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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie, Opfer; Zusammenfassung; Passahaggada - Kanon; rationabile obsequium; Einheit, Priesterweihe; Interkommunion

Kurzinhalt: Die Umwandlung des Todes in Liebe, die sich in seinem Allmachtswort vollzieht, verschmilzt daher menschliches Wort mit dem Wort der ewigen Liebe ...

Textausschnitt: 49a Fassen wir das bisher Bedachte zusammen. Der Kanon als Fortführung der Passahaggada ist als "Eucharistia" (das heißt als Umwandlung von Sein in Dank) eigentlicher Kern der Messe. Die Liturgie selbst nennt ihn "rationabile obsequium", Opfer in der Weise des Wortes. Sie setzt dabei zunächst das geistige Ringen der Propheten, der leidenden Gerechten in Israel, aber auch die sich daran annähernde reife Frömmigkeit der griechischen Welt voraus. Sie weiß aber vor allem, daß auch das menschliche Wort nur dadurch wahrhaft Anbetung und Opfer werden konnte, daß es gedeckt war vom Leben und Leiden dessen, der selbst das Wort ist. Die Umwandlung des Todes in Liebe, die sich in seinem Allmachtswort vollzieht, verschmilzt daher menschliches Wort mit dem Wort der ewigen Liebe, das der Sohn ist, der sich immerwährend dem Vater in Liebe übereignet. Deshalb kann dieses Wort, was menschliche Liebe nur wünscht: im Tod die Tür zur Auferstehung aufstoßen. So ist der Kanon als "wahrhaftes Opfer" Wort vom Wort; in ihm spricht der, der als Wort Leben ist. Indem er uns dieses Wort auf die Zunge legt, es uns mitsprechen läßt, macht er uns zu Mitopfernden: Sein Wort wird unser Wort, seine Anbetung unsere Anbetung, sein Opfer unser Opfer. (Fs) (notabene)

50a Demgemäß müssen wir jetzt noch einen Blick auf die Struktur des Kanons werfen. Dabei ist anzumerken, daß die neuen Hochgebete mit dem überlieferten römischen Kanon dieselbe Struktur teilen; was wir an ihm exemplarisch bedenken, gilt sachlich ebenso von ihnen. Wenn wir nun also auf den sogenannten römischen Kanon schauen, stoßen wir zunächst auf etwas Merkwürdiges: Er spricht keineswegs nur von Gott und Christus, von seinem Tod und seiner Auferstehung. Er spricht von Menschen, nennt Namen: Xystus, Clemens, Cyprian; er gibt uns die Freiheit, Namen einzufügen, die Namen der Menschen, die wir liebten und die uns vorangegangen sind in die andere Welt; die Namen der Menschen, denen wir danken oder deren Last wir mittragen möchten. Ja, der Kanon spricht darüber hinaus von der ganzen Schöpfung, denn wenn es am Schluß heißt: "Durch ihn segnest du all diese guten Gaben", dann geht sein Blick hinaus auf alles, was wir aus Gottes guten Händen empfangen; jede Mahlzeit soll gleichsam hineingehalten sein in diese neue Mahlzeit, die Christus uns schenkt, soll etwas von ihrem Dank für den Schöpfer-Gott in sich tragen. Wir sollten - nebenher bemerkt - dieses Bewußtsein wieder erneuern, daß all unsere Mahlzeiten von der Schöpfergüte Gottes leben und hinweisen auf diese höchste Mahlzeit, in der wir nicht mehr nur irdische Dinge, sondern Gottes leibhaftiges Erbarmen empfangen. Wir sollten uns vornehmen, unsere Mahlzeiten wieder mehr zu heiligen Zeiten zu machen; sie mit Gebet zu eröffnen und zu schließen. Solches Tun wird ein neues Klima in unsere Häuser tragen; wo wir gemeinsam beten, wo wir die Gaben Gottes dankend von ihm empfangen, entsteht eine neue Mitte, die auch uns verändert. Im Kanon kommen Menschen vor, so sagten wir; dies hat einen sehr einfachen Grund. Es gibt nur einen Christus. Wo immer Eucharistie gefeiert wird, da ist er ganz da. Deswegen ist auch in der ärmsten Dorfkirche, wenn Eucharistie stattfindet, das ganze Geheimnis der Kirche, ihre lebendige Mitte, der Herr, anwesend. Aber dieser ganze Christus ist eben auch nur einer. Darum können wir ihn nur mit allen anderen zusammen haben. Er ist derselbe, hier oder in Rom, in Amerika oder in Australien oder in Afrika. Weil er nur einer ist, können wir ihn nur in der Einheit empfangen. Wo wir gegen die Einheit stünden, könnten wir ihm nicht mehr begegnen. Aus diesem Grund hat jede Eucharistiefeier die Struktur des "Communicantes", der Kommunion nicht nur mit dem Herrn, sondern auch mit der Schöpfung und mit den Menschen aller Orte und aller Zeiten. Auch dies sollten wir neu in unsere Seele hineinnehmen, daß wir mit dem Herrn nicht kommunizieren können, wenn wir es nicht miteinander tun; daß wir, wenn wir zu ihm hintreten, auch neu aufeinanderzutreten, eins miteinander werden müssen. Von daher ist es nicht nur eine Äußerlichkeit, sondern von innen notwendig, daß in der Eucharistiefeier Papst und Bischof genannt werden. Denn Eucharistiefeier ist nicht nur Begegnung von Himmel und Erde, sondern auch Begegnung der Kirche von damals und von heute, Begegnung der Kirche von hier und dort; sie setzt das sichtbare Hineintreten in ihre sichtbare und nennbare Einheit voraus. Die Namen von Papst und Bischof stehen dafür, daß wir wahrhaft die eine Eucharistie Jesu Christi feiern, die wir nur in der einen Kirche empfangen können. (Fs)

