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Autor: Brandmüller, Walter

Buch: Licht und Schatten

Titel: Licht und Schatten

Stichwort: Kirche, Wahrheit, Vertrauen; Hans Küng, Qumran, Yallop, Zinsverbot: Irrtümer

Kurzinhalt: In ähnlicher Weise handelt es sich auch bei Hans Küngs "Irrtümern" des kirchlichen Lehramts mehr um Irrtümer Hans Küngs als um solche der Kirche. Zum ersten verwechselt er seitenlang ...

Textausschnitt: 6a Gelegentlich wird die Kirche mit der Arche Noahs verglichen: Nur jene Söhne und Töchter, nur jene Tiere, die Noah mit sich in die Arche nahm, wurden aus der großen Flut gerettet. In ähnlicher Weise sei die Kirche die einzige Rettung des Menschen vor der endgültigen Katastrophe. (Fs)

Wenn es um die allerletzten Dinge, um das ewige Schicksal des Menschen geht, dann kommt der Frage, wem er dieses sein ewiges Schicksal, sich selbst, anvertrauen, worauf er sich im Leben und Sterben verlassen kann, höchste Dringlichkeit zu. Da nun die Kirche den exklusiven Anspruch erhebt, die rettende Arche schlechthin zu sein, muß dieser Anspruch so solide begründet sein, daß es für den Menschen keinen Sprung ins Ungewisse bedeutet, wenn er sein Vertrauen in diese Arche setzt. (Fs)

Fragen über Fragen

6b Vielen unserer Zeitgenossen erscheint ein solches Vertrauen auf die Kirche geradezu als eine Zumutung an den gesunden Menschenverstand. Gibt es, so wendet man ein, nicht zahllose Fakten, die die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttern?
Viele haben die nicht wenigen Bücher gelesen oder Fernsehsendungen gesehen, die sich mit dem Thema "Qumran" befaßten und den Beweis zu liefern scheinen, daß die Anfänge Jesu von Nazareth und des Christentums ganz anders dargestellt werden müßten, als dies die Evangelien und das übrige Neue Testament tun. Mancher hat auch jenes in Jerusalem gefundene Tonbehältnis gesehen, in welchem Totengebeine aufbewahrt wurden und auf dem die Namen Joseph, Maria und Jesus zu lesen waren. Ist das nicht ein schlagender Beweis dafür, daß weder Jesus leiblich von den Toten auferstanden ist, noch Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde? Damit aber zerfallen doch die Grundlagen des christlichen Glaubens und der Kirche zu Staub und Asche! So argwöhnen nun viele. (Fs)

7a Hinzu kommt, daß die Kirche - wie man sagt - ihren Anspruch auf unfehlbaren Wahrheitsbesitz in zahlreichen Fällen durch grobe Irrtümer ihres Lehramtes desavouiert habe. Folgen wir Hans Küng, der "klassische, heute weithin zugegebene Irrtümer des kirchlichen Lehramts" aufzählt. Als ersten nennt er die "Exkommunikation des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Photios, und der griechischen Kirche, welche die nun bald tausendjährige Kirchenspaltung mit der Ostkirche formell machte". Sodann führt Küng "das Verbot des Zinsnehmens zu Beginn der Neuzeit (an), wo das kirchliche Lehramt nach mannigfachen Kompromissen viel zu spät seine Auffassung änderte". Daß er dann auch noch den Galileiprozeß von 1616 beziehungsweise 1633 und anderes dieser Art dazu rechnet, ist nicht anders zu erwarten. Den letzten großen Irrtum des Lehramts erblickt er in der Verwerfung der künstlichen Empfängnisverhütung. (Fs)

Andere vor und nach ihm stellten die Kirche wegen der Kreuzzüge, der Inquisition und der Hexenprozesse an den Pranger, und wem das noch nicht genug ist, der wird auf Finanzskandale der Vatikanbank und auf das Mordkomplott gegen den so sympathischen Papst Johannes Paul I. hingewiesen: Mafia im Vatikan, im Herzen der Kirche. Aus einer anderen Ecke tönt es, eine machtgierige Freimaurerclique habe schon Paul VI. durch einen ihr gefügigen Doppelgänger ersetzt, und überhaupt habe die Loge längst die Macht im Vatikan ergriffen - und so weiter. Wer also kann einer solchen Kirche noch vertrauen?!
Wenn man aber wirklich die kritische Frage nach Glaubwürdigkeit stellt, dann nicht nur an die Kirche, sondern auch an die gegen sie vorgebrachten Einwände. (Fs)
Berechtigte Kritik?

7b Das "Qumran"-Thema: Die meistgelesenen Bücher über Qumran, "Verschlußsache Jesus" (Baigent-Leigh) und Jesus und die Urchristen" (Eisenmann) wie auch andere vergleichbare Veröffentlichungen dieses Inhalts sind durch die ernsthafte Forschung als üble Machwerke entlarvt. Zum Teil sind sie Ergebnisse wissenschaftlicher Unfähigkeit, zum Teil beruhen sie auf bewußter böswilliger Verfälschung der Tatsachen. Gerade die Qumranfunde sind es, die, ganz im Gegenteil, höchst interessantes und sogar klärendes Licht auf das Neue Testament werfen. Und dann das Knochenbehältnis mit den Namen Joseph, Maria, Jesus, das tatsächlich aus Jerusalem und aus der Zeit Jesu stammt: Die Namen besagen gar nichts, wenn man bedenkt, daß sie so verbreitet waren und darum so nichtssagend sind, wie es heute die Namen Müller, Meyer oder Schuster wären. (Fs)

