Autor: Beckmann, Jan P. Buch: Wilhelm von Ockham Titel: Wilhelm von Ockham Stichwort: Universalien, das Universalienproblem; Aristoteles: passiones animae (pathemata en te psyche) - Ockham (umgekehrte Reihenfolge);
Kurzinhalt: Ockham deutet die aristotelischen 'pathemata' mithin zu mentalen möglichen Prädikaten ('praedicabilia mentalia', ... um. Diese potentiellen Prädikate nennt er zuweilen 'Denkintentionen' ('intentiones animae'), zuweilen auch 'Begriffe' ('conceptus') ... Textausschnitt: 118a Bevor wir hierauf eingehen, ist ein kurzer Blick auf den Hintergrund der ganzen Angelegenheit vonnöten, ohne den Ockhams Diskussion vom 'objektiven' und 'subjektiven' Sein der Universalien unverständlich bleiben muß. Hintergrund ist die aristotelische Theorie der innerseelischen Vorgänge, der "pathemata en te psyche", der 'passiones animae'.1 Nach Aristoteles muß man den Zusammenhang beachten, der zwischen den vom Menschen zur Bezeichnung der Dinge verwendeten Schrift- und Lautzeichen einerseits und den entsprechenden innerseelischen Vorgängen andererseits besteht. Die Schriftzeichen beziehen sich zum Zwecke der Bezeichnung extramentaler Dinge auf Lautzeichen und diese auf mentale Vorgänge. Daß sich der Mensch bestimmter Lautzeichen bedient, sie ausspricht und niederschreibt, um die Dinge um ihn herum zu bezeichnen, geht nach Aristoteles auf innerseelische Vorgänge zurück. (Fs) (notabene)
118b Aus Raumgründen müssen wir auf die Untersuchung der Tatsache verzichten, daß Ockham die Reihenfolge des Aristoteles, wonach Schriftzeichen sich auf Lautzeichen und diese sich auf innerseelische Vorgänge beziehen, dahingehend ändert, daß sowohl die Schriftzeichen als auch die Lautzeichen unmittelbar für die Dinge stehen können, und wenden uns der Frage zu, was es mit diesen innerseelischen Vorgängen auf sich hat. Handelt es sich dabei um psychologische Prozesse oder um (prädikations-)logische Zusammenhänge? Nach Ockham ist von der Wortbedeutung her beides möglich; entscheidend ist für ihn gleichwohl der (prädikations-)logische Zusammenhang. Danach befinden sich in der 'Seele' als dem Sitz der erkennenden und denkenden Fähigkeiten des Menschen intentionale Begriffe, die als mögliche Prädikate in Aussagen über die Welt der Dinge Verwendung finden. Mit ihrer Hilfe bemächtigt sich der erkennende Verstand der extramentalen Wirklichkeit, wobei diese intentionalen Vorgänge niemals in die Realität hinausreichen, sondern bleiben, was sie sind: innerseelische Phänomene. Ockham deutet die aristotelischen 'pathemata' mithin zu mentalen möglichen Prädikaten ('praedicabilia mentalia', vgl. OP 1,105) um. Diese potentiellen Prädikate nennt er zuweilen 'Denkintentionen' ('intentiones animae'), zuweilen auch 'Begriffe' ('conceptus', OP II, 351 ff). (Fs)
Kommentar (21.01.10): zu oben: als fast eine Umkehrung der converiso-Theorie Aristoteles', dann doch wieder ein Rückzug ...
119a Den ontologischen Status dieser Denkintentionen als intramentaler Phänomene im einzelnen zu bestimmen, gehört nach ihm ausdrücklich zur Aufgabe der Metaphysik. Reicht es, so hat er sich gefragt, wenn man ihnen lediglich den Status reinen aktualen Vorgestelltseins einräumt, wie es die Fictum-Theorie tut? Das würde bedeuten, daß diese Denkintentionen nur dann 'vorhanden' sind, wenn jemand sie aktual bildet. Dies erscheint mißlich angesichts der Tatsache, daß wir uns mit Hilfe von Denkintentionen im Alltag und insbesondere in den Wissenschaften in einer Weise verständigen können, die zwar an Subjekte mit solchen intramentalen Phänomenen gebunden ist, nicht aber auf tatsächlich in einem bestimmten denkenden Subjekt ablaufende Vorgänge angewiesen ist. Kurz: Stellen die Denkintentionen bzw. Begriffe als mögliche Prädikate nicht doch noch etwas anderes dar als aktuale Denkgegenstände? Ockham ist diese Frage so wichtig gewesen, daß er die entsprechenden Darlegungen im ersten Buch seines Sentenzenkommentars, der sog. Ordinatio, mit einer wichtigen Erweiterung versehen hat. Danach ist den Allgemeinbegriffen über ihr reines Vorgestelltsein ('esse obiectivum') hinaus eine eigene, intramentale Existenzweise ('esse subiectivum') zuzusprechen, und zwar in Form intramentaler Qualitäten. Das Sein der Universalien besteht mithin nicht nur in ihrem Erkanntsein, sondern darüber hinaus in ihrer Qualität als mögliche Prädikate, welche als Zeichen für extramentale Einzeldinge verwendet werden können ("... universale est aliqua qualitas exsistens subiective in mente, quae ex natura sua ... est signum rei extra ...". OT II, 289). (Fs) (notabene)
119b In der Forschung hat man den Umstand, daß Ockham in der Überarbeitung des I. Buches seines Sentenzenkommentars ausführlich die Theorie vom 'esse subiectivum' des Allgemeinen diskutiert, als eine Abwendung von der Fictum-Theorie gedeutet und ihm diesbezüglich eine 'Entwicklung' unterstellt.2 Dem steht zunächst Ockhams Feststellung im Wege, daß beide Universalienansätze, sowohl der des reinen Gegenstand-Seins wie der des sich im Denken Befindens, gleichermaßen 'rechtfertigbar' ('probabilis') sind (vgl. OT II, 291). Die Entscheidung zwischen beiden überläßt er ausdrücklich dem Urteil anderer. Entscheidend ist für ihn, daß die Universalien nicht, wie es der Platonismus in seiner extremen wie auch in seiner gemäßigten Form tut, als etwas außerhalb des Denkens Existierendes angesehen werden ("... nullum universale ... est aliquid exsistens quocumque modo extra animam", I.e.). Die Universalien verdanken sich in jedem Falle einer Handlung des Denkens, sei es, daß dasselbe die von einer Vielheit von Einzeldingen prädizierbaren Termini lediglich als Denkgegenstände betrachtet ('esse obiectivum'), sei es, daß der Intellekt dieselben als zu seiner Ausstattung gehörig ansieht ('esse subiectivum'). Damit soll nicht der Unterschied zwischen beiden Theorien des Allgemeinen verwischt, wohl aber gesagt werden, daß die beiden Ansätze nicht miteinander im Widerstreit liegen. Sie verhalten sich zueinander wie ein ontologisch sparsamerer zu einem ontologisch weniger sparsamen Ansatz. Konkret: Die Fictum-Theorie minimalisiert das Sein des Allgemeinen, während die Theorie vom 'esse subiectivum' dem Allgemeinen das Maximum dessen zuschreibt, was ein Denkinhalt an ontologischem Status besitzen kann. Da aber die Universalien so oder so betrachtet ausschließlich eine Sache des Denkens sind, gilt es nunmehr zu klären, wie es um Ockhams vieldiskutierten 'Nominalismus' steht. (Fs) (notabene)
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