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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [48] Es gibt heimliche Abtreibungen. Ist es dann nicht besser, sie zu legalisieren und so zahlenmäßig zu verringern?

Kurzinhalt: Wie in den meisten Ländern, in denen die Abtreibung liberalisiert wurde, zeigt auch die Erfahrung in Frankreich, daß nach Inkrafttreten des Liberalisierungsgesetzes die schamhaft als »nicht erfaßt« bezeichneten Abtreibungen keineswegs verschwunden sind.

Textausschnitt: a) Um Angst zu machen und das Gesetz zu ändern, ist die Zahl der heimlichen Abtreibungen eindeutig aufgebläht worden. Woher wissen wir das? Wir wissen es aus den Erklärungen von Ärzten, die Abtreibungen vorgenommen haben. So hat B. Nathanson, einer der Initiatoren der Liberalisierung der Abtreibung in den USA, der selber 80 000 Abtreibungen praktiziert hat, öffentlich zugegeben, daß die Zahl der heimlichen Abtreibungen in den USA beträchtlich übertrieben worden ist. (Fs)

Für Frankreich läßt sich diese Manipulation der öffentlichen Meinung leicht belegen. Vor der Legalisierung der Abtreibung wurde von den Medien (und in der parlamentarischen Debatte) verbreitet, es gebe jährlich eine Million illegale Abtreibungen mit 10 000 Todesfällen pro Jahr;1 also wurde argumentiert, daß man »bei dieser hohen Zahl etwas machen müsse...«. Nun sind diese beiden Zahlen aber offenkundig unmöglich: Im gebärfähigen Alter waren überschlägig von den 50 Millionen Einwohnern Frankreichs etwa 15 Millionen Frauen zwischen 15 und 40 Jahren. Bei einer Million Abtreibungen pro Jahr hätte praktisch jede zehnte Frau einmal im Jahr abgetrieben haben müssen, und das bei jährlich 750 000 Geburten. Genauso falsch ist die zweite Zahl, denn insgesamt starben durch Krankheit und Unfälle rund 15 000 Frauen im gleichen Alter - und davon waren 50 auf Abtreibungen zurückzuführen. Ganz augenscheinlich waren diese Zahlen maßlos übertrieben; dennoch »untermauerten« sie die »Notwendigkeit einer humanen Lösung«. In Tat und Wahrheit (und das läßt sich statistisch mit mehreren Methoden richtig berechnen2) dürften die Abtreibungen etwa um 100 000 pro Jahr gelegen haben, also zehnmal weniger als propagiert... (Fs)

Schließlich wissen wir es aus der Wirkung der Gesetzgebung auf die Geburtenrate, die nach der Gesetzesänderung scharf zurückgeht.3

b) Wie in den meisten Ländern, in denen die Abtreibung liberalisiert wurde, zeigt auch die Erfahrung in Frankreich, daß nach Inkrafttreten des Liberalisierungsgesetzes die schamhaft als »nicht erfaßt« bezeichneten Abtreibungen keineswegs verschwunden sind. Nach glaubhaften Schätzungen sollen sie sogar etwa gleich zahlreich sein wie die »erfaßten«. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß sie keineswegs zurückgegangen sind. (Fs)

Um beim oben zitierten Beispiel Frankreich zu bleiben, erhöhten sich die Abtreibungen von etwa 100 000 vor der Legalisierung auf 250 000 danach und pendelten sich 1990 bei etwa 170 000 ein. Global gingen sie also nicht zurück, sondern haben sich erhöht. (Fs)

Nimmt man die diesbezüglichen amtlichen Zahlen in der Schweiz, so zeigen sie einen Rückgang der Abtreibungen in den letzten 20 Jahren, von fast 18 000 (1980) auf fast 12 000 (1994) - bei 70 000 Geburten, wobei die illegalen Abtreibungen gänzlich (aus der Statistik) verschwunden sind. Allerdings kann man sich mit Recht fragen, inwieweit diese publizierten Zahlen aussagekräftig sind, denn »mit Ausnahme von Zürich kennen alle Kantone die Meldepflicht für Schwangerschaftsabbrüche, wenn auch die Meldungen der amtlichen Kantonsärzte in einigen Kantonen lückenhaft sind«4. Es ist also letztlich statistisch unbekannt, wie stark die offiziellen Zahlen von den wirklichen abweichen - sogar in der Schweiz, einem normalerweise statistisch gut erfaßten Lande. Zumal der offiziellen Zahl von 12 000 Abtreibungen diejenige eines hohen Krankenkassenvertreters entgegengesetzt werden kann, welcher aussagte, daß für jährlich circa 50 000 Schwangerschaftsabbrüche 50 Millionen Schweizerfranken ausgegeben werden... (Fs)

Im übrigen veranlaßt eine einmal zustande gekommene Abtreibungsmentalität die Frauen unausweichlich dazu, aus gesetzlich nicht vorgesehenen Gründen und nach gesetzlich nicht gebilligten Fristen abzutreiben (s.a. 51) - heimlich also und unter »schlechten« Bedingungen. Das erklärt sich ganz einfach: Da Verbieten in jeder Gesellschaft und somit auch in einer Demokratie nur sinnvoll ist, wenn die Übertretung des Verbots unter Strafe steht, trägt die Straffreiheit unvermeidlich zu einer Abtreibungsmentalität bei und vervielfacht die Zahl der legalen Abtreibungen ebenso wie die der heimlichen. In der einstigen Sowjetunion kam es sogar so weit, daß die Zahl der Abtreibungen die der Geburten überstieg. (Fs)

Bei all diesen Zahlen darf aber eines nicht aus den Augen verloren werden: Nicht die Frage, ob es nicht besser sei, heimliche Abtreibungen durch legalisierte zu ersetzen, ist letztlich der entscheidende Punkt - denn genauso gut könnte man argumentieren, jedes Verbot, das dennoch praktiziert wird, müsse legalisiert werden. Was es grundsätzlich zu beachten - und zu achten - gilt, ist die ethische Problematik des Rechts auf Leben eines jeden Individuums. (Fs)

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