52a So wird ein Letztes sichtbar: Mitte des Kanons ist der Bericht vom Abend vor Jesu Leiden. Wenn er gesprochen wird, dann erzählt der Priester nicht eine vergangene Geschichte, eine bloße Erinnerung an damals, sondern dann geschieht Gegenwart. "Dies ist mein Leib", das wird im Heute gesagt. Aber dieses Wort ist ein Wort Jesu Christi. Kein Mensch kann es von sich aus sagen. Niemand kann von sich aus seinen Leib als den Leib Christi, dieses Brot als seinen Leib im Ich Jesu Christi erklären. Dieses Ich-Wort - "mein Leib" kann nur Er selber sagen. Wenn ein Mensch es wagen würde, es aus sich zu sagen, sein Ich als das Ich Christi zu sehen, könnte dies nur Lästerung sein. Niemand kann sich selbst solche Vollmacht geben; kein anderer kann sie ihm geben; keine Gemeinde kann sie ihm geben. Sie kann nur geschenkt werden durch die Gesamtkirche, die eine ganze Kirche, der der Herr sich selbst übertragen hat. Aus diesem Grunde braucht die Messe den, der nicht im eigenen Namen spricht, der nicht im eigenen Auftrag kommt, sondern der die ganze Kirche, die Kirche aller Orte und Zeiten vertritt, die ihm übertragen hat, was sie selbst empfangen hat. Daß Eucharistiefeier an Priesterweihe gebunden ist, ist nicht, wie wir manchmal hören, eine Erfindung der Kirche, die sich damit allerlei Rechte anmaßt und den Geist einengt. Es folgt aus dem innersten Wesen dieses Wortes, das kein Mensch aus sich zu sprechen das Recht hat; es folgt daraus, daß dieses Wort nur im Sakrament der ganzen Kirche, in der Vollmacht, die sie allein als Einheit und Ganzheit hat, gesprochen werden kann. Solches Beschenktwerden mit dem Auftrag, den die ganze Kirche in ihrer Einheit selbst empfangen hat, nennen wir Priesterweihe. Von alledem her sollten wir versuchen, eine neue Ehrfurcht vor dem eucharistischen Geheimnis zu finden. Darin geschieht Größeres, als wir machen können. Seine Größe hängt nicht von unserer Gestaltung ab, sondern all unser Gestalten kann immer nur ein Dienen sein an dem Großen, das uns vorausgeht und das wir nicht schaffen. Wir sollten neu lernen, daß Eucharistie niemals das Werk bloß einer Gemeinde ist, sondern daß wir vom Herrn her empfangen, was der Einheit der Kirche geschenkt ist. Mich bewegen immer wieder jene Berichte aus Konzentrationslagern oder aus russischer Gefangenschaft, wo Menschen über Wochen und Monate die Eucharistie entbehren mußten und nicht zu der Eigenmacht griffen, sie sich selbst zu erschaffen, sondern die Eucharistie der Sehnsucht feierten, verlangend auf den Herrn warteten, der allein sich selber schenken kann. In solcher Eucharistie der Sehnsucht wurden sie auf eine neue Weise reif für sein Geschenk und empfingen es ganz neu, wenn dann irgendwo ein Priester ein Stück Brot und etwas Wein fand. (Fs) (notabene)

53a Wir sollten von da aus auch die Frage der Interkommunion mit der gebührenden Demut und Geduld annehmen. Es ist nicht unsere Sache, selbst zu tun, als ob Einheit wäre, wo sie nicht gegeben ist. Eucharistie ist niemals ein Mittel, das wir anwenden können; sie ist die Gabe des Herrn, die Mitte der Kirche selbst, über die wir nicht verfügen. Es geht hier nicht um persönliche Freundschaft, um subjektive Glaubensgrade, die wir ohnedies nicht messen können, sondern um das Stehen in der Einheit der einen Kirche und um unser demütiges Warten darauf, daß Gott selbst sie schenken möge. Statt hier zu experimentieren und dem Geheimnis seine Größe zu nehmen und es zu einem Mittel in unseren Händen herabzuwürdigen, sollten auch wir lernen, die Eucharistie der Sehnsucht zu feiern und im gemeinsamen Beten und Hoffen auf neue Weise der Einheit mit dem Herrn entgegenzugehen. (Fs)

54a Der Bericht des heiligen Johannes vom Tod des Herrn schließt mit den Worten: "Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrt haben" (Joh 19,37 = Sach 12,10). Seine Geheime Offenbarung beginnt er mit diesen Worten (Offb 1,7), die dort als die Eröffnung des Gerichtstages dastehen, jenes Tages, an dem endgültig der Durchbohrte aufgehen wird über der Welt als ihr Gericht und als ihr Leben. Uns aber trägt er auf, schon jetzt auf ihn hinzuschauen, um so das Gericht zur Rettung zu machen. "Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrt haben." Dies könnte geradezu Beschreibung der inneren Richtung unseres christlichen Lebens sein, daß wir lernen, immer mehr wahrhaft auf ihn hinzuschauen, die Augen unseres Herzens auf ihn gerichtet zu halten, ihn zu sehen und daran demütig zu werden; unsere Sünde zu erkennen, zu erkennen, wie wir ihn geschlagen haben, wie wir unsere Brüder und darin ihn verwundet haben; hinschauen auf ihn und zugleich hoffend werden, weil der Verwundete der Liebende ist; hinschauen auf ihn und davon den Weg des Lebens empfangen. Herr, schenke uns, daß wir auf dich hinschauen und darin wahres Leben finden!

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