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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Glaube, Toleranz; Antwort zu Assmann 3; Chrsitentum - heidnische Religionen: 2 Phasen; Aurelius Cotta, Santa Maria sopra Minerva; Identität: Wahrheit - Liebe - das Gute

Kurzinhalt: Lüge aber ist immer Unfreiheit, und es ist kein Zufall, vor allem aber keine Unwahrheit, daß in der Erinnerung Israels Ägypten als Sklavenhaus, als Ort der Unfreiheit erscheint. Nur die Wahrheit macht frei.

Textausschnitt: 184a Eine letzte Überlegung ist noch notwendig. Assmann rühmt die Übersetzbarkeit der Götter ineinander, die als ein Weg interkulturellen und interreligiösen Friedens erscheint. Ihm steht die »Intoleranz« des ersten Gebotes und die Verurteilung der Idolatrie als Grundsünde entgegen. Dies wiederum erscheint als die Kanonisierung der Intoleranz, wie wir gesehen haben. Nun ist richtig, daß der eine Gott ein »eifersüchtiger Gott« ist, wie ihn das Alte Testament benennt. Er demaskiert die Götter, denn in seinem Licht wird sichtbar, daß die »Götter« nicht Gott sind, daß der Plural zu Gott als solcher eine Lüge ist. Lüge aber ist immer Unfreiheit, und es ist kein Zufall, vor allem aber keine Unwahrheit, daß in der Erinnerung Israels Ägypten als Sklavenhaus, als Ort der Unfreiheit erscheint. Nur die Wahrheit macht frei. Wo Nützlichkeit über Wahrheit gestellt wird, wie es im Fall der gespaltenen Wahrheit geschieht, von der wir oben gesprochen haben, wird der Mensch Sklave der Nützlichkeit und derer, die darüber entscheiden können, was das Nützliche ist. In diesem Sinn ist zunächst die »Entmythisierung« notwendig, die die Götter ihres falschen Glanzes und damit ihrer falschen Macht entkleidet, um dann ihre »Wahrheit« herauszustellen, das heißt zu erklären, welche realen Mächte und Wirklichkeiten hinter ihnen stehen. Anders gesagt: Wenn diese »Entmythisierung«, diese Demaskierung geschehen ist, kann und muß auch ihre relative Wahrheit erscheinen. (Fs)

