Autor: Brandmüller, Walter Buch: Licht und Schatten Titel: Licht und Schatten Stichwort: Inquisition: historische Würdigung; Wahrheit - Freiheit Kurzinhalt: So muß die erste Fragen lauten: Wie sahen die Zeitgenossen die Inquisition? ... Unser Jahrhundert, das Auschwitz und den Archipel Gulag hervorgebracht hat und in einem Jahr in Deutschland mehr Ungeborene umbringt, als die Inquisition in ...
Textausschnitt: Historische Würdigung
91a Der Versuch einer historischen Würdigung der Inquisition ist zugegebenermaßen schwierig. Wie bei allen historischen Beurteilungen müssen auch hier Vorurteile, Gefühle, Leidenschaften und dergleichen aus dem Spiele gehalten werden. Der Historiker ist weder Staatsanwalt noch Verteidiger, noch Richter. (Fs)
Es muß ihm, wie bei aller Wissenschaft, um die "cognitio e causis" gehen, um das möglichst umfassende Verstehen eines historischen Phänomens aus seinen Ursachen, Umständen und Wirkungen. Dabei müssen Maßstäbe der betreffenden Epoche der Vergangenheit angelegt, und Maßstäbe und Kategorien unserer Zeit dürfen nur mit großer Behutsamkeit ins Spiel gebracht werden. So muß die erste Fragen lauten: Wie sahen die Zeitgenossen die Inquisition?
Es gab Protest und Widerstand, etwa gegen Konrad von Marburg, und dann und wann wandte man sich an den Papst, wenn es galt, sich gegen Amtsmißbrauch von Inquisitoren zu wehren (so in Carcassonne 1286). In anderen Fällen - wie im Böhmen des 14. Jahrhunderts - ging es um die Wahrung der eigenen rechtlichen Zuständigkeit von Stadtregiment und lokaler Hierarchie gegenüber dem Sondergericht der Inquisition. Aber eine Opposition gegen die Verfolgung, Bestrafung, ja Hinrichtung der Ketzer wird als solche nicht quellenmäßig greifbar. (Fs)
91b Die Wormser Annalen, die Konrads von Marburg Vorgehen scharf tadelten, erkennen es unumwunden an, daß der Feuertod eine gerechte Strafe für die Ketzer sei, und der berühmte Berthold von Regensburg ruft aus: "Pfui, unseliger Ketzer, man sollte dich eher auf dem Scheiterhaufen verbrennen, ehe du einen einzigen anderen zum Ketzer machst." Es muß in diesem Zusammenhang nochmals daran erinnert werden, daß es ja die Bevölkerung selbst war, die seit dem ersten Auftreten von Häretikern an diesen - damals noch gegen den Widerstand der Kirche - Lynchjustiz geübt hat. (Fs)
91c Es kann also wohl angenommen werden, daß die Todesstrafe für Ketzer als angebracht betrachtet wurde. Noch im 16. Jahrhundert haben Martin Luther und Melanchthon in eindeutigen Worten die Fürsten zur Verfolgung der Wiedertäufer und anderer Schwarmgeister mit dem Schwert aufgerufen. Calvin hat Hinrichtungen wegen Ketzerei vollzogen, ebenso Elisabeth I. von England - in großer Zahl - und ihre Vorgängerin Maria die Katholische, nachdem das Parlament die alten Ketzergesetze wieder bekräftigt hatte. (Fs) (notabene)
92a Die Selbstverständlichkeit, mit der man die Strafe des Feuertodes für den Ketzer forderte, wird uns indes begreiflich, wenn wir sie in den Gesamtzusammenhang der mittelalterlichen Strafrechtspraxis überhaupt stellen. Der vor 1250 zusammengestellte "Sachsenspiegel" des Eike von Repgow bestimmt: "Wer nachts Korn stiehlt, der verschuldet den Galgen, stiehlt er es am Tage, so geht es ihm an den Hals." Oder: "Bietet der Münzer einen falschen Pfennig aus, um damit etwas zu kaufen, so geht es ihm an den Hals." Und weiter heißt es: "Den Christen, welcher ungläubig ist oder mit Zauber und Gift umgeht und dessen überwiesen wird, soll man auf dem Scheiterhaufen verbrennen."
