Autor: Beckmann, Jan P. Buch: Wilhelm von Ockham Titel: Wilhelm von Ockham Stichwort: Ockham; Logik - Sätze (kategorische - hypothetische); complexa; Supposition: suppositio personalis, materialis, simplex; Suppositionstheorie, Matesprache
Kurzinhalt: Sätze heißen nach Ockham wahrheitsfähige "Zusammenstellungen aus einem Subjekt- und einem Prädikatterminus, welche mit Hilfe einer Kopula verbunden sind" ... Sie heißen daher auch 'complexa'.
Textausschnitt: 2. Sätze
72a Sätze heißen nach Ockham wahrheitsfähige "Zusammenstellungen aus einem Subjekt- und einem Prädikatterminus, welche mit Hilfe einer Kopula verbunden sind" (OP II, 358). Sie heißen daher auch 'complexa'. Ockham unterscheidet zwischen einfachen und zusammengesetzten Sätzen. Erstere nennt er kategorisch, letztere hypothetisch, 'hypothetisch' freilich nicht im kantischen Sinne des hypothetischen Urteils (bei Ockham 'propositio condicionalis'), sondern ganz allgemein im Sinne der Verbindung zweier kategorischer Sätze vermittels eines Adverbs oder einer Konjunktion. Kants hypothetisches Urteil bildet insoweit eine Unterart der Ockhamschen 'propositio hypothetica', nämlich den konditionalen Satz ("Wenn Sokrates ein Lehrer ist, dann hat er auch Schüler"). Daneben gibt es andere Unterarten hypothetischer Sätze, wie z.B. die durch ein schlichtes 'und' verbundenen kategorischen Sätze ("Sokrates läuft herum und diskutiert") oder die disjunktiven Sätze ("Sokrates ist musikalisch oder er ist es nicht") und schließlich die Kausalsätze ("Sokrates lehrt, weil er die Menschen aufklären will"). Sätze dieser Art haben die Aufgabe, über die Wahrheit oder Falschheit von Sachverhalten entscheiden zu helfen. Voraussetzung hierfür ist die Feststellung der Art und Weise, wie die im Satz verwendeten Termini für die von ihnen bezeichneten Sachverhalte stehen ("supponieren"). (Fs)
72b Klassifikation und Analyse der Weisen, in denen im Satz Termini für etwas stehen können, sind Anlaß für die Entwicklung der sog. 'Suppositionstheorie', einer der wohl bedeutendsten Innovationen der mittelalterlichen Logiker. Ockham hat hierzu einen eigenen Beitrag geliefert. Nach ihm sind die in wissenschaftlichen Aussagen verwendeten Subjekt- und Prädikattermini Zeichen. Dieselben können im wesentlichen auf dreierlei Art und Weise für das von ihnen Bezeichnete stehen. Zum ersten kann ein Zeichen für denjenigen Gegenstand stehen, den es bezeichnet. So steht in der Aussage "Sokrates ist ein Mensch" der Terminus 'Mensch' exakt für dasjenige, was er bezeichnet: den konkreten Einzelmenschen Sokrates. Diese Weise der Supposition heißt bei Ockham und anderen 'suppositio personalis'. Dieselbe ist von zwei weiteren Suppositionsweisen zu unterscheiden. Zunächst von der sog. 'suppositio materialis', bei der ein Terminus nicht für das von ihm Bezeichnete, sondern für sich selbst steht, wie in der Aussage "'Mensch' ist ein Wort der deutschen Sprache". Hier bezeichnet der Ausdruck 'Mensch' nichts, er steht lediglich für sich selbst. Anders im Falle der sog. 'suppositio simplex'. Hier steht der Terminus weder für das von ihm Bezeichnete noch steht er für sich selbst; vielmehr supponiert er für einen vom Verstand hergestellten Allgemeinbegriff. So steht der Ausdruck 'Mensch' in der Aussage "'Mensch' ist eine Spezies der Gattung 'Lebewesen'" nicht für den konkreten Einzelmenschen (denn der ist keine Spezies) noch steht er für sich selbst; er referiert vielmehr auf einen Begriff. (Fs)
