprünglichen Gesamtermächtigung Gottes an den Menschen ausübt. Diese angestrebten Überlegungen haben nun dazu geführt, gegen die Heilige Schrift und die feststehende Lehre der Kirche zu leugnen, daß das natürliche Sittengesetz Gott als seinen Urheber hat und daß der Mensch durch seine Vernunft an dem ewigen Gesetz teilhat, dessen Festlegung nicht ihm zusteht. (Fs)

37. Da man jedoch das sittliche Leben in einem christlichen Rahmen erhalten wollte, wurde von einigen Moraltheologen eine scharfe, der katholischen Lehre widersprechende4 Unterscheidung eingeführt zwischen einer sittlichen Ordnung, die menschlichen Ursprungs sei und nur innerweltlichen Wert habe, und einer Heilsordnung, für die nur bestimmte Absichten und innere Haltungen im Hinblick auf Gott und den Nächsten Bedeutung hätten. Folglich gelangte man dahin, das Vorhandensein eines spezifischen und konkreten, universal gültigen und bleibenden sittlichen Gehaltes der göttlichen Offenbarung zu leugnen: Das heute bindende Wort Gottes würde sich darauf beschränken, eine Ermahnung, eine allgemeine "Paränese" anzubieten; sie mit wahrhaft öbjektiven", d.h. an die konkrete geschichtliche Situation angepaßten, normativen Bestimmungen aufzufüllen, wäre dann allein Aufgabe der autonomen Vernunft. Eine derart verstandene Autonomie führt natürlich auch dazu, daß eine spezifische Kompetenz der Kirche und ihres Lehramtes hinsichtlich bestimmter, das sogenannte "Humanum" betreffender sittlicher Normen geleugnet wird: Sie gehörten nicht zum eigentlichen Inhalt der Offenbarung und wären, als solche, im Hinblick auf das Heil nicht von Bedeutung. (Fs) (notabene)
Eine solche Auslegung der Autonomie der menschlichen Vernunft führt, wie jeder sieht, zu Thesen, die mit der katholischen Lehre unvereinbar sind. (Fs)

In einem solchen Zusammenhang müssen unbedingt die Grundbegriffe der menschlichen Freiheit und des Moralgesetzes sowie ihre tiefen, inneren Beziehungen im Lichte des Wortes Gottes und der lebendigen Überlieferung der Kirche geklärt werden. Nur so wird es möglich sein, den berechtigten Ansprüchen menschlicher Vernunft dadurch zu entsprechen, daß man die gültigen Elemente einiger Strömungen der heutigen Moraltheologie integriert, ohne das moralische Erbgut der Kirche durch Thesen zu beeinträchtigen, die aus einem falschen Autonomiebegriff herrühren. (Fs)
Gott wollte den Menschen "der Macht der eigenen Entscheidung überlassen" (Sir 15,14)

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