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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Gott ist uns nah

Titel: Gott ist uns nah

Stichwort: Eucharistie, Opfer; Johannes (Seite, Blut, Wasser, Vorhang), Abraham

Kurzinhalt: Die Eucharistie ist Opfer, Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Jesu Christi. Wenn wir dies hören, stehen Widerstände in uns auf, und es war zu allen Zeiten so... Gott schenkt, damit wir schenken können. Dies ist das Wesen des eucharistischen Opfers ...

Textausschnitt: 41a Der Evangelist Johannes hat seine Darstellung der Passion Jesu Christi mit zwei großen Bildern umrahmt, in denen er jeweils das Ganze dessen, was Jesu Leben und Leiden bedeuten, sichtbar macht, um darin zugleich auch den Ursprung des christlichen Lebens, Ursprung und Sinn der Sakramente auszulegen. Am Anfang der Passionsgeschichte steht der Bericht von der Fußwaschung; an ihrem Ende die feierliche, bewegende Erzählung von der Öffnung der Seite Jesu (Jon 19,30-37). Johannes hat dabei mit großer Sorgfalt den Tag des Todes Jesu datiert.1 Aus seinem Evangelium geht hervor, daß Jesus genau in der Stunde starb, in der im Tempel die Osterlämmer für das Paschafest geschlachtet wurden. So wird durch diesen Augenblick des Todes sichtbar, daß er das wirkliche Osterlamm ist; daß die Lämmer zu Ende sind, weil das Lamm gekommen ist. Für die Seite Jesu, die geöffnet wird, hat Johannes genau das Wort verwendet, das in der Schöpfungsgeschichte bei dem Bericht von der Erschaffung Evas steht, wo wir gewöhnlich "Rippe" Adams übersetzen.2 Johannes macht auf diese Weise deutlich, daß Jesus der neue Adam ist, der in die Nacht des Todesschlafes hinuntersteigt und in ihr den Anfang einer neuen Menschheit eröffnet. Aus seiner Seite, aus dieser in der liebenden Hingabe geöffneten Seite kommt eine Quelle heraus, die die ganze Geschichte befruchtet. Aus der Todeshingabe Jesu strömen Blut und Wasser, Eucharistie und Taufe als Quell einer neuen Gemeinschaft. (Fs) (notabene)

42a Die offene Seite ist der Ursprungsort, aus dem die Kirche kommt, aus dem die Sakramente kommen, die die Kirche bauen. So wird in diesem Bild, das der Evangelist zeichnet, noch einmal ansichtig, was wir in der ersten Besinnung zu verstehen suchten. Für die Einsetzung der Eucharistie genügt das Abendmahl allein nicht. Denn die Worte, die Jesus da spricht, sind Vorwegnahme seines Todes, Umwandlung des Todes in ein Geschehen der Liebe, Umwandlung des Sinnlosen in den Sinn, der sich öffnet für uns. Aber das bedeutet dann auch, daß diese Worte nur dadurch Gewicht haben, nur dadurch schöpferisch sind über die Zeiten hin, daß sie nicht Worte blieben, sondern daß sie gedeckt wurden mit seinem wirklichen Tod. Und wiederum würde dieser Tod leer bleiben, würden seine Worte bloßer uneingelöster Anspruch bleiben; würde sich nicht wahrhaft zeigen, daß seine Liebe stärker ist als der Tod, daß der Sinn stärker ist als der Unsinn. Der Tod würde leer bleiben und auch die Worte nichtig machen, wenn nicht die Auferstehung käme, in der sichtbar wird, daß diese Worte aus göttlicher Vollmacht heraus gesprochen sind; daß seine Liebe in der Tat stark genug ist, weiterzureichen über den Tod hinaus. So gehören diese drei zusammen.- das Wort, der Tod und die Auferstehung. Und diese Dreieinigkeit von Wort, Tod und Auferstehung, die uns etwas vom Geheimnis des dreieinigen Gottes selbst ahnen läßt, die nennt die christliche Überlieferung das "Paschamysterium", das Ostergeheimnis. Nur alles drei zusammen ist ein Ganzes, nur diese drei zusammen sind wahrhaft Wirklichkeit, und dieses eine Ostergeheimnis ist der Ursprung, aus dem Eucharistie herauskommt. (Fs) (notabene)

