Autor: Brandmüller, Walter Buch: Licht und Schatten Titel: Licht und Schatten Stichwort: Theologie, Theologien, Staatstheologen; "voraussetzungslosen Wissenschaft"; theologische Fakultät - staatliche Universität
Kurzinhalt: Mit rein institutionellen Veränderungen wird nichts, aber auch gar nichts besser! Dergleichen hängt nahezu ausschließlich an den Personen, die damit befaßt sind. Keiner von den heute mit Recht kritisierten Theologen ist ohne das kirchliche Placet ... Textausschnitt: 191a In dem umfassenden Problemfeld, das die Entstehung des modernen liberalen Staates nach 1848 geschaffen hat, waren die theologischen Fakultäten von Anfang an ein Punkt, an dem sich staatliche und kirchliche Interessen trafen, an dem die Bestrebungen des deutschen Katholizismus, sich von der Staatsomnipotenz zu emanzipieren, ansetzten. Im Vorfeld des Ersten Vatikanums, angeheizt durch die Diskussion um den Syllabus Pius' IX. und durch Bischof von Ketteler, der seinen Priesternachwuchs von der kurzlebigen Gießener Fakultät abzog und für dessen Ausbildung das Mainzer Priesterseminar zu einer hervorragenden theologischen Schule machte, flackert die Auseinandersetzung über die "Staatsfakultäten" immer wieder auf. Dabei waren es gerade Ultramontane, die mit ihrer Tendenz, das kirchliche Leben aus den Fesseln des Obrigkeitsstaates zu befreien, die "Entstaatlichung" der Priesterausbildung ebenso forderten wie eine Trennung von Staat und Kirche überhaupt. Der weltanschaulich liberale, politisch sich aber um so autoritärer gebärdende Staat war ihr eigentlicher Widerpart. (Fs)
Doch das war nicht die einzige ultramontane Position. So bedeutende Exponenten einer entschieden kirchlichen, rom-orientierten Richtung wie Franz Xaver Hettinger und Joseph Hergenröther - beide Würzburger Universitätsprofessoren und anerkannte Gelehrte, der letztere durch Leo XIII. zum Kardinal erhoben - waren geradezu begeisterte Befürworter der "Staatsfakultäten". Es waren wohl auch ihre persönlichen, sehr positiven Erfahrungen mit der Würzburger neuscholastisch dominierten Fakultät, die sie zu solchem Urteil motivierten. Mit Recht schrieb Hergenröther: "Ein völliges Untergehen der katholisch-theologischen Fakultäten an unseren Hochschulen, die zum weitaus größten Teil zur Erstarkung des kirchlichen Sinnes vieles beigetragen haben ... würde auch zur Mißachtung und Herabsetzung des geistlichen Standes in den Augen der übrigen gelehrten und gebildeten Berufsklassen führen und ihm ein Einwirken auf diese Klassen in der empfindlichsten Weise erschweren ... kaum könnte die Kirche ihren Todfeinden einen größeren Gefallen erweisen." Auch Hettinger hat recht, wenn er konstatiert, daß in Italien den Feinden der Kirche dies gelungen sei. In der Tat litt der italienische Klerus auch aus diesen Gründen an einer unübersehbaren gesellschaftlichen Inferiorität und Isolation. (Fs)
191a Auch hat Hettinger ebenso recht mit seiner Feststellung: "Unser deutscher Clerus hätte das nicht leisten können, was er gerade in den schweren Tagen des Culturkampfes geleistet hat", wenn auch er wie der größte Teil des französischen Klerus keine universitäre Bildung genossen hätte. Ein Urteil, das Bismarck ungewollt bestätigte, indem er den Widerstand des katholischen Klerus auf dessen Universitätsbildung zurückführte. Daß selbst die Krise, in die Fakultäten wie München, Bonn, Braunsberg und Breslau durch die Unfehlbarkeitsdiskussion von 1869/71 gerieten, im Sinne der Kirche überwunden werden konnte, schrieb der bedeutende Würzburger Kirchenhistoriker Sebastian Merkle dem entschlossenen Handeln der Bischöfe zu, die dafür sorgten, daß die Vorlesungen jener Professoren, die sich in Widerspruch zum 1. Vatikanum begeben hatten, von den Seminaristen nicht mehr gehört wurden. (Fs)
