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Autor: Amerio, Romano

Buch: Iota Unum

Titel: Iota Unum

Stichwort: Kirch, Katholizismus: hohe Stellung der Frau

Kurzinhalt: Besondere Aufmerksamkeit verdient die Teilnahme der Frau an den mittelalterlichen Versammlungen, wo ihre Rolle bedeutend war, wenn man sich mühte, auf Fehden beschwichtigend einzuwirken und den Gottesfrieden einzuführen.

Textausschnitt: 95. Die hohe Stellung der Frau im Katholizismus

226a Unberücksichtigt lasse ich hier die heiligen Frauen, denen der Apostel Paulus in den Episteln seine Hochachtung erweist. Unberücksichtigt bleibt auch die herausragende Rolle der hl. Maria Magdalena, als sie die frohe Kunde von der Auferstehung überbrachte. Ebensowenig lasse ich mich auf eine Erörterung ein, die so gut wie kein Ende nehmen würde, über den Stand der Jungfrauen und Witwen in der Kirchengemeinschaft, dessen hohen moralischen und religiösen Wert alle Kirchenväter, von Tertullian bis Augustinus, in Schriften zu diesem Thema rühmen. Diese Erörterung wäre nicht nur endlos, sondern auch mühevoll, weil der modernen Mentalität die Flügel fehlen, um sich zu jenem Standort aufzuschwingen, von dem aus das Schätzenswerte geschätzt, die Trefflichkeit der Tugend bewundert wird. (Fs)

226b Erwähnen dagegen möchte ich den großen Anteil, den tugendhafte Frauen auf dem Kaiserthron, wie Helena und Theodora II., an der Entfaltung der christlichen Welt im Osten und auch im Westen hatten. Als die Barbarei gezähmt war und Gesittung angenommen hatte, übten Frauen wie Theodelinde, Chlothilde und Radegunde einen Einfluß von der Art aus wie vielleicht keine Frau in der Neuzeit1. (Fs)

226c Einen einmaligen Grad erreichte die Vervollkommnung der Frau in den Klöstern Frankreichs und Deutschlands, was für die intellektuelle Kultur ebenso gilt wie für die Kunst, die Gemeinschaft zu leiten. In der Zeit der karolingischen Blüte wurde der erste Pädagogik-Traktat nicht von einem Mann, sondern von einer Frau namens Dhuoda geschrieben. Später gelangte die Kultur in den großen Klöstern, den Pflanzstätten der Menschheitsbildung in all ihren Formen, zu hoher Vollendung, auch dank weiblichen Wirkens. Heloise (12. Jahrhundert), Äbtissin des Klosters Le Paraclet bei Noget-sur-Seine, lehrte ihren Ordensschwestern das Griechische und Hebräische, womit die Schule des hl. Hieronymus, weiland in Rom und Bethlehem, wiederbelebt wurde; Hildegard, Äbtissin von Bingen (12. Jahrhundert) schrieb über Naturgeschichte und Medizin; Roswitha, Kanonissin von Gandersheim, verfaßte lateinische Komödien. Das sind alles Beweise für eine Gleichheit stiftende Erhöhung des Frauentums, die keineswegs vereinzelt erfolgte. (Fs)

226a Besondere Aufmerksamkeit verdient die Teilnahme der Frau an den mittelalterlichen Versammlungen, wo ihre Rolle bedeutend war, wenn man sich mühte, auf Fehden beschwichtigend einzuwirken und den Gottesfrieden einzuführen. Wie weit die Gleichstellung schließlich fortgeschritten war, zeigt eindeutig die Tatsache, daß in den Doppelklöstern für Männer und Frauen die Gesamtleitung der Gemeinschaft hin und wieder Frauen übertragen wurde2. Die Teilnahme von Frauen an Gemeindeversammlungen (den einzigen Volksversammlungen damals, als die Herrscher die großen Staatsgeschäfte selber besorgten) war bis zum 19. Jahrhundert keine Seltenheit, obwohl sie - wie auch bis zu unserem Jahrhundert die Teilnahme der Männer - an Zensusabgaben gebunden war. Erst die Erniedrigung der weiblichen Stellung, bedingt durch das Aufkommen der profitbedachten Industriewirtschaft und durch das massenhafte Abfallen vom Glauben, das es begleitete, brachte es mit sich, daß die politische Beteiligung der Frau gedrosselt wurde. Gleichwohl sollte nicht übersehen werden, daß es bei den örtlichen Gemeinwesen in Österreich, der Schweiz und selbst in den Legationen des Kirchenstaates ein Frauenstimmrecht gab. (Fs)

