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Autor: Dumont, Gérard-Francois

Buch: Europa stirbt vor sich hin

Titel: Europa stirbt vor sich hin

Stichwort: Überbevölkerung, ein Gespenst: Malthus, Malthusianismus; Paul Ehrlich (Population, ressources, environnement);


Kurzinhalt: Den Höhepunkt des malthusianischen Denkens im 20. Jahrhundert bildet indes ... der Bericht des Club of Rome. Er greift das Postulat von Malthus auf ... In Wirklichkeit aber greift sie nichts anderes auf als die Ideologie der Übervölkerungsangst, ...

Textausschnitt: Das schreckerregende Gastmahl

40a Nach der Antike und den englischen Doktrinären wird Malthus (1766-1834) zum großen Lehrmeister der dritten geschichtlichen Schule, die das Bevölkerungswachstum als gefährlich und die absolute Übervölkerung als Drohung empfindet. Für ihn neigen die Lebenden immer zu einer Zunahme, die die verfügbare Nahrungsmenge übersteigt. (Fs)

40b In seinem »Versuch über die Bedingung und die Folgen der Volksvermehrung« (1798; dt. 1807) legte er das malthusianische Prinzip dar, das sich wie folgt resümieren läßt: »Wird ein Mensch in eine bereits vollbesetzte Welt hineingeboren und können ihm seine Eltern nicht den Unterhalt gewähren, den er ihnen zu Recht abverlangt, und benötigt auch die Gesellschaft seine Mitarbeit nicht, dann kann er nicht auf die geringste Nahrung Anspruch erheben und ist in Wirklichkeit überzählig. Auf dem großen Gastmahl der Natur gibt es keinen freien Platz für ihn; sie befiehlt ihm, sich davonzumachen, und wird ihren Befehl selbst in die Tat umsetzen, wenn es ihm nicht gelingt, sich des Mitleids einiger Tischgenossen zu versichern. Rücken diese enger zusammen, um ihm am Tische Platz zu machen, stellen sich sofort weitere Eindringlinge ein und fordern denselben Gunsterweis. Auf die Nachricht hin, es gebe Nahrung für jeden Hinzukommenden, füllt sich der Saal der Wartenden mit zahlreichen weiteren Kandidaten. Die Ordnung und die Harmonie des Festmahles sind gestört; wo vorher Überfluß herrschte, herrscht nunmehr Knappheit; die Freude der Essenden geht unter dem überall im Saale herrschenden Anblick von Elend und Mangel und dem Gezeter derer zunichte, die zu Recht wütend sind, weil sie die Nahrung nicht vorfinden, auf die man sie hatte hoffen lassen.«1

41a Frankreichs Malthus ist Jean-Baptiste Say (1767-1832). In seinem »Traité d'économie politique« schreibt er die Not einzig der Übervölkerung zu: »Die Vermehrung der Menschen reicht stets nicht nur so weit, wie ihre Existenzmittel zulassen, sondern noch darüber hinaus.« Er fügt hinzu: »Selbst in den wohlhabendsten Nationen geht Jahr für Jahr ein Teil der Bevölkerung an Mangel zugrunde« - eine immerhin anfechtbare Behauptung. (Fs)
Kurzum: Die Angst vor absoluter Übervölkerung ist eine sehr alte Geschichte, die im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Autoren wieder und wieder aufgegriffen haben. So verwundert es nicht, daß auch das 20. Jahrhundert seine Theoretiker hat, die sich eiligst die
sogenannten natürlichen Grenzen und die Gefahren einer Übervölkerung vornehmen. (Fs)

Der technokratische Malthusianismus

41b Zwei Feststellungen bilden den Schwerpunkt der Neo-Malthusianer des 20. Jahrhunderts. Die erste lieferte Paul Ehrlich 1972 in »Population, ressources, environnement«: »Je zahlreicher die Menschen sind, desto weniger können sie, zu welchem Zeitpunkt auch immer, wie Könige leben«, und weiter: »Schon jetzt ist die Welt in fast jeglicher Hinsicht übervölkert.«

42a Den Höhepunkt des malthusianischen Denkens im 20. Jahrhundert bildet indes - zweite Feststellung - im selben Jahr der Bericht des Club of Rome. Er greift das Postulat von Malthus auf, freilich in einer Formulierung, die jeden Fortschritt von vornherein ausschließt: »Deshalb rennen Bevölkerungszahl und Kapital unter dem Antrieb exponentiellen Wachstums nicht nur gegen die gesetzten Grenzen, sondern schießen darüber hinaus, bis entsprechend den zeitlichen Verzögerungen der Wachstumsvorgang abgewürgt wird.«1

