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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Barock - Protest der Vernunft; Verbot: Wallfahrten, Kippen, Prozessionen

Kurzinhalt: Fürsten und Bischöfe verboten Wallfahrten, Flurumritte, Prozessionen. Eine große Anzahl von Feiertagen wurde abgeschafft, sogar das Wetterläuten, die Aufstellung von Weihnachtskrippen untersagt. All dies ließ sich ja nicht mit den Kategorien der ...

Textausschnitt: 143b Das nun einmal verlorene Gleichgewicht war aber nicht wiederzugewinnen. Denn, in dem Maße, als gegen die Entartung des Rokoko im Namen der Vernunft Protest erhoben wurde, isolierte, verabsolutierte man die Ratio, den Intellekt und vergaß, daß der Mensch auch ein Sinnenwesen, mit Gefühlen und Gemüt begabt ist. (Fs)

Im Namen der Vernunft - die man in Gestalt einer Schauspielerin bald im Paris der Revolutionsjahre als Göttin auf den Altar erheben sollte - wurde nunmehr ein erbitterter, leidenschaftlicher Kampf gegen die überkommenen Formen kirchlichen, religiösen und künstlerischen Lebens geführt. Fürsten und Bischöfe verboten Wallfahrten, Flurumritte, Prozessionen. Eine große Anzahl von Feiertagen wurde abgeschafft, sogar das Wetterläuten, die Aufstellung von Weihnachtskrippen untersagt. All dies ließ sich ja nicht mit den Kategorien der Vernunft rechtfertigen. Hart verfuhr man auch mit den Texten von Kirchenliedern und Gebeten. Gewiß, hier war, wie erwähnt, manches reformbedürftig. Aber, viel besser als das Abgeschaffte war das Neue nicht. Ein Beispiel etwa: "Ich glaube, Gott, mit Zuversicht, was Jesus Christus lehret. Er kam und sprach: Es werde Licht! Da ward es aufgekläret!" Und, noch schlimmer: "Drum laßt uns klüger seyn und itzt schon thun, macht es gleichwohl Beschwerden, was wir, wo's Wünschen nichts mehr nützt, gethan zu haben wünschen werden!" (notabene)

143c Es ging also um "vernünftige" Religion, um Tugendhaftigkeit, um zweckmäßiges Verhalten. Auch der Gottesdienst, die Spendung der Sakramente hatten diesem Ziel zu dienen: Und unter diesen Umständen spielte die Belehrung hierbei die Hauptrolle. "Gebet, Gesang, die Verwaltung der hl. Sakramente, kirchliche Ceremonien, die von Zeit zu Zeit verordneten Andachtsübungen, die Segnungen und alle anderen Religionshandlungen haben die allgemeine und notwendige Absicht: den Verstand der versammelten Christen mit neuen Religionskenntnissen zu bereichern oder den schon erworbenen mehr Deutlichkeit und Lebhaftigkeit zu vermitteln" (L. Busch, Liturgischer Versuch, 1810). Welch ein Kontrast zu dem mit Aufbietung aller Künste vor der Majestät Gottes vollzogenen Hofzeremoniell der barocken Liturgie. (Fs)

144a Was man nun pries, waren "edle Einfalt und stille Größe", die Winkelmann bei den antiken Griechen verwirklicht fand (1755). Als die Katholiken in der protestantischen Residenz Ansbach sich ein Oratorium hatten bauen dürfen, rühmte man es: "... es herrschen daselbst nicht die sonst in katholischen Kirchen bis zum Überfluß angebrachten Verzierungen, sondern eine edle, die Andacht erwek-kende Simplizität und Reinheit". (Fs)

144b Hand in Hand damit ging die Tendenz, die Vernunft des Menschen zum Maßstab für die Glaubenswahrheiten zu machen. Was daran nicht "vernünftig" schien, wurde unterdrückt, bekämpft, verschwiegen, uminterpretiert. So etwa erschien der Tod Jesu nicht mehr als das Erlösungsopfer für die Welt, sondern als Tugendbeispiel für das Ertragen ungerecht zugefügten Leides. Indem man aber die Ratio zum Kriterium dafür machte, was wahr sei, hatte man den Generalangriff auf die Offenbarungsreligion überhaupt eröffnet. Es sei hier nur auf die bekannten Wolfenbütteler Fragmente verwiesen, in denen die Auferstehung Christi als Betrugsmanöver der Jünger dargestellt wird. (Fs)

144c Nun, es darf natürlich nicht verschwiegen werden, daß der Einfluß der Aufklärung sich nicht überall im gleichen Maße auswirkte. Im katholischen Deutschland, vor allem in Franken, wurde die herrschende Zeitströmung stark abgeschwächt und im wesentlichen ihres negativen Charakters entkleidet, so daß ihre wohltuenden Auswirkungen auf Theologie, Frömmigkeitsleben, Pastoral, Erziehungswesen und Armenfürsorge sich im Rahmen einer ungebrochenen kirchlichen Gläubigkeit entfalten konnten. Die Lebens- und Wirklichkeitsnähe des einfachen, mit intellektuellen Kategorien nicht zu fassenden Volkes machte sich als Korrektiv heilsam bemerkbar. Das hinderte jedoch nicht, daß im Jahre 1802/03 die aufgeklärte pfalzbayerische Bürokratie des Grafen Montgelas sich in einem Exzeß der Vernichtungswut an Kirchen und Klöstern austobte und unersetzliche Meisterwerke barocker Kunst in Trümmer legte, in denen man nichts anderes als abscheuliche Relikte des finsteren Aberglaubens erblickte. Die Antwort des Volkes war eindeutig. Es sang von Montgelas:

"Er stürzt Kirchen, raubt Altäre,
Glocken, Wachs und Opferstöck,
Wenn es auch ein Kreuzer wäre,
Meßgewand, Alben und Chorröck.

Mehr als Ketzer, Türk und Heide
Stürzet er das Priestertum,
ziehet aus das Ordenkleide
Und entehrt das Heiligtum.

Wegen wenig goldne Borten
Muß der Leichnam vom Altar
Zu gemeinen Grabesorten,
Der allda verehret war.

So tut nicht Franzos und Schwede,
Auf gesamtes Frankenland!
Greift zur Waffe, seid nicht spröde,
Würgt ihn mit gerechter Hand."

145a In diesen Äußerungen, deren es noch viele gibt, manifestiert sich der Protest der durch die Unterdrückung der Sinne im tiefsten verletzten menschlichen Natur. (Fs)

156b Der notwendigerweise bruchstückhafte Überblick über das wechselnde Geschick des Verhältnisses von Sinnenhaftigkeit und Intellektualität des Menschen in seinen kultur- und kirchengeschichtlichen Erscheinungsformen im Zeitalter des Barock muß hier abgeschlossen werden. Nicht abgeschlossen ist dieses so spannungs- und wechselreiche Verhältnis selbst. Es stellt sich wie jeder Epoche auch der unseren als eine je neu zu bewältigende Aufgabe. (Fs)

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