Autor: Brandmüller, Walter Buch: Licht und Schatten Titel: Licht und Schatten Stichwort: Französischen Revolution - Kirche, Folgen, Zahlen; Neubeginn, Konkordat (1800)
Kurzinhalt: Sie starben unter erbaulichsten Umständen in dem Bewußtsein ihres Martyriums. "Fanatiker", sagte Voltaire, "verdienen keine Toleranz" (Viguerie) ... Einwurzelung der Kirche in einem nicht mehr christlich begründeten und legitimierten Staatswesen ...
Textausschnitt: 148b Über diese - natürlich nur grob skizzierte - Kirche brach also die Revolution herein. Von der schon erwähnten antireligiösen, zum Teil haßerfüllten Propaganda der Aufklärer abgesehen, waren es mehrere Maßnahmen, mit denen die Revolution Glauben und Kirche auszurotten gedachte:
1. Die Verstaatlichung und der darauffolgende Verkauf des gesamten kirchlichen Besitzes. Die Käufer wurden so zu interessierten, weil betroffenen Gegnern der Kirche. In der Nacht auf den 4. August 1789 - der sog. Opfernacht - verzichtete der Klerus in der Nationalversammlung auf seine Standesprivilegien, und am 2. November erfolgte die Konfiskation des gesamten kirchlichen Besitzes. Damit waren die Grundlagen für die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche zerstört. (Fs)
2. Die Zivilkonstitution des Klerus vom 12. Juli 1790, die durch eine völlige Neuorganisation der Bistumsstruktur und der Pfarreien - 4000 wurden überhaupt aufgehoben - Entwurzelung der Gläubigen bewirkte. Darüber hinaus schuf man durch die Eidesforderung praktisch eine schismatische neue Kirche und damit einen verheerenden Zwiespalt im Klerus und unter den Gläubigen. (Fs)
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3. Es folgt die Vernichtung der Orden innerhalb von eineinhalb Jahren (1791/92), womit auch die weiten pastoralen Einflußbereiche der Klöster zerstört werden. Abfälle von Ordensleuten gab es in Paris, in der Provinz waren sie verschwindende Ausnahmen. (Fs)
4. Ächtung und Verfolgung der "Refractaires", der Eidverweigerer
: Nur ca. 10 Prozent der Priester bleiben im Untergrund für die Sakramentenspendung erreichbar. (Fs)
5. Schließung und Verwüstung der Kirchen: 1793-94 sind alle Kirchen geschlossen, alle materiellen Voraussetzungen für den Kult vernichtet. (Fs)
6. Die Einführung des revolutionären Kalenders mit Abschaffung des Sonntags erfaßt nun auch die Zeit-Dimension des Religiösen. (Fs)
7. Ehe und Familie werden entsakralisiert durch Zivilehe und Scheidung. (Fs)
8. Eine Antizölibatskampagne kommt hinzu, um den Klerus weithin außer Gefecht zu setzen. (Fs)
Das entscheidende Kriterium war das Verhalten gegenüber dem Eid auf die Zivilkonstitution des Klerus und dessen Folge, der schismatischen Kirche. Zunächst ist dabei vom Klerus zu sprechen. (Fs)
Die eigentliche Entscheidung mußte getroffen werden, nachdem Pius VI. nach langem Zuwarten die Leistung des Eides auf die Zivilkonstitution verworfen hatte, was im Frühjahr 1791 geschehen war. Ergebnis war, daß ca. 52-53 Prozent im Durchschnitt den Eid verweigerten und damit ihre Treue zu Papst und Kirche unter schwersten Repressalien zum Ausdruck brachten. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch die den Eid leistenden Priester keineswegs in der Mehrzahl aus unehrenhaften Motiven gehandelt haben. Fay resümiert wie folgt: "Endlich erhoben sich, trotz der Jakobinerklubs, der eingesetzten Obrigkeiten und der Zeitungen, von einem Ende des Landes bis zum anderen, mehr als die Hälfte der Geistlichkeit, die Bischöfe und die große Masse der frommen Katholiken gegen die Zivilkonstitution des Klerus und gegen die brutalen Maßnahmen, die man ergriffen hatte, um sie ihnen aufzuzwingen. Es entwickelte sich quer durch das Land zwischen den Jakobinern und der Elite der Gläubigen in den meisten Städten, Marktflecken und Dörfern ein immer schärfer werdender Kampf. Die einen versäumten nichts, um die neue schismatische Kirche, sei es auch mit Gewalt, einzurichten, während die treuen Katholiken in Begeisterung, Verschwiegenheit und erfinderischem Heroismus wetteiferten, um den Gottesdienst trotz der nun beginnenden Verfolgungen aufrecht zu erhalten."
