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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie; ein Leib in vielen Hostien; Leib: Grenze - Mittel der Offenheit; Auferstehung:

Kurzinhalt: Auferstehung heißt eigentlich ganz einfach, daß Leib als Grenze aufhört und daß das, was an ihm Kommunion ist, bleibt. Jesus konnte deshalb auferstehen, ist deshalb auferstanden, weil ...

Textausschnitt: 79a Damit sind wir nun schon bei unserer zweiten Frage angelangt: Geht das eigentlich, daß ein Leib sich so mitteilt, daß in vielen Hostien er ist, daß über die Orte und Zeiten hin immer dieser Leib da ist? Nun, wir müssen uns zunächst sicher bewußt machen, daß wir solches nie ganz verstehen werden, denn was hier geschieht, kommt aus der Welt Gottes und aus der Welt der Auferstehung heraus. Wir aber leben nicht in der Auferstehungswelt. Wir leben diesseits der Grenze des Todes. Wenn wir uns etwa ein Gebilde vorstellen würden, das nicht drei Dimensionen, Höhe, Breite, Länge hätte, sondern nur zwei, nur die Fläche, so könnte sich ein derartiges Wesen niemals die dritte Dimension vorstellen, einfach weil es sie nicht hat. Es könnte nur versuchen, hinauszudenken über seine Grenze, ohne dies andere je wirklich sich ausmalen, umfassend begreifen zu können. Gerade so steht es mit uns. Wir leben in der Todeswelt; wir können hinüberdenken in die Auferstehungswelt, Annäherungen versuchen. Aber sie bleibt das andere, das wir nie ganz begreifen. Dies liegt an der Grenze des Todes, in die wir eingeschlossen sind, innerhalb deren wir leben. (Fs)

80a Aber Annäherungen können wir versuchen. Eine solche eröffnet sich, wenn wir bedenken, daß das Wort "Leib" - "Dies ist mein Leib" - in der Sprache der Bibel nicht einfach den Körper im Gegensatz etwa zum Geist bedeutet. Leib bezeichnet in der Sprache der Bibel vielmehr die ganze Person, in der Leib und Geist untrennbar eins sind. "Dies ist mein Leib", das heißt also: Dies ist meine im Leib wesende ganze Person. Wie aber diese Person geartet ist, erfahren wir aus dem nächsten Wort: "Der für euch hingegeben wird." Das bedeutet: Diese Person ist: Sein-für-die-anderen. Sie ist in ihrem innersten Wesen das Sichausteilen. Deswegen aber, weil es um die Person geht und weil sie selbst von innen her das Offenstehen, das Sichgeben ist, kann sie ausgeteilt werden. (Fs) (notabene)

