Autor: Brandmüller, Walter Buch: Licht und Schatten Titel: Licht und Schatten Stichwort: Theologie, Theologen - Arroganz; "Kölner Erklärung", "Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie"
Kurzinhalt: Was hingegen interessiert, sind in der Hauptsache politische, soziologische, religionswissenschaftliche Fragen - und natürlich solche aus dem Bereich des Ökumenismus. Das "Lima-Dokument" wird da genannt und die "konziliare Bewegung für Friede, ...
Textausschnitt: 196b Daß sich die katholische Theologie im deutschen Sprachraum in einer Krise ihres wissenschaftlichen Selbstverständnisses befindet, ja daß diese Krise ihrem Kulminationspunkt raschen Schrittes entgegeneilt, ist jedem klar, der die theologische Szene überblickt. (Fs)
Die sog. "Kölner Erklärung" vom 25. Januar 1989, die noch im gleichen Jahr erfolgte Gründung der "Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie" und zuletzt die Reaktionen auf die Erklärung der Glaubenskongregation über das Verhältnis der Theologie zum kirchlichen Lehramt haben jeden Zweifel an der Krisenhaftigkeit der gegenwärtigen Situation der Theologie beseitigt. Daß es sich bei all diesen Äußerungen und Initiativen um eine planvolle Aktion handelt, geht daraus hervor, daß die Initiatoren der "Kölner Erklärung" mit jenen der "Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie" identisch sind. Auch sind die Mitglieder des am 1. und 2. Dezember 1989 zu Mainz gewählten Vorstands dieser Gesellschaft, soweit sie deutscher Zunge sind, Unterzeichner der "Kölner Erklärung". Unter diesen Umständen liegt es mehr als nahe, anzunehmen, daß die eigentliche Raison d'etre dieser Gesellschaft die Propagierung von Intentionen und Inhalt der "Kölner Erklärung" sein soll. Es stellt sich auch die Frage, ob solche Initiativen ohne Ermutigung von autoritativer Seite erfolgt wären. (Fs)
Es ist deshalb angebracht, zunächst die "Anregungen für die Arbeit der nächsten Jahre der Gesellschaft" im Lichte der erwähnten Tatsachen und Umstände zu lesen:
"Der Theologie in Europa stellen sich im Dienst an Kirche und Gesellschaft spezifische Aufgaben. Sie beruhen u. a. auf folgenden Herausforderungen:
Der christliche Glaube wird von einer Minderheit gelebt. In manchen Städten werden nicht einmal mehr 10% der Kinder christlich getauft. Vielen scheint er nicht mehr geeignet, die Welt für morgen entscheidend zu prägen. 2. Religion ist gefragt, aber weniger in den Großkirchen. 3. Der Konsens in grundlegenden sittlichen Kriterien ist in den Gesellschaften immer schwerer erreichbar. 4. Die ökumenische Bewegung der Christen stagniert in vielen Punkten. 5. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau wird derzeit grundlegend neu bestimmt. Von der Frauenbewegung gehen wichtige Impulse aus. 6. Die Verantwortung für die künftigen Generationen wird unausweichlich. 7. Das ökonomisch und politisch entwickelte Europa trägt immer mehr Verantwortung in Beziehung zur Welt der armen Länder. 8. Die europäische Integrierung verlangt Versöhnung, neue Strukturen und - aus geschichtlicher Erfahrung -Besonnenheit. 9. Das Zusammenwachsen der Länder und Kulturen verlangt ein neues Verstehen der Geschichte. 10. Auch in Europa begegnen die Christen anderen Religionen, müssen sie respektieren und ihr Verhältnis zu ihnen überdenken. (Fs)
197a Auf der Basis einer solchen Analyse stellen sich folgende Fragen: 1. Welche Zeichen der Zeit helfen oder hindern, das Evangelium in Wort und Tat zu vermitteln? 2. Gibt es neue Bewegungen im europäischen Christentum und welche Chancen haben sie? 3. Welche neuen ethischen Fragen und Antworten (Normen, Tugenden, Institutionen) bieten sich an? 4. Welche Erneuerungen braucht der kirchliche Dienst der Theologie? 5. Kann die Erneuerung der katholischen Kirche auf der Basis von Konzil und Landessynoden weitergeführt werden?