Eine neue Krise der Fakultäten führte alsdann die Wende zum 20. Jahrhundert herauf. Nun war es die Ideologie einer "voraussetzungslosen Wissenschaft", in deren Namen die intellektuellen Gegner der Kirche ihre Abschaffung forderten. Theologie, gar katholische Theologie, könne man nicht als "Wissenschaft" anerkennen, sei sie doch in den Käfig kirchlicher Dogmatik eingezwängt und ermangele der Freiheit von Forschung und Lehre. Es war der schon genannte Merkle, der die Existenz der theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten in einem großen Vortrag vor Wissenschaftlern in Berlin im Jahre 1905 brillant verteidigte. Dabei mußte er einen Zweifrontenkrieg führen: einmal gegen die erwähnten liberal-agnostischen Vorurteile, dann aber auch gegen innerkirchliche Forderungen einer reinen Seminarausbildung des Klerus. Ungeachtet einer gewissen, sein Auditorium berücksichtigenden patriotischen Intonation waren zahlreiche seiner Argumente für den Bestand und die Bedeutung der Fakultäten überzeugend - und sind es auch heute noch. Sie wären es in der Tat noch mehr, wenn der Historiker Merkle die konkreten historischen Erfahrungen mit den "Staatstheologen" ein weniger realistischer betrachtet hätte. (Fs)
193a Was er da zu Berlin vorgebracht hat, war ein Plädoyer, bei dem er von der Idealkonstruktion sowohl des theologischen Betriebs als auch des Staates bzw. der Universität ausgegangen war. In der rauhen Wirklichkeit der Geschichte war es jedoch anders zugegangen. Hatte da die bayerische Regierung die einstmals katholische theologische Fakultät zu Würzburg im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts zu einer interkonfessionellen Fakultät umgestaltet und die Priesteramtskandidaten gezwungen, die Vorlesungen erklärtermaßen atheistischer Professoren zu hören, so hatten in Freiburg ebenfalls antikirchlich eingestellte Professoren Lehrstühle inne, von denen Reichlin von Meldegg gar die Gottheit Christi leugnete und schließlich zum Protestantismus abfiel, während Heinrich Schreiber und der Laie Amann die badische Antizölibatskampagne schürten. Nicht besser stand es in Gießen, einer Fakultät, die bald wieder eingegangen ist. Breslau zeichnete sich gleichfalls wenig durch kirchlichen Geist aus, erklärte die Fakultät doch 1817, daß einige Fächer, wie z.B. die biblischen, ebensogut bei protestantischen Professoren gehört werden könnten. Daß in einem solchen Milieu Männer wie Ronge und Czersky - die Väter des Deutschkatholizismus - heranwachsen konnten, verwundert nicht. (Fs)
Kein Wunder also, daß die staatlichen theologischen Fakultäten im Umkreis der katholischen Bewegung des 19. Jahrhunderts durchaus auf Skepsis stießen. Auch die Stellung der Fakultäten in der Modernismuskrise an der Wende zum 20. Jahrhundert war keineswegs unproblematisch. Es ist einfach nicht wahr, was heute landläufige Meinung ist: Es habe den Modernismus - der praktisch auf die Leugnung der Offenbarungsreligion überhaupt hinauslief - wenigstens in Deutschland nicht gegeben, und die kirchlichen Verurteilungen hätten - vielleicht von Joseph Schnitzer in München abgesehen - keinen deutschen Theologen wirklich betroffen. (Fs)
Daß von deutschen Theologieprofessoren der Antimodernisteneid nicht einmal gefordert werden konnte, spricht jedoch Bände. Dabei ging es nicht nur darum, von ihnen das Odium mangelnder wissenschaftlicher Freiheit abzuwenden. Bezeichnend genug, daß man den Dillinger Professoren in diesem Zusammenhang nicht zwar die Lehrbefugnis, wohl aber in merkwürdiger Inkonsequenz die Predigterlaubnis entzog. (Fs)
194a Kurz und gut: Die Existenz katholischer theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten, mit der Konsequenz, daß die Inhaber ihrer Lehrstühle sowohl im Auftrag der Kirche wie des Staates forschen und lehren, ist an sich eine ideale Konstruktion - unter idealen oder wenigstens normalen Verhältnissen. Da wäre dann in der Tat garantiert, daß der Priesternachwuchs in einer Atmosphäre akademisch-methodischer Strenge wie geistig kultureller Weite herangebildet wird. Die gesellschaftliche Integration wie der geistige Einfluß des Klerus in bzw. auf die übrige Akademikerschaft wäre gewährleistet. Vor allem aber könnte die Theologie ihre Stimme im Chor der Wissenschaften zu Gehör bringen und in einer Zeit geistiger und ethischer Orientierungskrisen ihren unentbehrlichen Beitrag leisten. (Fs) (notabene)
