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Autor: Leppin, Volker

Buch: Wilhelm von Ockham

Titel: Wilhelm von Ockham

Stichwort: Ockham - Universalien; realistische - nominalistische Position (Problem: Trinität, Erlösung für alle);

Kurzinhalt: Das Problem der Universalienlehre besagt in aller Kürze: Wie kann es sein, dass ein einziger Begriff - etwa die Artbezeichnung "Mensch" - mehrere reale Entitäten bezeichnet?

Textausschnitt: 63b Philosophie und Theologie greifen in diesen Überlegungen Ockhams - die alle im Sentenzenkommentar mindestens angelegt, häufig auch eigens ausgeführt sind - harmonisch ineinander: Was philosophisch "modern" ist, kommt Ockhams eigener, apologetisch orientierter Theologie zugute. Ob hier der Theologe zum Philosophen mutiert oder der Philosoph sich die theologische Materie kongenial aneignet, ist schwer zu entscheiden. Sicher ist nur, dass zwischen Theologie und Philosophie kein ernstlicher Zwiespalt entsteht, dass Ockham keineswegs, wie es in späteren theologischen Lehrbüchern gelegentlich heißt, Glaube und Wissen scharf auseinander treten ließ, sondern dass die Philosophie, ohne Magd der Theologie zu werden, doch die Theorien bietet und liefert, die der Theologie das Feld freigeben. (Fs)

64a Diese Verschränkung von theologischen und philosophischen Problemen ist erst den Denkern der Neuzeit unverständlich geworden. So wie die reformatorische Theologie sich von einem überstarken Gebrauch der Philosophie absetzte und damit zu einer schroffen Unterscheidung beider Erkenntnisbereiche beitrug, hat die katholische Theologie spätestens seit dem 19. Jahrhundert in der Neuscholastik eine disziplinäre Aufteilung des Denkens angestrebt und verwirklicht, die dem Ineinandergleiten der Problemhorizonte, das noch das mittelalterliche Denken geprägt hatte, nicht gerecht werden konnte. Und umgekehrt hat auch die Philosophie im Bewusstsein der Emanzipation von der Theologie den Graben zu ihrer Nachbarin eher vertieft als überbrückt. (Fs)

64b Wie eng hingegen bei Ockham noch beides beieinander liegt, zeigt ein Themenbereich, der ihn in alle philosophischen Lehrbücher hineingebracht hat und der doch erstmals im Zusammenhang einer theologischen Fragestellung, nämlich der Frage nach der Rede von Gott entworfen wurde: die Lehre von den Allgemeinbegriffen, den Universalien, worunter vornehmlich die Begriffe für Arten und Gattungen zu verstehen sind. Das Problem der Universalienlehre besagt in aller Kürze: Wie kann es sein, dass ein einziger Begriff - etwa die Artbezeichnung "Mensch" - mehrere reale Entitäten bezeichnet? Und die Antworten, die klassischerweise nach Nominalismus und Realismus ausdifferenziert werden, lauten grob gesagt: Die in dem Begriff ausgedrückte Einheit liegt in der extramentalen Realität, das heißt, alle Einzeldinge, die mit einem Begriff zusammengefasst werden, partizipieren letztlich an einem einheitlichen Sein - in dem Beispiel: an der Menschheit oder Menschennatur. Dies wäre die "realistische" Position. Oder, nominalistisch gedacht, die Einheit ist nicht, wie in diesem Falle, primär, den Einzelexistenzen voraufgehend, sondern sekundär: Sie entsteht durch eine nachträgliche Zusammenfassung unter einen Begriff, einen Namen, dessen Realität allein im Verstand ist. Das damit verbundene Problem ist bis heute aktuell, insofern es die Frage aufwirft, wie real die Gruppenbildungen eigentlich sind, die wir mit dem Verstand nachzeichnen oder der Natur vorgeben: Gibt es wirklich die "Art", die Spezies (species) Mensch - oder handelt es sich hier um eine willkürliche Grenzziehung, die auch ganz anders verlaufen könnte, um einen "Speziesismus", wie ihn der Philosoph Peter Singer diagnostiziert hat, der hieraus radikale Forderungen zum Schutz von Tieren einerseits und zur Entrechtung unheilbar kranker, nicht vernunftbegabter Säuglinge andererseits zog.1 (Fs; tblVrw f) (notabene)

64c Diese Dimension besaß die Frage innermittelalterlich natürlich noch nicht. Und doch war sie nicht ohne Brisanz. Wer zu der Meinung neigte, dass die Begriffe nur sekundär alles Existierende in Gruppen zusammenfassten, dass also die Realität letztlich nur aus Einzelentitäten bestehe, musste sich - wie etwa Roscelin von Compiegne (ca. 1050-1120/25)2 - die Frage gefallen lassen, ob denn dann überhaupt eine Trinität vorstellbar sei, ob es dann nicht einzig möglich und angemessen sei, von drei Göttern zu sprechen, da doch jedes Einzelding für sich existierte. Oder er musste die Frage klären, wie denn die in Jesus von Nazareth mit der göttlichen Natur verbundene Menschennatur zur Erlösung der Menschen beitragen könne. Wenn jeder Mensch für sich existierte, so wäre seinerzeit auch nur der Zimmermannssohn Jesus von Nazareth erlöst worden, eine Erlösung der Menschheit durch den Gott, der eben nur ein Mensch geworden wäre, wäre denkerisch gar nicht möglich.3 (Fs) (notabene)

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