Autor: Lonergan, Bernard J.F. Buch: Die Einsicht Titel: Die Einsicht Bd. I und II Stichwort: Metaphysik; als das Ganze der Erkenntnis, aber nicht als ganze Erkenntnis Kurzinhalt: Die Metaphysik entspringt dem reinen Erkenntnisstreben; sie ist frei von den Beschränkungen der partikulären Gesichtspunkte; sie unterscheidet die Positionen von den Gegenpositionen im Gesamt des Wissens; sie ist ein transformierendes Prinzip,
Textausschnitt: 2. Eine Definition der Metaphysik
450b Wie die Notion des Seins allen anderen Notionen zugrundeliegt, sie durchdringt und überschreitet, so ist auch die Metaphysik jene Abteilung der menschlichen Erkenntnis, welche allen anderen Abteilungen zugrundeliegt, sie durchdringt, transformiert und zu einer Einheit bringt. (Fs)
450c Sie liegt allen anderen Abteilungen zugrunde; denn ihre Prinzipien sind weder Termini noch Aussagen, weder Begriffe noch Urteile, sondern der unparteiische und uneigennützige Trieb des reinen Erkenntnisstrebens und seine Entfaltung im empirischen, intellektuellen und rationalen Bewußtsein des sich selbst bejahenden Subjektes. Aus der Entfaltung dieses Triebs gehen alle Fragen hervor, alle Einsichten, alle Formulierungen, alle Reflexionen und alle Urteile; und in diesem Sinne liegt die Metaphysik der Logik und der Mathematik, den verschiedenen Wissenschaften und der Myriade von Beispielen des Common Sense zugrunde. (Fs) (notabene)
450d Sie durchdringt alle anderen Abteilungen. Denn die anderen Abteilungen sind durch dieselben Prinzipien konstituiert wie die Metaphysik. Sie sind insofern Einzelabteilungen, als sie auf einen bestimmten Gesichtspunkt und auf ein bestimmtes Feld beschränkt sind. Doch trotz der Beschränkungen, die sie zu Spezialgebieten machen, gehen alle Abteilungen aus derselben Quelle hervor und suchen nach gegenseitiger Kompatibilität und Kohärenz, und in diesen beiden Hinsichten werden sie durchdrungen von der Metaphysik. (Fs)
451a Sie transformiert alle anderen Abteilungen. Das menschliche Bewußtsein ist ja polymorph, und deshalb unterliegt es der konstanten Gefahr, seine Entdeckungen nicht als Positionen zu formulieren, sondern als Gegenpositionen. Der Common Sense unterliegt einer dramatischen, einer egoistischen, einer Gruppen-, und einer allgemeinen Befangenheit, welche die komplexen theoretischen Probleme, in die er einbezogen ist und deren langfristige Konsequenzen, an denen er blind leidet, übersieht. Die Wissenschaftler sind nicht bloß Wissenschaftler, sondern auch Menschen des Common Sense; sie teilen die Befangenheit des Commons Sense, insofern ihre Spezialisierung diese nicht korrigiert; und insofern ihre Spezialisierung der Befangenheit des Common Sense entgegenläuft, finden sie sich uneins und in der Frage nach einer kohärenten Weltsicht verwirrt. Die Metaphysik entspringt dem reinen Erkenntnisstreben; sie ist frei von den Beschränkungen der partikulären Gesichtspunkte; sie unterscheidet die Positionen von den Gegenpositionen im Gesamt des Wissens; sie ist ein transformierendes Prinzip, das die Positionen zu vollerer Entwicklung auffordert und, indem sie die Gegenpositionen umkehrt, die Entdeckungen von den Fesseln befreit, in denen sie anfanglich formuliert wurden. (Fs)
451b Sie vereinheitlicht alle anderen Abteilungen. Denn alle anderen Abteilungen befassen sich mit partikulären Bereichen von Fragen; sie aber ist die ursprüngliche, [391] totale Frage und sie bewegt sich auf die totale Antwort zu, indem sie alle anderen Antworten transformiert und zusammenstellt. Die Metaphysik ist also das Ganze der Erkenntnis, aber nicht die ganze Erkenntnis. Ein Ganzes existiert nicht ohne seine Teile, noch unabhängig von ihnen, noch identisch mit ihnen. Und darum gilt es, daß die Prinzipien der Metaphysik zwar aller anderen Erkenntnis vorausgehen, aber die Erringung der Metaphysik der Eckstein ist, der auf den anderen Teilen beruht und sie zur Einheit eines Ganzen fugt. (Fs)
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