Autor: Leppin, Volker Buch: Wilhelm von Ockham Titel: Wilhelm von Ockham Stichwort: Ockham: Logik - Trinität; Unzulänglichkeit der Suppositionstheorie; logische Gesetzte -> reine Denkgesetze, keine Gründung im Sein Kurzinhalt: Die logischen Denkregeln gelten als Seinsregeln nur für die Welt der Geschöpfe, aber nicht für das Sein an sich. Das Sein an sich ist mithin, kenntlich an Gott selbst, größer und weiter als das dem denkenden Verstand zugängliche.
Textausschnitt: b) Logik und Trinität
78b Den schwierigsten Testfall für das Verhältnis von Theologie und Philosophie stellte zweifellos die Trinitätslehre dar. Dass diese ein logisches Problem enthält, ist nicht allein ihren außerchristlichen Kritikern aufgefallen, sondern wurde auch innerhalb der selbstverständlich christlichen mittelalterlichen Theologie gesehen. Bereits Duns Scotus hatte sich bemüht, das Problem aufzufangen1, das sich für einen logisch denkenden Theologen stellte, wenn er etwa folgenden Fehlschluss ansah, der scheinbar die reine und akzeptierte Form eines Syllogismus aufwies:
Dieser Gott ist der Vater
Der Sohn ist dieser Gott
Der Sohn ist der Vater
1.Kommentar (20.10.09): Cf. Lonergan, Systematics /home/roland/arbeit/Phsophie/Lonergan/Systematics.odt#LBTS_265b :
Therefore it is illegitimate in a syllogism to argue from what is notional to what is notional using what is essential as the middle term.
265b The reason for this is that syllogisms are based upon the principles of identity and noncontradiction; these principles regard the same in every respect, that is to say, what is the same both really and conceptually. But the notional and the essential, although really the same, are not the same conceptually. Hence to use what is essential as a middle term between notional extremes very easily leads to fallacious conclusions. (Fs)
265c Here is an example. The Son is God; God generates; the one who generates is the Father; the one who is the Father is not the Son; therefore the Son is not the Son. The contradiction arises from the fact that between the notional extremes, both of which are 'Son,' an essential middle term, 'God,' is introduced, so that in different premises there is signified not what is the same in every respect, but the same in different respects. For it is the same God in reality who is both the Father and the Son; but it is in one respect that one premise states that the Son is God and in another respect that the other premise states that God generates or is the Father. (Fs)
Der Schluss war offenkundiger Unsinn, musste es auch sein, weil eben die Trinität als Dreiheit in einer Einheit eine Art von Sein voraussetzte, das mit dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten, dem Zentralsatz der Logik, kaum zu erfassen war. (Fs)
78c Aufgrund seiner logischen Schulung musste Ockham auch die Frage, die der Lombarde in der vierten Distinktion des Ersten Buches stellte, ob man zugeben müsse, dass Gott sich selbst hervorgebracht habe2, mit logisch geschärftem Verstand lesen. Das dahinter stehende theologische Problem war, dass Jesus Christus in der christlichen Theologie zugleich als Gott und als vom Vater gezeugt gedacht wird. Wie sehr Ockham dieses theologische Problem als logisches reformulierte, zeigt sich schon an einer geringfügigen sprachlichen Umformulierung der Frage des Lombarden. Ockham fragte nämlich nun in der ersten quaestio zu derselben Distinktion, "ob Gott Gott hervorgebracht hat"3. Die Auflösung der Präposition machte die logische Problematik noch deutlicher und Ockham hat diese Frage genutzt, um seine Suppositionstheorie zu erläutern und dann zu dem Schluss zu kommen, dass bei klarer suppositionstheoretischer Analyse der Satz "Gott hat Gott hervorgebracht" durchaus zuzugestehen sei.4 Nur: Er muss logisch ebenso zugestehen, dass der Satz "Gott hat nicht Gott hervorgebracht" gleichfalls logisch zutreffend ist, wenn in ihm das Subjekt nicht für den Vater, sondern für den Sohn supponiert - diesen Satz will er in einer merkwürdigen Wendung des Argumentationsstils gleichwohl "wegen der Häretiker" als falsch angesehen wissen.5 (Fs)
79a Damit zeigt sich das heillose Dilemma, in dem der Logiker verstrickt war, wenn er sich der Trinitätslehre zuwandte. Logisch streng konnte Ockham gar nicht umhin, einzusehen, dass aufgrund der Verfasstheit der Trinität von dem sprachlich selben Subjekt Unterschiedliches verifiziert wurde. Und er war hierfür sogar bereit, aus seinem sonstigen denkerischen Rahmen herauszufallen: Während er grundsätzlich die distinctio formalis des Duns Scotus, mit der dieser das Universalienproblem erklärt hatte, ablehnte, war er bereit, für das göttliche Wesen eben eine solche distinctio formalis anzuerkennen.6 An diesem einen Punkt also griffen seine eigenen, so stolz vorgetragenen Überlegungen zur Universalienlehre nicht. (Fs)
79b Damit ist eine entscheidende Grenzziehung für das Verhältnis von Theologie und Philosophie oder wenigstens von Theologie und Logik markiert: Das Wesen Gottes ist so einzigartig, dass es gewissermaßen im Verhältnis zu allen anderen Entitäten vor-logisch strukturiert ist. Während das gesamte Handeln Gottes und damit auch die gesamte Schöpfung mindestens dem Gesetz vom ausgeschlossenen Widerspruch unterworfen ist, weil selbst Gott nichts Widersprüchliches tun kann7, greift dieser Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch für die Rede von Gottes Sein selbst nicht. (Fs)
