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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie; Einwand: Haltung -> kniend - stehend; Hand - Mund; Cyrill von Jerusalem; Einwand: Sprache

Kurzinhalt: Der zweite Einwand, den wir bedenken wollten, richtet sich gegen die Kommunion: kniend - stehend, Hand - Mund. Nun, zunächst möchte ich sagen, daß beide Haltungen möglich sind ...

Textausschnitt: 68a Der zweite Einwand, den wir bedenken wollten, richtet sich gegen die Kommunion: kniend - stehend, Hand - Mund. Nun, zunächst möchte ich sagen, daß beide Haltungen möglich sind und alle Priester darum bitten, die Toleranz zu üben, die eines jeden Entscheidung anerkennt; ich möchte darüber hinaus Sie alle bitten, solche Verträglichkeit zu üben und nicht den anderen zu verdächtigen, der sich zu einer bestimmten Form entschieden hat. Aber Sie werden fragen: Ist hier eigentlich Toleranz die rechte Antwort? Oder ist sie nicht bei diesem Allerheiligsten fehl am Platz? Nun, wiederum wissen wir, daß bis zum 9. Jahrhundert die Kommunion stehend in die Hand empfangen worden ist. Das muß gewiß nicht besagen, daß es immer so bleiben soll. Denn das Große und Schöne an der Kirche ist, daß sie wächst, daß sie reift, daß sie das Geheimnis tiefer begreift. Insofern hat die neue Entwicklung, die nach dem 9. Jahrhundert begann, durchaus als Ausdruck der Ehrfurcht ihr Recht und ihre guten Gründe. Aber umgekehrt müssen wir doch auch sagen, daß unmöglich die Kirche 900 Jahre lang unwürdig die Eucharistie gefeiert haben kann. Wenn wir die Texte der Väter lesen, sehen wir, aus welchem Geist der Ehrfurcht heraus sie kommuniziert haben. Bei Cyrill von Jerusalem im 4. Jahrhundert finden wir einen besonders schönen Text. Er schildert in seinen Taufkatechesen den Kommunikanten, wie sie es machen sollen. Sie sollen vorgehen, ihre Hände zum Thron bilden, die rechte auf die linke legen, damit sie ein Thron für den König sei und zugleich ein Kreuz darstelle. Um diesen symbolischen Ausdruck voller Schönheit und Tiefe geht es ihm: Die Hände des Menschen bilden das Kreuz, das zum Thron wird, in das sich der König hineinbeugt. Die ausgestreckte, geöffnete Hand kann so zum Zeichen dafür werden, wie der Mensch sich dem Herrn entgegenhält, seine Hände öffnet für ihn, damit sie Werkzeug seiner Nähe, Thron seiner Erbarmungen in dieser Welt werden.1 Wer dies bedenkt, wird erkennen: Hier ist es falsch, um diese oder jene Haltung zu streiten. Streiten müssen und dürfen wir allein um das, worum die Kirche vor und nach dem 9. Jahrhundert gerungen hat, nämlich um die Ehrfurcht des Herzens, die sich vor dem Geheimnis des Gottes beugt, der sich in unsere Hände legt. Wir sollten dabei nicht vergessen, daß nicht nur unsere Hände unrein sind, sondern unsere Zunge auch und unser Herz auch, und daß wir mit der Zunge oft mehr sündigen als mit den Händen. Das größte Wagnis und zugleich Ausdruck für die erbarmende Güte Gottes ist es, daß nicht nur Hand und Zunge, sondern unser Herz ihn berühren darf. Daß der Herr in uns eintritt und in uns, mit uns leben, von innen her Mitte unseres Lebens und seine Verwandlung werden will. (Fs)

70a Lassen Sie mich zuletzt noch zur Sprache ein paar Worte sagen. Auch hier sind zwei Dinge zu bedenken, die einen Spielraum unterschiedlicher Entscheidungen und Verwirklichungen freigeben. Auf der einen Seite nennt der römische Kanon das Geschehen der Messe mit der großen Sprache der griechischen Welt "rationabile obsequium" - ein Geschehen des Wortes, ein Geschehen, an dem Geist und Vernunft beteiligt sind. Das Wort Gottes will den Menschen anreden, es will von ihm verstanden und verständig beantwortet sein. Deswegen ist man in Rom etwa im 3. Jahrhundert, als man griechisch nicht mehr allgemein verstand, von der bis dahin geltenden griechischen Eucharistie-Sprache zur lateinischen übergegangen.2 Aber daneben steht ein Zweites. Die Kirche hat später damit gezögert, die neuen sich bildenden Nationalsprachen Europas zu Liturgiesprachen zu machen. Zunächst deshalb, weil sie über lange Zeit hin noch nicht die Höhe und die Einheitlichkeit erreicht hatten, um in einem großen Raum gemeinsame Eucharistie zu ermöglichen; dann aber auch deswegen, weil sie sich jeder Nationalisierung dieses Geheimnisses widersetzte, weil sie auch in der Sprache das Umfassende ausdrücken wollte, das über die Grenzen der Orte und der Zeiten hinausreicht. Sie konnte bei der gemeinsamen lateinischen Liturgiesprache bleiben, weil sie wußte, daß es gewiß auch um den Verstand geht in der Eucharistie, aber um mehr als den Verstand - daß hier ein größeres, reiferes und umfassenderes Verstehen als das des bloßen Verstandes verlangt ist: daß hier auch das Herz verstehen muß. (Fs)