92b Vor dem Hintergrund dieser im Alltag erlebten Rechtspraxis ist es auch verständlich, wie Thomas von Aquin die Todesstrafe für Ketzerei theoretisch begründet. In der "Summa theologiae" (II-II q. 11 a. 3) fragt er, "utrum haeretici sint tolerandi" - ob die Häretiker zu dulden seien. Obwohl - so seine Antwort - die Häretiker nicht verdienen, daß man sie dulde, muß man dennoch nach einer ersten und einer zweiten Ermahnung abwarten, ob sie zum Glauben der Kirche zurückkehren. Die aber, die nach der zweiten Aufforderung in ihrem Irrtum hartnäckig verharren, sind nicht nur zu exkommunizieren, sondern auch den weltlichen Fürsten auszuliefern, damit sie "ausgetilgt" werden - "exterminandi". Im Hauptteil seiner Argumentation fährt Thomas fort, sei bezüglich der Häretiker zweierlei zu beachten:
Auf Seiten der Ketzer geschieht eine Sünde, durch die sie verdienen, nicht nur durch die Exkommunikation aus der Kirche ausgeschlossen, sondern auch aus der Welt durch den Tod ausgemerzt zu werden. Denn es ist viel schwerwiegender, den Glauben, durch den die Seele lebt, zu zersetzen, als das Geld zu fälschen, das der Erhaltung des leiblichen Lebens dient. Wenn darum Falschmünzer und andere Verbrecher durch die Fürsten gerechterweise dem Tode überliefert werden, dann könnten erst recht die Häretiker hingerichtet werden, wenn sie überführt sind. (Fs)
93a Von Seiten der Kirche aber - so Thomas weiter - ist das Erbarmen am Platze, das den Irrenden zur Umkehr bewegen will. Darum urteilt die Kirche auch nicht sofort, sondern erst, wie der Apostel sagt, nach einer ersten und zweiten Ermahnung. Wenn der Häretiker aber dann noch hartnäckig bleibt, gibt die Kirche die Hoffnung auf seine Bekehrung auf und - um das Heil der anderen besorgt -schließt sie ihn durch die Exkommunikation von ihrer Gemeinschaft aus und überläßt ihn darüberhinaus dem weltlichen Gericht zur Hinrichtung. (Fs)
93b Ein weiterer Gedanke ist für das Verständnis der mittelalterlichen Todesstrafe für Ketzer von Bedeutung, nämlich der Aufweis einer inneren Beziehung zwischen Häresie und dem "crimen laesae maiestatis". Schon der "Codex Justiniani" stellt im 6. Jahrhundert fest, daß es viel schwerwiegender ist, die ewige Majestät zu beleidigen als die irdische. Daraus zogen schon die frühen Juristen die Konsequenzen, indem sie sowohl Verfahrensordnung als auch Strafart und -maß des Majestätsprozesses auf den Inquisitionsprozeß übertrugen. Friedrich II. hat dann in den Konstitutionen von Melfi (1231) Häresie und Majestätsverbrechen gegen den Kaiser rechtlich gleichgestellt. (Fs)
Erst verstehen...
93c Wenn wir uns aber noch weiter in die Denkart des Mittelalters hineinversetzen, stoßen wir auf einen Grundzug mittelalterlichen Denkens, der in unserem Zusammenhang besonders wichtig ist: Es war theozentrisch. (Fs)
93d Was dies bedeutet, wird am ehesten durch eine Gegenüberstellung mit dem modernen Denken klar, das wir in Bezug auf Gott als anthropozentrisch, im Hinblick auf die Sozialbindung des Menschen als individualistisch bezeichnen können. Selbst für gläubige Christen ist heute das eigene Ich ein so hoher, beinahe absoluter Wert, daß an ihm alles andere gemessen wird. Wahr ist - um auf Kierkegaard anzuspielen - was ich für wahr erkenne, wahr ist die "jemeinige" Wahrheit. Dieser existenzialistisch begründete erkenntnistheoretische Relativismus gesteht jedem seine eigene Wahrheit zu - ihr werden die objektive Glaubenswahrheit und die sittliche Norm geopfert. Gott erscheint dann eigentlich als Mittel zum Zweck der Vollendung des Menschen und seines Glückes. (Fs) (notabene)
94a Zu dieser eben vergröbernd skizzierten Geisteshaltung der Moderne läßt sich kaum ein schrofferer Kontrast vorstellen als die Theozentrik des Mittelalters. Das Mittelalter war von der grandiosen Idee vom universalen Ordnungsgefüge alles Seienden, dessen Quelle, Mittelpunkt und Gipfel Gott ist, fasziniert und sah in der göttlichen Offenbarung einen absoluten Wert. Sich an dieser von Christus geoffenbarten und der Kirche übergebenen Wahrheit zu vergreifen, bedeutete im Mittelalter ein blasphemisches Attentat auf Gottes unendliche Majestät. Hinzu trat noch der Gedanke an die Gemeinschaft, an das "bonum commune". Da die gesamte Christianitas im Glauben der Kirche die Grundlagen ihrer Existenz sah, bedeutete ein Angriff auf diesen Glauben der Kirche zugleich ein Rütteln an den Grundlagen der Gesellschaftsordnung überhaupt. Die Häresie gefährdete die Christenheit mehr als eine ansteckende Seuche. Doch nicht nur das irdische Wohlergehen wurde durch den Glaubensirrtum gefährdet, vor allem das ewige Heil stand auf dem Spiel. So mußte der Häretiker auch um des "bonum commune spirituale" willen gehindert werden, der Gemeinschaft geistigen Schaden zuzufügen. Ja, dies mußte sogar um des Häretikers selbst willen geschehen, damit auch er selbst nicht der Verdammnis anheimfiele, sondern sich bekehrte und glaubte. Deshalb zielte die Inquisition auf die Bekehrung der Ketzer ab. (Fs)
Ins Groteske wuchs dieser Gedanke jedoch, wenn man den rückfälligen Ketzer - bekehrt und mit Gott versöhnt - zum Scheiterhaufen schleppte, um ihn der Gefahr eines neuerlichen Abfalls zu entheben. Starb er jetzt, im rechten Glauben, war er für die Ewigkeit gerettet. So zu denken war für den mittelalterlichen Inquisitor alles andere als heuchlerischer Zynismus, stand doch das Wort Jesu da, das da lautet: Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet!
