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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Glaube, Toleranz; Antwort zu Assmann 2; Mosaisch-sokratische Unterscheidung; Dynamik zur Wahrheit: Versöhnung: Aufklärung und Religion; Platonismus eines Porphyrius, Proklus; Argument der Skepsis


Kurzinhalt: Der Polytheismus der »Naturreligionen« ist keine statische Größe, zu der man jederzeit wieder zurückkehren könnte. Die religiöse Bewegung verläuft, soweit zu sehen ist, in drei Stadien, ...

Textausschnitt: 180a Kehren wir zurück. Die Idee von der friedlichen Austauschbarkeit der Götter hält der Wirklichkeit nicht stand. Es gibt vielmehr eine tiefreichende Unversöhnbarkeit, die in den Widersprüchen des Seins selbst gründet. Für unseren Zusammenhang noch wichtiger ist die zweite Feststellung: Die Wahrheitsfrage ist unausweichlich. Sie ist dem Menschen notwendig und betrifft gerade die Letztentscheidungen seines Daseins: Gibt es Gott? Gibt es die Wahrheit? Gibt es das Gute? Die Mosaische Unterscheidung ist auch die Sokratische Unterscheidung, so könnten wir sagen. An dieser Stelle wird der innere Grund und die innere Notwendigkeit für die historische Begegnung von Bibel und Hellas sichtbar. Was beide miteinander verbindet, ist eben die an die Religion gestellte Frage nach der Wahrheit und nach dem Guten als solchen, die Mosaisch-sokratische Unterscheidung, wie wir sie nun nennen könnten. Diese Begegnung ist längst vor dem Beginn der Synthese zwischen biblischem Glauben und griechischem Denken in Gang gekommen, um die die Kirchenväter sich mühten. Sie geschieht schon mitten im Alten Testament, vor allem in der Weisheitsliteratur und in dem denkwürdigen Schritt der Übersetzung der alttestamentlichen Bibel ins Griechische, die ein Schritt interkultureller Begegnung von höchster Tragweite gewesen ist. Freilich, in der antiken Welt bleibt der Ausgang der sokratischen Frage offen, je anders bei Platon und bei Aristoteles. Insofern bleibt in der Welt des griechischen Geistes eine Erwartung, für die die christliche Botschaft als die ersehnte Antwort erschien. Diese offene Erwartung, die im griechischen Denken als eine Gebärde der Ausschau stand, ist ein Hauptgrund für den Erfolg der christlichen Mission.1 (Fs)
181a Halten wir fest: Der Polytheismus der »Naturreligionen« ist keine statische Größe, zu der man jederzeit wieder zurückkehren könnte. Die religiöse Bewegung verläuft, soweit zu sehen ist, in drei Stadien, wobei offen bleibt, ob dem Polytheismus bereits andere Formen der Zuwendung zur Gottheit vorangingen. Wenn wir hier einfachheitshalber den Polytheismus als das erste Stadium ansehen, so findet er sich immer mehr der Kritik der Aufklärung, das heißt der Frage nach seiner Wahrheit ausgesetzt, die ihn allmählich auflöst und nach einer Phase der gespaltenen Wahrheit (die nützliche Fiktion und das Wissen der Eingeweihten) zerfallen läßt. An dieser Stelle bietet sich in der Mittelmeerwelt, später im arabischen Raum und auch in Teilen Asiens der Monotheismus als Versöhnung zwischen Aufklärung und Religion an: Die Gottheit, auf die die Vernunft zugeht, ist identisch mit dem Gott, der sich in der Offenbarung zeigt. Offenbarung und Vernunft korrespondieren einander. Es gibt die »wahre Religion«; die Wahrheitsfrage und die Frage nach dem Göttlichen sind versöhnt.2 Die Antike zeigt uns aber auch einen anderen möglichen Ausgang, der heute wieder aktuell geworden ist. Es gibt einerseits die christliche Umdeutung Platons, die Verschmelzung der griechischen Erwartung und ihrer Wahrheitsfrage mit der christlichen Antwort und ihrem Wahrheitsanspruch, in der die griechische Vorgabe aufgenommen und zugleich grundlegend neu gestaltet wird. Es gibt aber umgekehrt auch den späten Platonismus eines Porphyrius und Proklus, der sich zum Instrument der Abwehr des christlichen Anspruchs und der Neubegründung des Polytheismus macht - das andere Gesicht platonischen Denkens. Nun wird gerade die skeptische Position zur Begründung des Polytheismus: Weil man das Göttliche nicht erkennen kann, darum kann man es nur in vielgestaltigen Chiffren verehren, in denen sich das Geheimnis des Kosmos und seine in keinen Namen einzuengende Vielfalt ausdrückt.3 In der Spätantike hat sich dieser Versuch einer philosophisch gerechtfertigten und damit scheinrationalen Restauration des Polytheismus nicht halten können. Er blieb eine akademische Konstruktion, von der die nötige Kraft der Hoffnung und der Wahrheit nicht ausging. Dies um so mehr, als ihre Urheber nicht ganz auf die Spaltung der Wahrheit verzichten konnten. Die polytheistischen Einweihungen und Kulthandlungen werden als Weg für die vielen angesehen, die zum höheren Aufstieg nicht fähig sind, während die Philosophen sich als die erleseneren Geister den »Königsweg« vorbehielten, der über dies alles in der mystischen Einung ins Unaussprechliche aufsteigt. Wiederum war es die Chance des Christentums, daß es den Weg der Einfachen als den wahren »Königsweg« in der Gemeinschaft mit demjenigen eröffnete, der an der Brust Gottes lebte und Gott sah. (Fs) (notabene)