Deshalb: ja zu den staatlichen theologischen Fakultäten und ihrer Sendung für Kirche und Wissenschaft. Aber: ja unter allen Umständen? Keineswegs! Dieses Ja gilt nur und zwar nur unter der Voraussetzung, daß diese Fakultäten dem Gesetze folgen, unter dem sie angetreten sind, daß sie den Voraussetzungen entsprechen, unter denen sie von Kirche und Staat konkordatsmäßig abgesichert wurden. Das aber heißt, daß sie authentische katholische Theologie auf akademischem Niveau in Forschung und Lehre zu vertreten haben. Wenn es nicht mehr gewährleistet ist, daß Studenten wie wissenschaftliche Gesprächspartner anderer Fakultäten eine mit der Lehre der katholischen Kirche inhaltlich vollständig übereinstimmende theologische Lehre erfahren können, dann haben diese Fakultäten ihre kirchliche wie ihre staatliche Legitimation, aber auch ihr Bedeutung für die wissenschaftliche Welt verloren. (Fs) (notabene)
Nun wird man einwenden können, daß doch die Lehr- und Forschungsfreiheit des einzelnen Theologen verfassungsmäßig garantiert sei. Sie ist es, und das ist sehr erfreulich, aber: Damit ist keineswegs das Recht verbunden, innerhalb einer katholisch-theologischen Fakultät eine dem katholischen Glauben widersprechende Lehre zu vertreten. Gerät also ein Theologe in Konflikt mit dem Glauben der Kirche, muß er diesen Konflikt entweder bereinigen - oder seinen Lehrstuhl räumen. Das ist eine elementare Forderung intellektueller Redlichkeit, um so leichter zu erfüllen, als damit keinerlei Statusverlust verbunden ist. Wer sie dennoch nicht erfüllt, entlarvt damit eine Absicht, den Glauben der Kirche von innen her zu untergraben. Daß damit nicht der eine oder andere Einzelfall gemeint, sondern ein mittlerweile weitverbreitetes Phänomen aufgezeigt ist, ist seit langem offenkundig, ebenso wie das völlige Unverständnis vieler Katholiken dafür, daß solche Professoren nach wie vor Priesteramtskandidaten und Religionslehrer ausbilden können, wie wenn - was ja der unbefangene Student voraussetzt - ihre Lehre einwandfrei katholisch wäre. (Fs)
195a Unter diesen Umständen stellt sich in der Tat die Frage, welches Interesse kirchlicherseits am Fortbestand dieser Zustände überhaupt noch bestehen kann. Ist dann aber die Abschaffung der Fakultäten und die Übernahme der theologischen Ausbildung in rein kirchliche Hand das wahre Mittel, die gegenwärtig unbestreitbare Krise der Fakultäten zu beenden? Würde dadurch die Theologie in Deutschland ihr früheres, weltweit anerkanntes wissenschaftliches Niveau wieder erreichen, ihren kirchlichen Charakter wiedergewinnen? Mit rein institutionellen Veränderungen wird nichts, aber auch gar nichts besser! Dergleichen hängt nahezu ausschließlich an den Personen, die damit befaßt sind. Keiner von den heute mit Recht kritisierten Theologen ist ohne das kirchliche Placet auf seinen Lehrstuhl gekommen, keiner kann gegen den Willen des zuständigen Bischofs auf seinem Lehrstuhl bleiben. Die Verantwortung für die kirchliche Korrektheit der akademischen theologischen Lehre liegt eindeutig bei den Bischöfen. Das von dieser Seite gelegentlich geäußerte Vertrauen in die Selbstreinigungskräfte der theologischen Wissenschaft hat bislang getrogen. Zu stark sind die seit den "goldenen Sechzigern" geschaffenen ideologischen Machtstrukturen, die den theologischen Wissenschaftsbetrieb und insbesondere die akademische Personalpolitik kontrollieren. Vielleicht wird man aber auch gerade deshalb heute in extremen Situationen auch an extreme Lösungen denken müssen. (Fs) (notabene)
195b Was also bleibt? Es bleibt wenigstens die Hoffnung, daß Morsches und Welkes einmal von selbst fällt, vielleicht auch durch politische Sturmböen hinweggefegt wird, und aufkeimendes Leben sich neue Bahnen bricht. Auch das ist eine Lehre der Geschichte. (Fs)
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