71a Muttersprache ist nach dem Gesagten grundsätzlich berechtigt. Gefährlich würde sie dann werden, wenn sie die Eucharistie ins Nationale zurücknähme; gefährlich würde sie dann, wenn wir solang übersetzen wollten, bis nur noch das unmittelbar dem Verstand, gar der banalen Alltäglichkeit Verständliche übrig bliebe. In solchem Übersetzen müßte man immer mehr streichen, bis das Eigentliche verschwände. Weil es so steht, sollten wir dankbar beides annehmen: Die normale Form der Eucharistie ist die muttersprachliche, aber wir dürfen darüber nicht verlernen, sie in der gemeinsamen Sprache der Kirche der Jahrhunderte zu beten, zu lieben, um sie so in dieser Welt, die voller Bewegung ist, in der die Nationen immerfort einander begegnen und durchdringen, auch immer wieder gemeinsam feiern und in ihr miteinander den lebendigen Gott lobpreisen zu können. Auch hier sollten wir den unfruchtbaren Streit überwinden und eins werden in der Vielfalt, die der Herr uns geschenkt hat; eins darin, das Verständige und Verständliche, eins darin aber auch, das Umgreifende und über die Vernunft des augenblicklichen Verstehens Hinausreichende anzuerkennen und zu lieben. (Fs)

72a Lassen Sie mich dazu am Schluß eine kleine Geschichte von Martin Buber erzählen. In ihr wird der Wert des verstandlichen Verstehens sichtbar; aber sie ist zugleich ein großartiges Plädoyer für die größeren Möglichkeiten des verstehenden Herzens. Martin Buber berichtet, daß der Rabbi Levi Jizchak von Berditschew eines Tages in eine Herberge kam, in der viele Kaufleute übernachteten. Am Morgen beteten sie das Morgengebet. Es zeigte sich, daß nur ein Gebetsriemen vorhanden war, den man aber nach jüdischer Tradition anlegen muß, um das Morgengebet sprechen zu können. So wurde er von einem zum anderen weitergereicht, und weil das viel Zeit kostete, beteten die einzelnen mit Rücksicht auf den Nächsten die Dinge so hastig herunter, daß kaum noch irgendein verständliches Wort übrig blieb. Der Rabbi beobachtete dies mit wachsendem Befremden; als das Ganze vorüber war, wandte er sich an zwei junge Leute und sagte einfach zu ihnen: "Ma-ma-ma, wa-wa-wa." Sie schauen ihn verwundert an und sagen: "Was willst du eigentlich?" Er antwortet wieder nur: "Ma-ma-ma, wa-wa-wa". Daraufhin halten sie ihn - verständlich - für einen Narren. Er aber sagt zu ihnen: "Wie, versteht ihr die Sprache nicht und habt doch soeben zu Gott dem Herrn in ihr gesprochen?" Nach einem Augenblick der Betroffenheit antwortet ihm einer: "Habt ihr nicht ein Kind in der Wiege liegen sehen, das die Stimme noch nicht zu gliedern vermag? Habt ihr nicht gehört, wie es allerlei Geräusch mit seinem Munde macht: Ma-ma-ma, wa-wa-wa? Alle Weisen und Gelehrten können es nicht verstehen. Wenn aber seine Mutter hinzukommt, weiß sie sogleich, was die Laute meinen."1 Diese Geschichte ist keine Apologie des Geplappers. Aber sie läßt uns innewerden, daß es ein Verstehen des Herzens gibt, das über das Verstehen der Worte hinausreicht. Um dieses Verstehen des Herzens sollten wir vor allem suchen, damit auch unsere Worte gefüllt seien und damit wir würdig verherrlichen den lebendigen Gott. (Fs)

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