8a In ähnlicher Weise handelt es sich auch bei Hans Küngs "Irrtümern" des kirchlichen Lehramts mehr um Irrtümer Hans Küngs als um solche der Kirche. Zum ersten verwechselt er seitenlang den Patriarchen Photios mit dem Patriarchen Kerullarios. Zum anderen verschweigt Küng, daß Photios exkommuniziert wurde, weil er auf unrechtmäßige Art und Weise Patriarch geworden war und überdies Rom der Häresie bezichtigt und mit Hilfe einer manipulierten Synode Papst Nikolaus I. abzusetzen versucht hatte. Je nachdem man die näheren historischen Umstände dieses Falles beurteilt, könnte man allenfalls von einer kirchenpolitischen Fehlentscheidung, einer ungerechten Exkommunikation sprechen, niemals jedoch von einem Irrtum des kirchlichen Lehramts. (Fs)

Gleiches gilt auch vom Zinsverbot und seiner stufenweisen Abschaffung durch die Kirche. Dieses Verbot des Zinsnehmens war schon im Alten Testament begründet und auch von Päpsten und Konzilien festgehalten worden. Warum dies so war, wird klar, wenn man bedenkt, daß in der antiken und mittelalterlichen Welt Zinsnehmen weithin gleichzusetzen war mit Wucher. Den sündhaften Charakter als Wucher verlor das Zinsnehmen jedoch durch die Wandlungen der Wirtschaftsformen im späten Mittelalter. Somit fiel auch der Grund für das Zinsverbot im Laufe der Zeit dahin, und in der Folgezeit ging es dann nur noch um die Frage nach dem gerechten Zinssatz. Das generelle Verbot war damit hinfällig geworden. Wo also liegt hier ein Irrtum des kirchlichen Lehramts vor?

Auch die so oft als Irrtum des kirchlichen Lehramts bezeichnete Verurteilung von Galileis Lehre über das Feststehen der Sonne und die Bewegung der Erde zeigt sich bei etwas genauerem Zusehen als zu ihrer Zeit berechtigt. Weder konnte Galileo mit seinen wissenschaftlichen Mitteln einen die damalige wie die heutige Fachwelt überzeugenden Beweis führen, daß dies wirklich so sei, noch konnte er vor der Entdeckung der Schwerkraft durch Isaac Newton erklären, wie es möglich sein konnte, daß die Erde sich in rasender Geschwindigkeit um die Sonne und um die eigene Achse dreht - während zugleich von uns nichts davon wahrgenommen wird, da ja alles auf Erden fest und sicher steht, anstatt in wildem Wirbel durcheinandergeschleudert zu werden. Vor allem aber ist in diesem ganzen Verfahren gegen Kopernikus und Galilei keine einzige lehramtliche Äußerung erfolgt, die man als Dogma hätte bezeichnen können und die deshalb unwiderruflich gewesen wäre. Auch in diesem Fall versäumt es der Kritiker, die vielen geistes-, kultur- und wissenschaftsgeschichtlichen Vorgänge und Fakten zu berücksichtigen, die diese Entscheidung erklären. Und: Gerade die jüngsten naturwissenschaftlichen Ergebnisse geben der Kirche des Jahres 1633 recht. (Fs)

9a Vergleichbar differenziert, vorsichtig und umfassend müssen auch die Probleme behandelt werden, die sich mit den Reizthemen Kreuzzüge, Inquisition und Hexenprozesse verbinden. Sie erscheinen im Lichte der neueren und neuesten Forschung weitaus vielschichtiger und komplizierter, als dies jene wahrzunehmen vermögen, die hier Munition gegen die Kirche zu finden meinen. Wer außerdem nur eine entfernte Ahnung von der Kompliziertheit finanzpolitischer Aktionen und ihrer weltweiten Verknüpfungen hat und überdies weiß, welche Möglichkeiten der Manipulation sich hier eröffnen, wird, wenn es um die bewußten vatikanischen Finanzskandale geht, auf Seiten kirchlicher Instanzen eher zu große Vertrauensseligkeit, vielleicht finanztechnische Unfähigkeit oder gar Leichtsinn annehmen als kriminelle Machenschaften. (Fs)

9b Und was die Beurteilung von Yallops Buch "Im Namen Gottes" anlangt, in dem die Ermordung Johannes Pauls I. behauptet wird, so genügt die Lektüre von dessen ersten dreißig Seiten, um ein Urteil zu fällen. Auf diesen Seiten ist von den Päpsten des 19. Jahrhunderts die Rede, und dabei wird so viel Falsches gesagt, daß man sich kaum vorstellen kann, der Verfasser habe auch nur ein Lexikon benützt. Das hätte nämlich genügt, um diese zahlreichen Fehler zu vermeiden. Wenn er schon das nicht richtig wiedergibt, was alle Welt wissen kann, wie soll man ihm dann glauben können, wenn er sich auf Gespräche und Vorgänge beruft, von denen es der Natur der Sache nach keine Zeugen außer den angeblich Beteiligten geben kann. Von den üppigen Ausblühungen überhitzter Phantasie wie etwa dem Doppelgänger Pauls VI. ist wohl nicht weiter zu reden. (Fs)
10a All das also und noch manch anderes wird angeführt, um das Vertrauen in die Kirche zu erschüttern. Wie in diesen allzu knappen Ausführungen gezeigt, genügt aber in all den angeblich die Kirche desavouierenden Fällen historische und theologische Sachkenntnis, um die Grundlosigkeit solcher Angriffe zu erweisen. (Fs)

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