43a Das aber bedeutet: Eucharistie ist weit mehr als bloß ein Mahl; sie hat einen Tod gekostet, und die Majestät des Todes ist anwesend in ihr. Wenn wir sie begehen, muß uns die Ehrfurcht vor diesem Geheimnis, die Scheu vor dem Mysterium des Todes erfüllen, der anwesend wird in unserer Mitte. Anwesend ist freilich zugleich auch, daß dieser Tod überwunden wurde durch Auferstehung und daß wir deshalb diesen Tod begehen können als das Fest des Lebens, als die Verwandlung der Welt. Zu allen Zeiten und in allen Völkern haben die Menschen in ihren Festen letztlich versucht, die Tür des Todes aufzustoßen. Ein Fest bleibt solange oberflächlich, bloße Zerstreuung und Betäubung, so lange es an diese letzte Frage nicht rührt. Der Tod ist die Frage aller Fragen und wo er ausgeklammert wird, ist letztlich keine Antwort gegeben. Nur wo er beantwortet wird, kann der Mensch wahrhaft feiern und frei werden. Das christliche Fest, die Eucharistie, reicht bis in diese Tiefe des Todes hinunter. Es ist nicht bloß fromme Unterhaltung und Zerstreuung, irgendeine religiöse Verschönerung und Verbrämung der Welt; es reicht bis in den tiefsten Grund hinab, der da genannt ist Tod, und stößt den Weg auf in das Leben, das den Tod überwindet. Damit ist aber eigentlich nun schon das ausgelegt, worüber wir in dieser Besinnung nachdenken wollen und was die Überlieferung zusammenfaßt in dem Satz: Die Eucharistie ist Opfer, Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Jesu Christi. Wenn wir dies hören, stehen Widerstände in uns auf, und es war zu allen Zeiten so. Es erhebt sich die Frage: Liegt nicht eigentlich ein unwürdiges oder zumindest ein naives Gottesbild vor, wo von Opfern geredet wird? Steckt dahinter nicht die Vorstellung, wir Menschen müßten und wir könnten Gott etwas schenken? Zeigt sich da nicht die Meinung, daß wir sozusagen gleichrangige Partner Gottes sind, die ein Tauschgeschäft mit ihm machen: Wir geben ihm, damit er uns gebe? Verkennen wir nicht die Größe Gottes, der unserer Gaben nicht bedarf, weil er selbst Geber aller Gaben ist? Aber andererseits bleibt da freilich doch die Frage: Sind wir nicht alle Schuldner Gottes, ja, nicht nur Schuldner, sondern Schuldige, weil wir nicht mehr bloß einfach unser Leben und Sein ihm schulden, sondern schuldig geworden sind gegen ihn? Wie sollen wir mit ihm ins reine kommen? Wir können ihm nicht geben, und trotzdem können wir ja auch nicht einfach annehmen, daß er die Schuld wie nichtig behandelt, daß er sie nicht ernst nimmt, daß er den Menschen nur als ein Spiel betrachtet. (Fs)