94b Das mittelalterliche Denken war von der Grausamkeit moderner totalitärer Regime durch Abgründe getrennt. Wo die Inquisition zum Tod verurteilte, richtete sie das Vergängliche hin, um das Unvergängliche zu retten. Der moderne Tyrann dagegen ist einer, der "nicht an das Unzerstörbare im Menschen glaubt und ihn daher, im Gegensatz zur Inquisition, völlig, auf ewig auszulöschen und zu vernichten meint" (E.Jünger, Strahlungen 1,2. Februar 1942). (Fs) (notabene)
Auch ein ganz zentrales Element mittelalterlichen Lebensgefühls muß beachtet werden: die Jenseitsgerichtetheit des mittelalterlichen Menschen. Ihm war weit mehr als uns Heutigen bewußt, daß das Erdenleben nur Durchgangsstadium zur ewigen Vollendung bei Gott ist. Dieses Wissen ließ die Menschen die oftmals drückenden Härten und Entbehrungen des Alltags ertragen. Das irdische Leben wurde im Vergleich zum ewigen Leben relativiert, jedoch nicht verachtet. Diese Gefahr bestand eher bei den ketzerischen Bewegungen, denen die Inquisition Einhalt zu gebieten suchte: Die "Endura" der Katharer - der quasi aufgezwungene Selbstmord durch Verhungern als Ersatz für die Bluttaufe der Märtyrer und als Befreiung von der Sinnenwelt - hat erwiesenermaßen weit mehr Opfer gekostet als die ganze Praxis der Inquisition. (Fs) (notabene)
94a Die Menschen des Mittelalters übersahen freilich, daß Gott auch die Freiheit des Menschen gewollt und ihm als seinem Ebenbild eine hohe Würde verliehen hat. Sie forderten durch das Extrem dieser zwar großartig gläubigen, aber doch auf einem Auge blinden Konsequenz das andere Extrem des modernen Anthropozentrismus heraus. Über Schuld oder Unschuld wird Gott alleine richten: Uns bleibt der Auftrag, das Wahre aus beiden extremen Positionen zur Einheit zu bringen, damit spätere Geschlechter uns, die wir dem Mittelalter den Vorwurf machen, es habe den Menschen der Wahrheit geopfert, nicht beschuldigen können, wir seien der Wahrheit um des Menschen willen abtrünnig geworden - und hätten damit auch den Menschen verraten. (Fs) (notabene)
94b Der evangelische Rechtshistoriker Adalbert Erler schreibt in seinem Beitrag über die Inquisition im "Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte": "Bei einer Betrachtung vom Standpunkt einer pluralistischen, glaubensindifferenten, sich selbst als human verstehenden Gegenwart kann die Inquisition natürlich nur als 'finsteres' Mittelalter erscheinen - sofern der Betrachter nicht an der Hand des historischen Stoffes zu der warnenden Erkenntnis kommt, daß der Mensch in jeder Epoche, auch wenn er guten Willens ist, der Gefahr entsetzlicher Verirrungen ausgeliefert ist." Unser Jahrhundert, das Auschwitz und den Archipel Gulag hervorgebracht hat und in einem Jahr in Deutschland mehr Ungeborene umbringt, als die Inquisition in Jahrhunderten an Todesurteilen gefällt hat, sollte sich hüten, sich über die Inquisition des Mittelalters zu empören. (Fs) (notabene)
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