Diese Frage richtet sich vor allem auf die Möglichkeiten der 'actuosa participatio' an der kirchlichen 'communio'. Kirche und Gesellschaft werden als Räume für das freie Wort und für aufbauende Kritik aus theologischem Sachverstand wahrgenommen und ausgebaut. Offenes Gespräch, wissenschaftlicher Anspruch, Dienst an der ganzen Kirche und an der Würde des Menschen sind Voraussetzungen für die Arbeit. (Fs)
Die Gesellschaft sieht im kirchlichen Amt der Theologen und Theologinnen einen eigenständigen Dienst am Volke Gottes. Sie engagiert sich auf der Basis des 2. Vatikanischen Konzils für die Anliegen des 'Lima-Dokumentes' und der konziliaren Bewegung für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Diese Anregungen wurden am 2. Dezember 1989 von der Gründungsversammlung beraten. Änderungswünsche sind aufgenommen." (Fs)
198a Gewiß, in diesem Text werden zweifellos zunächst nur einige richtige Beobachtungen referiert und dann aus ihnen zum Teil berechtigte Fragen an die Theologie von heute abgeleitet. Antworten werden nicht gegeben, inhaltliche Positionen nicht bezogen. Dennoch aber ist daraus nicht weniges über die Standpunkte und Ziele der Verfasser zu entnehmen. Dem aufmerksamen Leser fallt sogleich auf, daß hier weder Fragen theologischer Grundlagenforschung gestellt, noch entsprechende Forschungsprojekte formuliert werden. Es gibt doch so viele Desiderata für die wissenschaftliche Theologie, und - etwa durch die Möglichkeiten der EDV - auch bedeutende Hilfen zu deren Erfüllung! Man denke hierbei nur an notwendige, modernen Anforderungen genügende Editionen theologischer Quellen und Literatur. Erforschung der kirchlichen Überlieferung scheint von den Verfassern dieses Programms überhaupt nicht als Aufgabe empfunden zu werden. Das gilt selbst von der Heiligen Schrift. Ebenso schwerwiegend, wenn nicht geradezu alarmierend ist es jedoch, wenn in diesem Themenkatalog weder von Gott, dem Einen und Dreieinen, dem Schöpfer, weder von Jesus Christus, von Sünde und Erlösung, von Gnade und den Sakramenten, noch von Maria, der Jungfrau und Gottesmutter, die Rede ist. Auch die so bedrängenden Themen der Eschatologie fehlen vollständig. In diesem ganzen Programm erscheint kein einziger Glaubensartikel, ja nicht einmal eines der Probleme der Glaubensbegründung als nachdenkenswert. Und: Wenn man sich schon der Aktualität verpflichtet fühlt - warum stellt man dann nicht die jeden einzelnen unmittelbar berührenden Fragen nach Abtreibung und Euthanasie den Moraltheologen zum Thema?
Was hingegen interessiert, sind in der Hauptsache politische, soziologische, religionswissenschaftliche Fragen - und natürlich solche aus dem Bereich des Ökumenismus. Das "Lima-Dokument" wird da genannt und die "konziliare Bewegung für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung". Dabei ist offenkundig, daß die Positionen des "Lima-Papiers" bejaht werden, obgleich davon bei den nichtkatholischen Gesprächspartnern zumal, aber auch bei der katholischen Kirche keine Rede sein kann. (Fs)
Mit einem solchen Vorgehen wird allerdings katholische Theologie, ja Theologie überhaupt, ihres ureigensten Gegenstands beraubt, und de facto zu einem Spezialfall von Soziologie, Psychologie und Politologie ausgedünnt. (Fs)
199a Davon, daß Theologie mit der Offenbarung Gottes als ihrem eigentlichen Gegenstand steht und fällt, ist im Programm dieser Gesellschaft wenig, wenn überhaupt etwas zu erkennen. Bleibt der die Theologie in ihrem eigensten Wesen bestimmende Offenbarungsbezug jedoch dergestalt im Dunkeln, so läßt sich auch kein Bezug von Theologie auf Kirche und kirchliches Lehramt ermitteln. Beides, Kirche und Lehramt, sind ja nur dann mehr als soziologische Größen, wenn ihnen kraft göttlicher Stiftung göttliche Offenbarung zu Wahrung und Verkündigung anvertraut und die Authentizität bzw. Unverfälschtheit des durch die Kirche Bewahrten und Verkündeten vom göttlichen Stifter der Kirche gewährleistet werden. Theologie, in rechtem Verstand, nimmt deshalb ihren Gegenstand, Gottes Offenbarung, aus den Händen der Kirche entgegen, um ihn sodann in der der Sache geschuldeten Ehrfurcht mit Hilfe aller dem Gegenstand adäquaten Methoden wissenschaftlich zu befragen und so tiefer eindringend zu erkennen und darzustellen. (Fs) (notabene)
199b Eine ganz andere Sprache spricht da doch unsere Gesellschaft, wenn sie die Absicht äußert, "Kirche und Gesellschaft... als Freiräume für das freie Wort und für aufbauende Kritik aus theologischem Sachverstand" in Anspruch zu nehmen. Auch ist von einem "kirchlichen Amt der Theologen und Theologinnen" und von deren "eigenständigen (!) Dienst am Volke Gottes" die Rede. Überlieferung und Lehramt der Kirche werden hingegen nicht einmal erwähnt. Wie auf solche Weise der ausdrücklich erhobene "wissenschaftliche Anspruch" derartiger "Theologie" begründet werden könnte, ist schwer zu sehen. (Fs) ____________________________
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