Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Glaube, Toleranz; Assmann, die "mosaische Unterscheidung" 2: Sünde - Schuld - Erlösung; Wittgenstein: Glaube - Verliebtheit
Kurzinhalt: Assmann sagt des weiteren dazu: »Sünde und Erlösung sind keine ägyptischen Themen« ... Der Glaube wird auf die Ebene des Spiels verlagert, während er bisher die Ebene des Lebens als solchen betraf.
Textausschnitt: 173a Am Ende von Assmanns Buch wird aber noch eine dritte Dimension der Mosaischen Unterscheidung sichtbar, die nun sozusagen die existentielle Seite der Religion betrifft und dem modernen Menschen ganz aus der Seele gesprochen ist: Mit der Mosaischen Unterscheidung - so belehrt uns Assmann - erscheint auch unausweichlich »das Bewußtsein der Sünde und der Sehnsucht nach Erlösung«. Assmann sagt des weiteren dazu: »Sünde und Erlösung sind keine ägyptischen Themen«.1 Kennzeichnend für Ägypten sei vielmehr der »moralische Optimismus, der >sein Brot mit Freuden ißt< im Bewußtsein, daß >Gott längst sein Tun gesegnet hat< - einer der ägyptischen Verse der Bibel« (Koh 9,7-10)2 »Es sieht so aus« - schreibt Assmann -, »als sei mit der Mosaischen Unterscheidung die Sünde in die Welt gekommen. Vielleicht liegt darin das wichtigste Motiv, die Mosaische Unterscheidung in Frage zu stellen.«3 Eines ist daran sicher ganz richtig gesehen: Die Frage nach dem Wahren und die Frage nach dem Guten sind nicht voneinander zu trennen. Wenn das Wahre nicht mehr erkennbar und vom Unwahren nicht mehr unterscheidbar ist, so wird auch das Gute unerkennbar; die Unterscheidung zwischen dem Guten und dem Bösen verliert ihren Grund. (Fs) (notabene)
173b Es ist offenkundig, daß in diesen hier kurz skizzierten Thesen die wesentlichen Inhalte der gegenwärtig immer schärfer werdenden Krise des Christentums sehr genau formuliert sind und daß jedes Mühen um Verstehen und Erneuerung des Christentums sich diesen Anfragen stellen muß. Denn hier ist sowohl das Grundlagenproblem unserer Zeit, die Frage nach Wahrheit und Toleranz wie die Problematik der Stellung des christlichen Glaubens in der Religionsgeschichte wie endlich die existentielle Problematik von Schuld und Erlösung in einem einzigen großen Zusammenhang sichtbar gemacht. Hier kann keine zulängliche Antwort darauf gegeben werden; ich kann nur versuchen, Richtungen anzudeuten, worin sich das Gespräch - wie mir scheint -wird bewegen müssen. (Fs)
174a Vielleicht ist es nützlich, bevor wir in die Auseinandersetzung um diese Probleme eintreten, noch eine andere Variante der Absage an die Wahrheit in der Religion anzudeuten, die diesmal nicht von der Geschichte, sondern vom philosophischen Denken herkommt - die Thesen Wittgensteins zu unserem Thema. G. Elisabeth M. Anscombe hat die Auffassung ihres Lehrers Wittgenstein in dieser Frage in zwei Thesen zusammengefaßt: »1. Es gibt nichts wie das Wahrsein einer Religion. Dies wird etwa angedeutet, wenn man sagt: > Dieser religiöse Satz gleicht nicht einem Satz der Naturwissenschaft< 2. Religiöser Glaube läßt sich eher der Verliebtheit eines Menschen als seiner Überzeugung vergleichen, etwas sei wahr oder falsch.«4 Dieser Logik entsprechend hat Wittgenstein in einem seiner vielen Notizbücher notiert, daß es für die christliche Religion nichts ausmachen würde, ob Christus irgendeine der von ihm berichteten Dinge tatsächlich so vollbracht oder sogar überhaupt existiert habe. Dem entspricht die These Bultmanns, an einen Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde zu glauben, bedeute nicht, daß man glaube, Gott habe wirklich Himmel und Erde geschaffen, sondern nur, daß man sich selbst als Geschöpf verstehe und dadurch ein sinnvolleres Leben lebe. Ähnliche Vorstellungen haben sich inzwischen in der katholischen Theologie ausgebreitet und werden mehr oder weniger deutlich auch in der Verkündigung vernehmbar.5 Die Gläubigen spüren es und fragen sich, ob man sie eigentlich an der Nase herumgeführt habe. In schönen Fiktionen zu leben, mag den Theoretikern der Religion gegeben sein; für den Menschen, der die Frage stellt, womit und wofür er leben und sterben könne, langen sie nicht. Der Abschied vom Wahrheitsanspruch, der der Abschied vom christlichen Glauben als solcher wäre, wird hier damit verzuckert, daß man Glaube als eine Art von Verliebtheit mit ihren schönen subjektiven Tröstungen oder als eine Art von Spielwelt neben der realen Welt weiter bestehen läßt. Der Glaube wird auf die Ebene des Spiels verlagert, während er bisher die Ebene des Lebens als solchen betraf.6 Der gespielte Glaube ist jedenfalls etwas grundlegend Anderes als der geglaubte und gelebte Glaube. Er gibt keine Wegweisung, sondern verziert nur. Er hilft uns nicht im Leben und nicht im Sterben; er gibt allenfalls ein wenig Abwechslung, ein wenig schönen Schein - aber eben nur Schein, und der reicht zum Leben und zum Sterben nicht aus. (Fs)
____________________________
|