42b Diese starke Behauptung bedient sich eines modernen Stils, dessen einigermaßen hermetische Formeln Wissenschaftlichkeit suggerieren wollen. In Wirklichkeit aber greift sie nichts anderes auf als die Ideologie der Übervölkerungsangst, die bereits in den drei früheren historischen Schulen aufscheint: in der Schule der Antike, in der prämalthusianischen englischen Schule und in der malthusianischen Schule selbst. Wobei der Club of Rome seine Thesen nur mit vagen empirischen Daten stützt, mithin eingesteht, daß er nicht in der Lage ist, seine rein philosophische Meinung zu rechtfertigen. (Fs)

Ein Gespenst

43a In Wahrheit sind sämtliche malthusianischen Thesen von den Tatsachen widerlegt worden. Gewiß ist der Fortschritt der Menschheit nicht automatisch auf Rosen gebettet; Familien, die mit der Armut, mit klimatisch, von der Evolution des Ökosystems und oftmals mehr noch von fehlgeleiteter Politik bedingten Schwierigkeiten zu kämpfen haben, hat es seit jeher gegeben, gibt es heute und wird es unseligerweise immer geben. Denn die Vollkommenheit ist nicht von dieser Welt, und niemals verlaufen die Dinge stets nur in Richtung auf eine Verbesserung oder in dem von den Ideologen - mögen sie besten Willens sein - gewünschten Sinne. (Fs)

Dennoch führen die Lehren der Geschichte zum selben Schluß: Die Gefahr einer Übervölkerung ist stets überwunden worden. Denn in Wirklichkeit ist die »Überbevölkerung« ein abstrakter, unscharfer Begriff, ein Gespenst, in dem eine Art Urangst zum Ausdruck kommt, eine kollektive Erinnerung an Hungersnöte, die sich mit den unzulänglichen Transportmöglichkeiten der Vergangenheit nicht bekämpfen ließen. Die neuere Weltgeschichte aber ist ein einziges Dementi dieses Traumas - doch die Angst blieb. (Fs)

43b Seit Anbruch des Neolithikums hat die Bevölkerung unseres Planeten ihre Lebensbedingungen beträchtlich verbessert. Wir sind uns dessen nicht bewußt, weil wir allezeit, was uns fehlt, viel stärker empfinden als das, was wir genießen. Alles aber deutet daraufhin, daß das Bevölkerungswachstum unablässig den Lebensbedingungen der Menschheit zugutegekommen ist. Das schlug sich nieder in der Lebenserwartung, in der Zunahme der natürlichen Hilfsquellen ebenso wie in der Umgestaltung und Fruchtbarmachung der Umwelt. (Fs)

44a Bevor wir darauf näher eingehen, müssen wir in Erinnerung rufen, daß diese Verbesserungen nicht jederzeit und überall zutreffen. Zahlreiche Völker litten und leiden: in Äthiopien, Uganda, Sudan, Mosambik, Südostasien, uns näher in Rumänien oder dem ehemaligen Jugoslawien. Aber welches heutige Beispiel wir auch nehmen: Ausschlaggebend für die Not ist nicht das demographische Kriterium. Äthiopien, das lange Zeit als Kornkammer Afrikas galt, wurde von einem politischen System der Bevölkerungskontrolle in die Verarmung getrieben. Uganda, eines der am reichsten mit Bodenschätzen gesegneten Länder Afrikas, verarmte gleichwie der Sudan wegen unablässig neuentfachter Bürgerkriege. In Mosambik herrschen Desorganisation, Korruption und als Folge der Bürgerkrieg. Kambodscha mußte das ganze Unglück einer totalitären Ideologie erleiden, die die gesamte geschichtliche Kultur des Landes wegfegen wollte.1

45a In Europa ist Rumänien - das Land, das eine abscheuliche Tyrannei erlebt hat - zugleich das ärmste. Dort hat sogar die Kindersterblichkeit wieder zugenommen - untrügliches Zeichen einer Verschlechterung der sanitären Bedingungen als Folge allgemeiner Verarmung. Das rumänische Regime hat allerdings 1987 noch zu einer Finte gegriffen, um die Schädlichkeit seines Vorgehens zu verdecken: Es beschloß, Geburten erst ab Ende des ersten Lebensmonats zu registrieren, womit die im ersten Monat verstorbenen Säuglinge aus der Zählung herausfielen... (Fs)

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