150a Es entwickelte sich ungeachtet zahlreicher überzeugender Martyrien eine regelrechte Untergrundkirche, die Priester und Gläubige unter Lebensgefahr am Leben erhielten. Ihre Maximen wurden auf Tausenden von Zetteln verbreitet. Sie lauteten:
Gehorche den Menschen - zuerst aber Gott.
Bekenne einen Glauben - den von Rom allein.
Unterwirf dich dem Papst und gleichermaßen dem Bischof
In ihnen allein erkenne die Kirche und ihre Hirten.
Den wahren Hirten sei unerschütterlich zugetan.
Von ihnen allein empfange Lehre und Sakramente.
Fliehe Messe und Predigt der Schismatiker. (Fs)
150b Nun brach mit den Septembermorden 1792 die große Katholikenverfolgung los. In ihrem Verlauf fiel etwa die Hälfte der Priester ab, die den Verfassungseid geleistet hatten. Von den übrigen bezahlten mehr als tausend ihre Treue mit dem Leben. Das gilt auch für die Gläubigen, die ebenfalls viele Märtyrer aufwiesen. Unter ihnen war - um nur ein Beispiel zu nennen - eine Mutter, die man zur Guillotine schleppte, weil sie ihren Sohn, der Priester war, aufgenommen hatte. Sie starben unter erbaulichsten Umständen in dem Bewußtsein ihres Martyriums. "Fanatiker", sagte Voltaire, "verdienen keine Toleranz" (Viguerie). (Fs)
150c Dessen ungeachtet muß durchaus von einem Erfolg der Ent-christlichung durch die Revolution gesprochen werden. Nach dem Aufhören der Verfolgungen ergibt sich folgendes Bild: Ein Drittel der Bevölkerung praktiziert nicht mehr - und das im günstigen Fall. Es gibt Gegenden, wo der Einbruch noch wesentlich tiefer geht. Der Nuntius in Paris schreibt 1826: Mehr als die Hälfte der Franzosen befindet sich in vollkommener Unwissenheit über ihre Pflichten als Christen und lebt in Gleichgültigkeit dahin. Es ist fraglich, ob in ganz Paris noch 10000 praktizieren. (Fs)
Neubeginn kirchlichen Lebens
151a Nun aber ist jener Prozeß darzustellen und zu analysieren, der zur Neuevangelisierung Frankreichs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geführt hat. Dabei sind zwei wichtige Etappen zu unterscheiden: Jene unter Napoleon und die der bourbonischen Restauration. (Fs)
151b Es zeugt vom staatsmännischen Genie Napoleons, daß er nach dem Sturz des "Directoire" Anfang November 1799 die antireligiösen Verfolgungsmaßnahmen zusehends beendete und auf eine Neuregelung des Verhältnisses zwischen der französischen Republik und der Kirche bedacht war. Es war die Initiative des Ersten Konsuls, die zum Ergebnis des Konkordats zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl vom Jahre 1800 führte. Diese Vereinbarungen können hinsichtlich ihrer historischen Bedeutung und Tragweite kaum überschätzt werden. Im Grunde ging es dabei um nichts Geringeres als um den ersten Versuch institutioneller Einwurzelung der Kirche in einem nicht mehr christlich begründeten und legitimierten Staatswesen. Grundlage dieses Versuches ist nunmehr ein rein statistisches Faktum: nämlich, daß die Mehrzahl der Franzosen dem katholischen Glauben anhängt. Ein weiteres wesentliches und zukunftsträchtiges Element dieses Konkordates ist es, daß es zwischen der französischen Republik und dem Papst abgeschlossen wurde. Damit war die alte gallikanisch-national-kirchliche