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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Barock, Leib und Geist - Auflösung; Aristoteles: "Anima forma corporis" - Descartes: "res extensae"; Arnold Geulincx




Kurzinhalt: Während noch die barocke Kultur sich in voller Blüte entfaltete, schrieb Descartes sein epochemachendes "Cogito ergo sum" nieder, mit dem dann auch die Aufteilung der Wirklichkeit in die "res cogitans" und die "res extensae" gegeben war.

Textausschnitt: 138c Einst hatte Aristoteles in kritischer Wendung gegen Platons Lehre vom Ansichsein der Ideen die konkrete Welt und ihre Einzeldinge als Ganzheiten aus Form und Materie begriffen - wir bezeichnen diese Auffassung als Hylemorphismus. In der Scholastik des Mittelalters wurde nun für die Bestimmung des Verhältnisses von Geist und Leib des Menschen mit der Lehre von der "Anima forma corporis" - die Seele ist das Gestaltprinzip des Leibes - die unmittelbare Konsequenz aus dem Hylemorphismus des Aristoteles gezogen. Jene Auffassung also, die Geist und Leib als sich gegenseitig bedingende und sich gegenseitig durchdringende "Teile" eines Ganzen erkennt. Eben diese Lehre ergriff nun, von dem spanischen Jesuiten Franz Suarez schöpferisch weitergeführt, aufs neue die hohen Schulen Europas. Ein erstaunliches Phänomen, daß die "Disputationes metaphysicae" des Jesuiten schon kurz nach ihrem Erscheinen im Jahre 1597 als Lehrbuch auch an protestantischen Universitäten eingeführt wurden! Es wäre verwunderlich, wenn von hier aus nicht entscheidende Impulse auf die gesamte Barockkultur ausgegangen wären: Auch im protestantischen Bereich war jedenfalls der wohl gerade wegen der religiös nicht integrierten massiven Sinnenhaftigkeit des Menschen Luthers metaphysik- und - vergröbernd gesagt - naturfeindlicher Ansatz seiner Theologie damit überwunden. In der "Anima-forma-corporis"-Lehre der neu entdeckten Scholastik hatte die barocke Gesamtschau von Leib und Geist, von Sinnenhaftigkeit und Rationalität und das Erlebnis ihrer Einheit ihren philosophischen Grund. (Fs)

139a Wenn nun eine die Einheit von beiden betonende philosophische Erkenntnis des Verhältnisses von Leib und Geist im Menschen eine in der Harmonie von Geist und Leib wurzelnde Kultur hervorbringen konnte, so liegt der Schluß doch nahe, daß eine Philosophie, die jene früher verteidigte Einheit in Frage stellte, auch einen Wandel in Geistigkeit und Kultur zur Folge haben mußte. (Fs) (notabene)

139b Während noch die barocke Kultur sich in voller Blüte entfaltete, schrieb Descartes sein epochemachendes "Cogito ergo sum" nieder, mit dem dann auch die Aufteilung der Wirklichkeit in die "res cogitans" und die "res extensae" gegeben war. Das hatte seine Konsequenzen für die Darstellung des Verhältnisses von Leib und Seele: "Es ist demnach dieses Ich, das heißt die Seele, durch die ich bin was ich bin, von meinem Körper gänzlich verschieden ... und wenn es gleich keinen Körper gäbe, so würde sie doch genau das bleiben, was sie ist." Beide, Geist und Leib, "res cogitans" und "res extensa", sind voneinander geschieden, und es ist eine von Descartes selber erkannte Aporie, daß die beiden trotzdem miteinander zu tun haben: Die Zirbeldrüse, dachte er, sei der Ort, wo die Seele auf den Körper wirksam werde. (Fs) (notabene)

140a In der Folge meinte Johannes Clauberg (1622-1665), den Ansatz Descartes' weiterführend, es sei aus dem Begriff der "res cogitans" und der "res extensa" nicht ersichtlich, wie sie aufeinander wirken könnten. Wenn zwischen beiden dennoch ein Verhältnis bestehe, wie das zwischen dem Steuermann und seinem Schiff, so darin nur deswegen, weil Gott es so gewollt habe. Von einem wesensgemäßen Aufeinander-hingeordnet- und -verwiesen-Sein ist also keine Rede mehr. (Fs)
Noch weiter in der seinsmäßigen Trennung von Leib und Seele geht der Hauptvertreter des sogenannten Occasionalismus, der Holländer Arnold Geulincx (1624-1669): Selbst die Wahrnehmung der Sinne beruhe nicht mehr auf seinsmäßiger Verbundenheit von Leib und Seele: "Die Welt bringt das Bild an meinen Körper heran und legt es dort ab, die Kraft aber, welche es von dort weiter nach innen in mein Selbst, in meinen Geist hineingelangen läßt, ist die Gottheit". (Fs)

140b Diesen Philosophen zufolge existieren Leib und Seele nebeneinander her, und nur Gott selber bewirkt durch jeweiliges Eingreifen, daß zwischen geistigen und körperlichen Phänomenen zwar ein tatsächlicher Parallelismus, nicht jedoch ein Wesenszusammenhang bestehe. Leibniz meint, daß dies aufgrund einer von ihm sogenannten prästabilierten (also keineswegs im Wesen des Menschen begründeten) Harmonie geschehe. Die Kluft zwischen Leib und Seele, zwischen Sinnlichkeit und Intellektualität, war philosophisch aufgerissen. (Fs) (notabene)

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