182a Es wird auch den heutigen Versuchen, einen Weg der Rückkehr nach Ägypten, einer »Erlösung« vom Christentum und seiner Sündenlehre zu bieten, nicht anders ergehen. Denn auch hier bleibt man im Fiktiven, das man akademisch denken kann, das aber zum Leben nicht ausreicht. Freilich, die Flucht vor dem einen Gott und seinem Anspruch wird anhalten. Und die Skepsis wird anhalten, für die es heute stärkere Gründe zu geben scheint als in der Antike. Dem von der modernen Wissenschaft gesetzten Maßstab für Gewißheit kann der Wahrheitsanspruch des christlichen Glaubens nicht entsprechen, weil die Form der Verifizierung nun einmal hier ganz anderer Art ist als im Bereich des Experimentierbaren; weil die Art des geforderten Experiments - das Einstehen mit dem Leben - ganz anderer Natur ist. Die Heiligen, die das Experiment bestanden haben, können als Garanten seiner Wahrheit dienen, aber die Möglichkeit, sich dieser Evidenz zu entziehen, bleibt. Und so wird man gewiß weiter nach anderen Lösungen Ausschau halten, sie in Formen mystischer Einung suchen, für die es Weisungen und Techniken gibt und geben wird. In diesem Sinn bleibt das spätplatonische Angebot auf der Tagesordnung; Assmanns Ausführungen würde ich in diese Kategorie einordnen. (Fs)

183a Aber zeigt nicht doch Asien den Ausweg? Religion, die hält, ohne daß sie den Wahrheitsanspruch erheben muß? Diese Frage wird ohne Zweifel ein Hauptthema künftiger Dialoge sein. Hier nur eine Andeutung. Auch der Buddhismus hat seine eigene Art, die Wahrheitsfrage zu stellen. Er fragt nach der Erlösung vom Leid, das aus dem Durst nach Leben kommt. Wo ist der Ort des Heils? Der Buddhismus kommt zum Ergebnis, daß er in der Welt, in der Gesamtheit des erscheinenden Seins nicht zu finden ist. Es ist in seiner Ganzheit Leid, ein Kreislauf der Wiedergeburten und immer neuer Verstrickungen. Der Weg der Erleuchtung ist der Weg aus dem Durst nach Sein hinein in das, was uns als Nichtsein erscheint, das Nirwana. Das bedeutet: In der Welt selbst ist keine Wahrheit. Die Wahrheit geschieht im Heraustreten aus ihr. In diesem Sinn ist die Wahrheitsfrage in die Frage der Erlösung aufgelöst, oder auch: in ihr aufgehoben. Die Götter gibt es, aber sie gehören der Welt des Vorläufigen, nicht dem endgültigen Heil zu. Nur im Hinayana ist diese Sicht streng durchgehalten. Das Mahayana kennt viel stärker die soziale Dimension, die Hilfe für die Erlösung des anderen und den Helfer. Aber die Grunderwartung auf das Erlöschen des Daseins und der Person des einzelnen hin bleibt doch erhalten, wenn auch weit hinausgeschoben.4 Von »Deus sive natura« kann da nicht die Rede sein. Die Welt als solche ist Leiden - und damit auch Wahrheitslosigkeit -, und nur die Entweltlichung kann letztlich Heil sein. Hier geht es um existentielle Haltungen, die ein Weltbild einschließen, das von den abendländischen und auch »ägyptischen« polytheistischen Visionen weit entfernt ist und sich auch als Alternative dem christlichen Weltverständnis mit seiner grundsätzlichen Bejahung der Welt als Schöpfung gegenüberstellt. Von der Wahrheitsfrage dispensiert uns freilich gerade auch dieser Weg nicht. (Fs)

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