226b Die großartigste Erhöhung der Frau durch das christliche Mittelalter hat die höfische Dichtung bewirkt, die im theoretischen Werk des Andreas Cappellanus ihr Pendant findet. Die höfische Dichtung spiegelt ein regelrechtes Gefüge von Gefühlen und Bräuchen wider, die auf empfindsamen Gedanken, Achtung und Treue gründet. Bisweilen verliert sich die höfische Minne in Formen blutleerer Neigung oder gegenteiliger erotischer Glut, aber sie bleibt im großen Ganzen ein Zeichen der hehren Empfindungen, die die Kontemplation über das Weibliche in der mittelalterlichen Kultur wachgerufen hat. Einen noch höheren Gipfel hat in der sizilianischen Dichterschule und dem Dolce stil nuovo das Motiv von der engelgleichen Frau erreicht. Die Göttliche Komödie schließlich preist das Weibliche in den Gestalten der Maria, der Beatrice und der »benedeiten Frauen« des Präludiums (Dante, Inferno II, 124) als erhabenen Weg, der den Menschen spirituell aufrichtet, und als Tugendkraft, die ihm das Heil bereitet. Erkennt man die Bedeutung der Dichtung jener Jahrhunderte, ist es unmöglich, die von der Religion erwirkte Würde und Hochschätzung der Frau zu verkennen. Gewiß förderte die durch den Lobpreis der Weiblichkeit als Selbstzweck entstandene Trennung der Liebe von der Ehe und Gattenbeziehung einen Hang zu neuplatonischen Abwegigkeiten, die mit dem christlichen Realismus unvereinbar sind. Die Erscheinung bezeugt jedoch ohne jeden Zweifel, daß der Katholizismus dieser zweifachen Wahrheit, die vom modernen Feminismus entstellt wird, treu geblieben ist: Die Frau ist von der Werthaftigkeit und Endbestimmung her dem Manne gleich, und zugleich ist sie ihm ungleich, weil sie diese Gleichheit in Wert und Würde der eigenen Verschiedenheit gemäß durchleben muß. (Fs)

227a Ein weiterer Beweis für die vom Katholizismus zuerkannte Parität zwischen beiden Geschlechtern ist in dem Einfluß erkennbar, den Frauen von hohem Intellekt und starker mystischer Eingebung auf das kirchliche Regiment, die religiösen Zielrichtungen und die Vorgänge um Erneuerung oder Reform ausübten. Katharina von Siena, Jeanne d'Arc, Katharina von Genua, Theresia von Avila, - man braucht gar nicht auf weitere Namen zurückzugreifen, um diesen hervorragenden Stellenwert des weiblichen Elements in der Kirche mehr als zur Genüge nachweisen zu können. Unberücksichtigt bleiben dabei auch die zahlreichen, höchst tatkräftigen Frauen, die Orden und religiöse Genossenschaften gründeten oder immerhin die römischen Oberhirten zu Unternehmen von umfassender Bedeutung veranlaßten. So ging z.B. im vergangenen Jahrhundert, unter Pius IX., von einer gewissen Mademoiselle Tamisier der Anstoß zu den eucharistischen Kongressen aus. Bei all dem ist noch nicht die Rede von den vielen Frauen, die die Kirche zur Ehre der Altäre erhoben hat, auch nicht von denen, die sie sogar mit dem Titel »Doctor Ecclesiae«, Lehrer der universalen Kirche, ausgezeichnet hat, so die Sieneserin Katharina und die Spanierin Theresia.

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