80b Ein wenig können wir das sogar von der Erfahrung unserer eigenen Leiblichkeit aus verstehen. Wenn wir darüber nachdenken, was der Leib für uns bedeutet, werden wir bemerken, daß er eine gewisse Gegensätzlichkeit in sich trägt. Einerseits ist der Leib die Grenze, die uns vom anderen abschließt. Wo dieser Leib ist, kann kein anderer sein. Wenn ich an dieser Stelle bin, bin ich nicht zugleich woanders. So ist der Leib die Grenze, die uns voneinander trennt; er bringt es deshalb mit sich, daß wir einander irgendwie fremd sind. Wir können nicht in den anderen hineinschauen; die Leibhaftigkeit verdeckt sein Inneres, er bleibt uns verborgen; ja, wir sind deshalb sogar uns selbst fremd. Wir sehen ja auch nicht in uns selbst, in unsere eigene Tiefe hinunter. Dies ist also das Eine: Der Leib ist Grenze, die uns undurchsichtig, undurchdringlich füreinander macht, die uns nebeneinanderstellt und uns verwehrt, einander zuinnerst zu sehen und zu berühren. Aber zugleich gilt ein Zweites: Der Leib ist auch Brücke. Denn durch den Leib hindurch begegnen wir uns, durch ihn kommunizieren wir in der gemeinsamen Materie der Schöpfung; durch ihn sehen wir uns, fühlen wir uns, werden wir einander nahe. In der Gebärde des Leibes wird offenbar, wer und was der andere ist. In der Weise, wie er sieht, blickt, handelt, sich gibt, sehen wir uns; er führt uns zueinander hin: Er ist Grenze und Kommunion in einem. Deshalb kann man sich selbst, seine Leiblichkeit verschieden leben: Man kann sie leben mehr nach der Versperrung oder mehr nach der Kommunion hin. Man kann seine Leiblichkeit und in ihr sich selbst so sehr auf Verschließung zu, in die Richtung des Egoismus hinein leben, daß fast nur noch Grenze bleibt und kein Begegnen mit dem anderen mehr sich auftut. Dann geschieht das, was Albert Camus einmal als die tragische Situation der Menschen miteinander schildert: Es ist, wie wenn zwei Menschen durch die Glaswand einer Telefonzelle voneinander getrennt sind. Sie sehen sich, sind ganz nah und doch ist da diese Wand, die sie einander unerreichlich macht. Ja, sie scheint wie ein Milchglas, das uns nur Umrisse ahnen läßt. Der Mensch kann sich also auf "Körper" hin leben; er kann sich im Egoismus so verschließen, daß der Leib nur noch Trennung, Grenze ist, die jede Kommunion ausschließt, in der er niemandem mehr wirklich begegnet, niemand an sein verschlossenes Inneres rühren läßt. Aber Leibhaftigkeit kann auch umgekehrt gelebt werden: als Sich-öffnen, als Freiwerden des Menschen, der sich mitteilt. Wir alle wissen, daß es auch dieses gibt; daß wir über Grenzen hinweg inwendig aneinanderrühren, einander nahe sind. Was man die Telepathie nennt, ist nur ein äußerster Fall dessen, was es auf geringere Weise doch unter uns allen gibt: verborgenes Sich-Berühren von der Mitte her, auch in der Ferne Einander-nahe-Sein. Auferstehung heißt eigentlich ganz einfach, daß Leib als Grenze aufhört und daß das, was an ihm Kommunion ist, bleibt. Jesus konnte deshalb auferstehen, ist deshalb auferstanden, weil er als der Sohn und der am Kreuz Liebende ganz Austeilen seiner selbst geworden ist. Auferstandensein heißt: kommunikabel sein; es bedeutet: der Offene, der Sich-Verschenkende sein. Von daher können wir auch verstehen, daß Jesus in der von Johannes überlieferten Eucharistierede Eucharistie und Auferstehung zusammenbringt und daß die Väter sagen, die Eucharistie sei das Medikament der Unsterblichkeit.1 Kommunizieren heißt: mit Jesus Christus in Kommunion eintreten; es bedeutet: durch ihn, der allein die Grenze überwinden konnte, ins Offene treten und so mit ihm, von ihm her selbst auferstehungsfähig werden. (Fs)