73a Sinn und Funktion der Suppositionstheorie - die angegebenen Beispiele zeigen dies deutlich - ist die Klärung einer semantischen Beziehung, und zwar derjenigen zwischen einem Ausdruck, über den etwas ausgesagt wird, und einem weiteren Ausdruck, der etwas aussagt. Supposition meint dabei die Art und Weise, wie ein sprachlicher Ausdruck im Satz zur Bezeichnung eines anderen sprachlichen Ausdrucks verwendet werden kann. (Fs)
73b Ockhams Suppositionstheorie dient vor allem dem Zweck, eine Schwierigkeit zu vermeiden, die dann entsteht, wenn man behauptet, zwischen dem Reich der Begriffe und dem Reich der Dinge bestünde eine Art Isomorphie, dergestalt, daß jedem Begriff eine Sache und jeder Sache ein Begriff zugeordnet werden könnte. Eine solche Isomorphie aber gibt es nicht, wie sich schon daran zeigt, daß es Begriffe gibt, die für viele Dinge stehen können, und andere, die nur für eine Sache stehen (im obigen Beispiel 'Mensch' in materialer Supposition). Darüber hinaus gibt es Begriffe, die für real existierende Individuen stehen und andererseits solche, die für etwas Allgemeines supponieren. Die Beziehung zwischen Begriffen und Dingen ist mithin sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht in einer Weise verschieden, die es unmöglich macht, von struktureller Affinität zu sprechen. (Fs)
74a Entscheidend an dieser Theorie ist ein Zweifaches: zum einen, daß Supposition eine Eigenschaft von Termini darstellt, dies jedoch nur insofern, als sie im Satz als Subjekt- oder Prädikatterm auftreten. Die Fähigkeit zur Supposition besitzen Termini also nicht etwa infolge extramentaler Sachverhalte, sondern aufgrund der ihnen eigenen Funktion im Satz. Und noch ein Zweites ist von entscheidender Bedeutung an Ockhams Suppositionstheorie: Nur die personale Supposition ist signifikativer Art, d. h. nur hier steht ein Terminus im Satz für dasjenige, was er bezeichnet. Die beiden anderen Weisen der Supposition, die materiale ebenso wie die einfache, sind nichtsignifikativer Art, d. h. in ihnen steht ein Terminus im entsprechenden Satz nicht für dasjenige, was er bezeichnet, sondern entweder für das, was er ist (materiale S.), oder für einen vom Denken hergestellten Begriff (einfache S.). (Fs)
74a Im Unterschied zu seinem Zeitgenossen und Kontrahenten Walter Burleigh schränkt Ockham interessanterweise die personale Supposition nicht auf Termini ein, welche für extramental existierende Einzeldinge stehen; entscheidend für ihn ist nicht die Existenz der Supponate, sondern der signifikative Charakter der personalen Supposition. In gewisser Hinsicht soll die Suppositionstheorie dasjenige leisten, was heute mit der Differenzierung zwischen Objekt- und Metasprache erreicht werden soll: nämlich die verschiedenen Ebenen der Rede von und über Termini voneinander unterscheiden zu können. Im Unterschied zu heute jedoch behandelt die mittelalterliche Logik die signifikative und die suppositive Funktion von Termen als Eigenschaften derselben. Diese sind nicht identisch mit den Eigenschaften der von ihnen bezeichneten Dinge; es handelt sich nicht um ontische, sondern um semantische Eigenschaften, d.h. um solche, die mit der Art und Weise der Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem zu tun haben. Damit nun Sätze in Beweiszusammenhängen Verwendung finden können, genügt es nicht, ihre semantische Struktur zu kennen; man muß auch die Bedingungen kennen, unter denen sie wahr sind, denn nur wahre Sätze können als Prämissen Eingang in gültige Schlüsse finden. (Fs)
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