79c Diese Einsicht ist nun fundamental für Ockhams Ontologie und Logik überhaupt: Wenn es ein vor-logisch strukturiertes Sein - eben Gott - gibt, heißt dies in unvermeidlicher Konsequenz, dass Ockham Logik zu keinem Zeitpunkt als etwas anderes betrachtet hat denn als eine Denkregel, dass also seine stete Betonung der Logik in allen Denkzusammenhängen rein denkerisch-methodischen Charakter hat und gerade nicht die Logizität allen Seins behaupten will, sondern allenfalls die Logizität allen geschöpflichen Seins: Die logischen Denkregeln gelten als Seinsregeln nur für die Welt der Geschöpfe, aber nicht für das Sein an sich. Das Sein an sich ist mithin, kenntlich an Gott selbst, größer und weiter als das dem denkenden Verstand zugängliche. Wenn also Ockham später gelegentlich als Rationalist verschrien wurde, so trifft dies zwar sicher seine Argumentationsweise, die oft von geradezu eisiger Kälte geprägt scheint - sie trifft aber nicht, und so war der Vorwurf doch in der Regel gemeint, sein Weltbild. Ockham weiß, und er weiß dies als frommer Franziskaner, dass es eine Realität gibt, die höher ist als die menschliche Vernunft. (Fs) (notabene)
80a Diese Einsicht freilich hat er später eher zurückgedrängt, als er sich der Frage nach der Un-Logik der Trinitätslehre im Rahmen seiner in London entstandenen Summe der Logik zuwandte. Hier nämlich versuchte er das Problem im Rahmen einer allgemeinen Fehlschlusslehre zu entschärfen. Entsprechend seinen theoretischen Grundannahmen geht Ockham das Problem suppositionstheoretisch an. Im Zusammenhang seiner Fehlschlusslehre unterstellt er nun folgenden beiden Fehlschlüssen, dass sie aufgrund desselben Fehlers irrten8:
Sokrates ist ein Mensch Dieses Wesen ist der Vater
Plato ist ein Mensch Dieses Wesen ist der Sohn
Plato ist Sokrates Der Sohn ist der Vater
Dass beides einen Fehlschluss darstellt, ist offenkundig, und Ockham meint auch erklären zu können, worin der gemeinsame Fehler liegt. Beide, so erklärt er, benutzen als Mittelbegriff einen Begriff, der für mehrere Entitäten steht und eben deswegen nicht als Mittelbegriff taugen kann, der Einzelentitäten verbinden soll. Für den Begriff "Mensch" ist es nun unmittelbar einsichtig, dass die mit dem "ist" ausgedrückte Identität zwischen Plato und Mensch nicht eine solche ist, die es erlauben würde, alle Aussagen, die mit Hilfe des Begriffs "Mensch" getroffen werden, auch auf Plato zu übertragen und damit die Gleichsetzung mit Sokrates herzuleiten. (Fs)
80b Dieser Fehlschluss ist nun aber so offenkundig, dass sich gerade darin das Problem von Ockhams Argumentation zeigt. Denn man kann das eben allgemein ausgeführte auch mit Hilfe der suppositionstheoretischen Logik ohne weiteres erklären: "Mensch" supponiert in beiden Fällen personal. Das heißt aber: Im Obersatz supponiert es präzise für Sokrates, nicht für etwas mehreren Menschen Gemeinsames, im Untersatz aber präzise für Plato und wiederum nicht für etwas mehreren Menschen Gemeinsames.9 Dann aber macht schon allein diese suppositionstheoretische Analyse klar, dass "Mensch" in beiden Sätzen schlicht für Verschiedenes steht und eben aus diesem Grunde nicht übertragbar ist. (Fs)
2.Kommentar (21.10.09): Der Grundfehler liegt darin, dass Ockham aufgrund seiner Annahmen nicht mehr in der Lage ist in Relationen metaphysischer Prinzipien zu denken.
80c Der auf Gott und die innertrinitarischen Differenzierungen bezogene zweite Syllogismus hingegen lässt sich nicht in dieser Weise auf ein sprachlogisches Problem zurückführen, sondern das Problem liegt in der Realität selbst: "Wesen" wird nicht deswegen falsch verwendet, weil es einmal eines und ein andermal mehreres bedeutete, sondern weil das Bezeichnete nach der christlichen Trinitätslehre zugleich eines und mehreres ist. Damit aber beruht der Fehler der trinitarischen Fehlschlüsse eben gerade nicht allein auf suppositionslogischen Fehlern, und Ockhams Versuch, die trinitarischen Fehlschlüsse in eine allgemeine Fehlschlusslehre einzubetten, bleibt ebenso inkonsistent wie sein Versuch eines Gottesbeweises. Die Folgen dieser Inkonsistenz hätte Ockham sogar selbst aufgrund seiner frühen Ausführungen offen legen können: Den Fehler des trinitarischen Fehlschlusses erkennt man im Gegensatz zu dem des Sokrates-Plato-Fehl-schlusses allein durch die Offenbarung.10 Wenn aber die widersprüchlichen Grundlagen, die einen scheinbaren Fehlschluss provozieren und diesen lösbar machen, allein aufgrund der Offenbarung, das heißt allein dort, wo der Glaube oder eine der Autoritäten, auf die dieser verweist, dazu zwingt11, erkennbar sind und nicht mehr aufgrund der allgemeinen Syllogismuslehre, dann heißt dies in letzter Konsequenz, dass die Verfügungsgewalt über die Anwendbarkeit der logischen Syllogistik bei außerlogischen Instanzen liegt, zu deren Auslegung die Logik zwar dienen, denen sie aber nicht kritisch gegenübertreten kann. Das aber kann schwerlich im Sinne eines Denkers sein, der die Logik hochhalten will. (Fs)
____________________________
|