44a Auf eben diese Frage gibt die Eucharistie Antwort. Als erstes sagt sie uns dabei dies: Gott selber schenkt uns, damit wir schenken können. Die Initiative in dem Opfer Jesu Christi kommt von Gott her. Zuerst ist es er selbst, der herabsteigt: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab" Joh 3,16). Christus ist nicht zuerst eine Gabe, die wir Menschen dem zürnenden Gott darbringen, sondern daß er da ist, daß er lebt, leidet und liebt, dies ist schon Werk der Liebe Gottes. Er ist das Heruntersteigen der erbarmenden Liebe, die sich zu uns herabbeugt; der Herr wird für uns zum Sklaven, wie wir in der vorausgehenden Betrachtung gesehen haben. Im selben Sinn steht im zweiten Korintherbrief als Ruf der Gnade an uns das Wort: "Laßt euch mit Gott versöhnen!" (2 Kor 5,20) Obwohl wir den Streit vom Zaun gebrochen haben, obwohl nicht Gott an uns schuldig wurde, sondern wir an ihm, geht er auf uns zu und bettelt gleichsam in Christus um Versöhnung. Er verwirklicht das, was der Herr in dem Gleichnis vom Opfer im Tempel sagt, wo es heißt: "Wenn du deine Gabe zum Altar bringst und es fällt dir ein, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, dann laß die Gabe vor dem Altar liegen, geh hinaus, versöhne dich zuerst mit deinem Bruder und dann komm wieder und bring deine Gabe" (Mt 5,23 f.). Gott selber ist uns in Christus diesen Weg vorgegangen; er ist uns, seinen unversöhnten Kindern, entgegengepilgert - hinausgegangen aus dem Tempel seiner Herrlichkeit, um uns zu versöhnen. (Fs)

45a Dasselbe zeigt sich aber auch schon, wenn wir zurückblicken auf den Anfang der Geschichte des Glaubens. Zuletzt opfert Abraham nicht etwas, was er selbst bereitgestellt hat, sondern er schenkt den Widder (das Lamm), der ihm von Gott geschenkt worden ist. So öffnet sich in diesem Uropfer Abrahams der Blick durch die Jahrtausende hin; dies Lamm im Dornengestrüpp, das Gott ihm schenkt, damit er schenken könne, ist gleichsam der erste Vorbote jenes Lammes Jesus Christus, das die Dornenkrone unserer Schuld trägt; das in die Dornen der Weltgeschichte eingetreten ist, um uns zu geben, was wir geben dürfen. Wer die Abrahamsgeschichte recht begreift, dem kann es nicht so gehen wie Tilman Moser in seinem unheimlichen Buch "Gottesvergiftung"; Moser liest aus ihr einen Gott heraus, der grausam ist wie ein Gift, das unser ganzes Leben vergällt.3 Auch als Abraham unterwegs war und von dem Geheimnis des Widders noch nicht wußte, konnte er vertrauenden Herzens zu Isaak sagen: Deus providebit - Gott wird Sorge tragen. Weil er diesen Gott kannte, deswegen wußte er auch in der Nacht seiner Unbegreiflichkeit, daß er ein Liebender ist; deswegen konnte er auch da, wo nichts mehr zu begreifen war, auf ihn setzen und wissen, daß gerade der, der ihn scheinbar bedrängte, gerade so der wahrhaft Liebende war. In solchem Hineinschreiten, in dem sein Herz weit wurde, in dem er in den Abgrund des Vertrauens hineintrat und in der Nacht des unverstandenen Gottes es mit ihm wagte, da wurde er erst fähig, den Widder zu empfangen; den Gott zu begreifen, der schenkt, damit wir schenken können. Dieser Abraham allerdings spricht uns alle an. Wenn wir nur von außen zuschauen, wenn wir nur von außen und nur auf uns gerichtet Gottes Wirken ergehen lassen, dann werden wir Gott bald für einen Tyrannen ansehen, der mit dieser Welt spielt. Aber je mehr wir mit ihm gehen, je mehr wir ihm in der Nacht des Unverstandenen trauen, desto mehr werden wir innewerden, daß gerade der Gott, der uns scheinbar quält, der wahrhaft Liebende ist, auf den wir uns unbedingt verlassen können. Je tiefer wir hinabgehen in die Nacht des Unverstandenen und ihm trauen, desto mehr werden wir ihn finden, werden wir die Liebe und die Freiheit finden, die uns durch alle Nächte trägt. Gott schenkt, damit wir schenken können. Dies ist das Wesen des eucharistischen Opfers, des Opfers Jesu Christi; so drückt es auch seit ältesten Zeiten der römische Kanon aus: De tuis donis ac datis offerimus tibi - aus deinen Geschenken und Gaben schenken wir dir. (Fs)

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