Ideologie, die das Verhältnis zwischen Rom und Frankreich jahrhundertelang belastet hatte, im Grunde überwunden und eine "ultramontane" Orientierung des französischen Katholizismus begründet. Dieses Konkordat, das zweifellos nicht wenige für die Kirche ungünstige Bestimmungen enthielt, war dennoch für sie von unschätzbarem Vorteil. Die jahrelange Spaltung zwischen romtreuen und konstitutionellen Katholiken war beseitigt, eine neue, durch den Staat anerkannte kirchliche Organisation konnte wiederaufgebaut werden, und die Verfolgungen waren definitiv zu Ende. Damit waren die institutionellen Voraussetzungen für eine Wiederbelebung des katholischen Glaubens in Frankreich geschaffen. Der Rahmen bedurfte nun der Ausfüllung. (Fs) (notabene)
Entscheidende geistige Impulse hierzu gingen von einigen bedeutenden Schriftstellern aus, die das geistige Klima der französischen Gesellschaft nachhaltig im Sinne einer Überwindung der voltairianischen Aufklärung zu beeinflussen vermochten. Als Beispiel sei hierfür nur Chateaubriand genannt, der im April 1802 sein berühmt gewordenes Werk "Le genie du Christianisme" veröffentlichte, dem im Jahre 1809 der Roman "Les martyrs ou le triomphe de la religion" folgte. Die Gesamtausgabe seiner Werke, die 1826/31 erschien, umfaßt 32 Bände. (Fs)
152a Der Vicomte Francois Rene de Chateaubriand, 1768 in der Bretagne geboren und 1848 zu Paris gestorben, ist wohl deshalb so repräsentativ für diesen Vorgang einer geistigen Wende, weil sein Lebenslauf den seiner Epoche bestimmenden geistigen Linien gefolgt ist. Von schwärmerischer Gemütsart hing er zuerst Voltaire, den Enzyklopädisten und Rousseau an, verbrachte dann rast- und doch ziellose Wanderjahre in Amerika und England und kam um 1800, erschüttert durch den Tod von Mutter und Schwester, wieder zum Glauben. Frucht dieser Lebenswende war sein bereits genanntes Hauptwerk von 1802. "Es orchestrierte in bewunderungswürdiger Sprache mit genialer Beschwörungskraft Themen, die bereits manche Apologeten des 18. Jahrhunderts angeschnitten hatten, lenkte das religiöse Sehnen seiner Zeitgenossen aber nicht mehr zu einem vagen Christentum à la Rousseau, sondern direkt zur katholischen Kirche mit ihren Dogmen, ihren Sakramenten und ihren Riten. Es vernichtete die Vorurteile des 18. Jahrhunderts, das den Katholizismus der Barbarei und der Mittelmäßigkeit zugerechnet hatte, und schilderte ihn als heilsamen Hafen für alle, die physisch oder seelisch leiden, und als Quelle dichterischer Inspiration genauso fruchtbar wie das heidnische Altertum" (Aubert). (Fs)
152b Der ungeheure und lang anhaltende Erfolg, der dem "Genie du christianisme" beschieden war, zeigt nicht nur, welch tiefe und weiteste Kreise erfassende Sehnsucht nach Religion im Frankreich der Nachrevolutionsjahre vorhanden war, sondern auch, daß diese um das Jahr des Konkordatsabschlusses einen gewissen Kulminationspunkt erreicht hatte. Indem es Chateaubriand gelang, dieses drängende existentielle Verlangen nach Religion mit katholischen Inhalten zu nähren, trug er - wie nicht wenige andere - zur katholischen Neubelebung Frankreichs bei. (Fs)
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