82a Damit ergibt sich aber ein Nächstes. Was uns hier gegeben wird, ist nicht ein Stück Körper, nicht eine Sache, sondern es ist er selbst, der Auferstandene - die Person, die sich uns mitteilt in ihrer durch das Kreuz hindurchgegangenen Liebe. Dies bedeutet, daß kommunizieren immer ein persönlicher Vorgang ist. Es ist nie einfach ein gemeinschaftlicher Ritus, den wir abwickeln wie irgendwelche anderen gemeinschaftlichen Verrichtungen auch. Im Kommunizieren trete ich in den Herrn hinein, der sich mir kommuniziert. Sakramentale Kommunion muß daher immer auch geistliche Kommunion sein. Deswegen geht die Liturgie vor der Kommunion von dem liturgischen Wir in das Ich über.2 Hier bin ich selbst gefordert. Hier muß ich aufbrechen, ich ihm entgegengehen, ihn anrufen. Die eucharistische Gemeinschaft der Kirche ist kein Kollektiv, in der Gemeinschaft dadurch erreicht wird, daß man auf den untersten Nenner heruntergeht, sondern sie wird eben dadurch Gemeinschaft, daß wir ganz wir selber sind. Sie beruht nicht auf dem Auslöschen des Ich, auf der Kollektivierung, sondern sie entsteht dadurch, daß wir wirklich mit unserem ganzen Ich selbst aufbrechen und in diese neue Gemeinschaft des Herrn hineintreten. Nur so ereignet sich etwas anderes als Kollektivität; nur so wächst wirkliches, an die Wurzel und in die Mitte und in die Höhe des Menschen reichendes Zueinander. Weil es so ist, gehört zur Kommunion vorab das persönliche Hintreten zu Christus, das Ich-Gebet; deshalb braucht sie hernach die Weile der Stille, in der wir ganz persönlich mit dem anwesenden Herrn sprechen. Wir haben dies vielleicht in den letzten Jahrzehnten alle zu sehr verlernt. Wir haben Gemeinde, Liturgie als Feier der Gemeinschaft neu entdeckt, und dies ist groß. Aber wir müssen auch neu entdecken, daß Gemeinschaft die Person verlangt. Wir müssen dieses stille Beten vor der Kommunion und das stille Einswerden mit dem Herrn, das uns-Aussetzen an ihn neu lernen. (Fs)

83a Daraus ergibt sich ein Weiteres schließlich ganz von selbst. Was wir empfangen, ist - wir sagten es - Person. Diese Person aber ist der Herr Jesus Christus, Gott und Mensch zugleich. Die vergangene Kommunionfrömmigkeit früherer Jahrhunderte hat wahrscheinlich zu sehr des Menschen Jesus vergessen, zu sehr an Gott gedacht. Aber wir sind in der umgekehrten Gefahr, nur noch den Menschen Jesus zu sehen und vergessen dabei, daß wir in ihm, der sich uns leibhaftig schenkt, zugleich den lebendigen Gott anrühren. Weil es aber so ist, darum ist Kommunizieren immer zugleich auch Anbeten. Schon in jeder echten menschlichen Liebe steckt etwas von einem Sich-Beugen vor der gottgeschenkten Würde des anderen, der Ebenbild Gottes ist. Schon echte menschliche Liebe kann nicht bedeuten, daß wir den anderen vereinnahmen und besitzen; sie schließt ein, daß wir das Große, das Einmalige der nie einfach in Besitz zu nehmenden Person des anderen ehrfürchtig anerkennen, uns beugen und so einander eins werden. In dem Kommunizieren mit Jesus Christus erreicht dies eine neue Höhe, denn hier wird menschliche Partnerschaft notwendig überschritten. Das Wort vom Herrn als unserem "Partner" erklärt zwar manches, deckt aber noch mehr zu. Wir stehen ja nicht auf gleicher Ebene. Er ist der ganz andere, die Majestät des lebendigen Gottes tritt mit ihm auf uns zu. Mit ihm sich vereinigen heißt sich beugen und dadurch sich auftun für seine Größe. Das hat sich in jeder Zeit auch in der Kommunionfrömmigkeit ausgedrückt. Augustinus sagt einmal in einer Predigt zu seinen Kommunikanten: Niemand kann kommunizieren, ohne zuerst angebetet zu haben. Theodor von Mopsuestia, ein Zeitgenosse von ihm, der in Syrien wirkte, berichtet, daß jeder Kommunikant vor dem Nehmen der heiligen Gabe ein Wort der Anbetung sprach. Besonders ergreifend ist, was uns von den Mönchen in Cluny um das Jahr 1000 erzählt wird. Wenn sie zur Kommunion hintraten, zogen sie ihre Schuhe aus. Sie wußten, daß hier der brennende Dornbusch ist, daß das Geheimnis, vor dem Mose in die Knie sank, hier anwesend war.3 Die Formen wechseln, aber was bleiben muß, ist der Geist der Anbetung, der erst wahres Heraustreten aus uns selbst, Kommunizieren, Freiwerden von uns und so Finden auch gerade der menschlichen Gemeinschaft bedeutet. (Fs)

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