184b Demgemäß gibt es in der christlichen Beziehung zu den »heidnischen« Religionen zwei Phasen, die freilich innerlich immer wieder ineinandergreifen müssen und nicht reinlich auf eine temporale Abfolge verteilt werden können. Die erste Phase ist das Bündnis des christlichen Glaubens mit der Aufklärung, das die Väterliteratur von Justin bis Augustinus und darüber hinaus beherrscht: Die Verkünder des Christentums stellen sich auf die Seite der Philosophie, der Aufklärung, gegen die Religionen, gegen die gespaltene Wahrheit eines C. Aurelius Cotta. Sie sehen die Samen des Logos, der göttlichen Vernunft, nicht in den Religionen, sondern in der Vernunftbewegung, die diese Religionen aufgelöst hat. Aber immer deutlicher zeigt sich auch eine zweite Sicht, in der auch der Zusammenhang mit den Religionen und die Grenze der Aufklärung zutage tritt. Sehr bezeichnend dafür scheint mir das Denken Gregors des Großen. In einem ersten Brief - noch in der Phase der Aufklärung - schreibt er an den englischen König Aethelbert: »Also, mein erlauchtester Sohn, bewahret sorgfältig die Gnade, die Ihr von Gott empfangen habt... Steigert noch Euren edlen Eifer ... Unterdrückt den Götzendienst; zerstört ihre Tempel und Altäre. Steigert die Tugenden Eurer Untertanen durch ein hervorragend sittliches Verhalten ...«1 Aber Gregor geht innerlich weiter mit der Frage um, und schon einen Monat nach diesem Brief schreibt er an eine kürzlich abgereiste zweite Gruppe von Missionaren und einen gewissen Mellitus ganz anders: »Wenn Ihr aber mit der Gnade des allmächtigen Gottes zu unserem hochwürdigsten Bruder, dem Bischof Augustinus, gekommen sein werdet, so sagt ihm, daß ich über eine Angelegenheit der Engländer lange mit mir zu Rate gegangen bin. Man soll nämlich bei jenem Volk die Götzentempel keineswegs zerstören, sondern nur die in ihnen befindlichen Götterbilder vernichten ... Wenn das Volk sieht, daß man seine Tempel nicht zerstört, so wird es nichtsdestoweniger den Irrtum ablegen und mit um so größerer Freude sich zur Erkenntnis und Anbetung des wahren Gottes an die gewohnten Orte begeben.«2 Gregor schlägt dabei auch vor, daß die Zeremonien und Tieropfer in Feste zur Verehrung der Heiligen und der Märtyrer umgewandelt und dabei das zum Opfer geschlachtete Tier gegessen werden sollte. Hier erscheint also das, was wir Kultkontinuität nennen. Der heilige Ort bleibt heilig, und die Intentionen der Verehrung des Göttlichen, die vorangegangen war, werden aufgenommen und umgewandelt zu neuer Bedeutung gebracht. In Rom kann man das allenthalben studieren. Ein Name wie Santa Maria sopra Minerva läßt Verwandlung und Kontinuität gleichermaßen erkennen. Die Götter sind keine Götter mehr. Als solche sind sie gestürzt: Die Frage nach der Wahrheit selbst hat ihnen ihre Göttlichkeit genommen und ihren Sturz bewirkt. Aber zugleich ist ihre Wahrheit ans Licht getreten: daß sie Abglanz von Göttlichem, Vorahnungen von Gestalten waren, in denen sich ihr verborgener Sinn gereinigt erfüllte. Auf diese Weise gibt es nun auch eine »Übersetzbarkeit« der Götter, die als Ahnungen, als Stufe auf der Suche nach dem wahren Gott und seiner Spiegelung in der Schöpfung zu Botschaftern des einen Gottes werden können. (Fs)

186a Am Ende müssen wir noch einmal zurückkommen auf Assmanns abschließende These, daß mit der Mosaischen Unterscheidung auch der Begriff der Sünde in die Welt gekommen sei. »Sünde und Erlösung sind keine ägyptischen Themen«, so hatten wir gehört. Sie sind aber sehr wohl Themen der meisten Weltreligionen, die in Hekatomben von Opfern - Menschenopfer eingeschlossen - die Gottheiten versöhnen und Entsühnung finden wollten. Aber dieser Disput kann hier nicht mehr geführt werden. Wichtig scheint mir für unsere Fragestellung eines: Die Themen des Wahren und des Guten sind in der Tat nicht voneinander zu trennen. Platon hatte recht, als er das höchste Göttliche mit der Idee des Guten identifizierte. Umgekehrt: Wenn wir Wahrheit über Gott nicht erkennen können, dann bleibt auch die Wahrheit darüber, was gut ist und was böse ist, unzugänglich. Dann gibt es das Gute und das Böse nicht; es bleibt nur das Kalkül der Folgen: Ethos wird durch Berechnung ersetzt. Noch deutlicher gesagt: Die drei Fragen nach der Wahrheit, nach dem Guten, nach Gott sind nur eine einzige Frage. Und wenn es darauf keine Antwort gibt, dann tappen wir hinsichtlich der wesentlichen Dinge unseres Lebens im Dunklen. Dann ist das menschliche Dasein wirklich »tragisch« - dann verstehen wir freilich auch, was Erlösung bedeuten soll. Der Gottesbegriff der Bibel erkennt Gott als das Gute, als den Guten (vgl. Mk 10,18). Dieser Gottesbegriff erreicht seine letzte Höhe in der johanneischen Aussage: Gott ist Liebe (1 Joh 4,8). Wahrheit und Liebe sind identisch. Dieser Satz - wenn er in seinem ganzen Anspruch begriffen wird - ist die höchste Garantie der Toleranz; eines Umgangs mit der Wahrheit, deren einzige Waffe sie selbst und damit die Liebe ist. (Fs) (notabene)

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