Autor: Johannes Paul II - Wojtyla, Karol Józef Buch: Enzyklika Veritatis splendor Titel: Johannes Paul II., Veritatis splendor Stichwort: Augustinus, Paulus, Dialektik: altes Gesetz - neues Gesetz (Gnade); Thomas: das Neue Gesetz
Kurzinhalt: Diese unauflösliche Verbindung zwischen der Gnade des Herrn und der Freiheit des Menschen, zwischen der Gabe und der Aufgabe hat der hl. Augustinus mit schlichten und tiefen Worten zum Ausdruck gebracht, wenn er betet: ... Textausschnitt: 23. "Das Gesetz des Geistes und des Lebens in Jesus Christus hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes" (Röm 8,2). Mit diesen Worten leitet uns der Apostel Paulus an, das Verhältnis zwischen dem (alten) Gesetz und der Gnade (neues Gesetz) in der Perspektive der Heilsgeschichte, die sich in Christus erfüllt hat, zu betrachten. Er erkennt die erzieherische Rolle des Gesetzes an, das dem sündigen Menschen ermöglicht, sein Unvermögen zu ermessen, und ihn dadurch, daß er ihm die Anmaßung der Selbstgenügsamkeit nimmt, für die Anrufung und Annahme des "Lebens im Geiste" öffnet: in diesem neuen Leben ist die Einhaltung der Gebote Gottes möglich. Durch den Glauben an Christus sind wir gerecht geworden (vgl. Röm 3,28): die "Gerechtigkeit", die das Gesetz fordert, aber keinem zu verleihen vermag, findet jeder Gläubige vom Herrn Jesus bekundet und verliehen. So faßt der hl. Augustinus wiederum auf wunderbare Weise die paulinische Dialektik von Gesetz und Gnade zusammen: "Deswegen ist das Gesetz gegeben worden, damit man die Gnade erbitte; die Gnade wurde gegeben, damit man das Gesetz befolge".1 Die Liebe und das Leben nach dem Evangelium dürfen nicht zuerst in der Gestalt des Gebots gedacht werden, denn das, was sie verlangen, geht über die Kräfte des Menschen hinaus: sie sind nur möglich als Frucht einer Gabe Gottes, der durch seine Gnade das Herz des Menschen heil und gesund macht und es umgestaltet: "Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit kamen durch Jesus Christus" (Joh 1,17). Darum ist die Verheißung des ewigen Lebens an die Gabe der Gnade gebunden, und das Geschenk des Geistes, das wir empfangen haben, ist bereits "der erste Anteil unseres Erbes" (Eph 1,14). (Fs)
24. So offenbaren sich das Gebot der Liebe und jenes der Vollkommenheit, auf die ersteres hingeordnet ist, in ihrer authentischen Ursprünglichkeit: Es ist eine Möglichkeit, die dem Menschen ausschließlich von der Gnade, von der Gabe Gottes, von seiner Liebe, eröffnet wird. Andererseits bewirkt und trägt das Bewußtsein, in Jesus Christus die Liebe Gottes zu besitzen, die verantwortliche Antwort für eine volle Liebe zu Gott und unter den Brüdern, wie der Apostel Johannes in seinem ersten Brief eindringlich in Erinnerung bringt: "Liebe Brüder, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe ... Liebe Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben ... Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat" (1 Joh 4,7-8.11.19). (Fs)
Diese unauflösliche Verbindung zwischen der Gnade des Herrn und der Freiheit des Menschen, zwischen der Gabe und der Aufgabe hat der hl. Augustinus mit schlichten und tiefen Worten zum Ausdruck gebracht, wenn er betet: "Da quod iubes et iube quod vis" (Gib, was Du gebietest, und gebiete, was Du willst).2
Die Gabe mindert nicht, sondern vermehrt die sittlichen Forderungen der Liebe: Ünd das ist sein Gebot: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie es seinem Gebot entspricht" (1 Joh 3,23). Nur unter der Bedingung, daß man die Gebote hält, kann man, wie Jesus sagt, in der Liebe "bleiben": "Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe" (Joh 15,10). Der hl. Thomas, der die Sinnspitze der moralischen Botschaft Jesu und der Verkündigung der Apostel erfaßte, konnte in Wiedergabe einer großartigen Zusammenschau der großen Traditionen der Kirchenväter des Ostens und des Westens, insbesondere des hl. Augustinus,3 schreiben: das Neue Gesetz ist die durch den Glauben an Christus gewährte Gnade des Heiligen Geistes.4 Die äußeren Vorschriften, von denen das Evangelium auch redet, bereiten auf diese Gnade vor oder bringen deren Wirkungen im Leben zum Tragen. Das Neue Gesetz begnügt sich nämlich nicht damit zu sagen, was man tun muß, sondern es verleiht auch die Kraft, "die Wahrheit zu tun" (vgl. Joh 3,21). Gleichzeitig hat der hl. Johannes Chrysosthomos angemerkt, daß das Neue Gesetz genau da gegeben wurde, als der Heilige Geist vom Himmel herabkam, und daß die Apostel nicht vom Berg herabstiegen "mit Steintafeln in ihren Händen wie Mose; sondern sie kamen und trugen den Heiligen Geist in ihren Herzen ..., nachdem sie durch seine Gnade zu einem lebendigen Gesetz, zu einem beseelten Buch geworden waren".5
"Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20)
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