Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Fides et Ratio; Zusammenfassung; Kreisbewegung: Theologie - Philosophie Kurzinhalt: Die Enzyklika spricht von einer »Kreisbewegung« zwischen Theologie und Philosophie und versteht sie in dem Sinn, daß die Theologie immer zuerst vom Wort Gottes ausgehen muß, ... Textausschnitt: 167a Ich möchte noch aufmerksam machen auf einen methodischen Hinweis, den der Papst für das Verhältnis von Theologie und Philosophie, von Glaube und Vernunft gibt, weil damit die praktische Frage angesprochen ist, wie eine Erneuerung des philosophischen und theologischen Denkens im Sinn der Enzyklika in Gang kommen könnte. Die Enzyklika spricht von einer »Kreisbewegung« zwischen Theologie und Philosophie und versteht sie in dem Sinn, daß die Theologie immer zuerst vom Wort Gottes ausgehen muß, aber da dieses Wort Wahrheit ist, wird sie es in Beziehung setzen zur menschlichen Wahrheitssuche, zum Ringen der Vernunft um Wahrheit und es so in den Dialog mit der Philosophie hineinstellen. Die Wahrheitssuche des Gläubigen vollzieht sich demgemäß in einer Bewegung, in der Hören auf das ergangene Wort und Suchen der Vernunft sich immer neu begegnen. Dadurch wird einerseits der Glaube tiefer und reiner, andererseits aber empfängt auch das Denken Bereicherung, weil ihm neue Horizonte aufgehen. Mir scheint, man könne diese Idee der Zirkularität noch ein Stück weiter ausdehnen: Auch die Philosophie als solche sollte sich nicht in das bloß Eigene und selbst Erdachte einschließen. So wie sie auf die empirischen Erkenntnisse hören muß, die in den verschiedenen Wissenschaften reifen, so sollte sie auch die heilige Überlieferung der Religionen und besonders die Botschaft der Bibel als eine Quelle des Erkennens ansehen, von der sie sich befruchten läßt. Tatsächlich gibt es keine große Philosophie, die nicht von der religiösen Überlieferung her Erhellungen und Wegweisungen empfangen hätte, ob wir an die Philosophien Griechenlands und Indiens denken oder an die Philosophie, die im Inneren des Christentums sich entfaltet hat, oder auch an neuzeitliche Philosophien, die von der Autonomie der Vernunft überzeugt waren und diese Autonomie der Vernunft als letzten Maßstab des Denkens einschätzten, aber doch Schuldner der großen Motive des Denkens blieben, die der biblische Glaube der Philosophie auf den Weg gegeben hat: Kant, Fichte, Hegel, Schelling wären ohne die Vorgaben des Glaubens nicht denkbar, und selbst Marx lebt, mitten in seiner radikalen Umdeutung, dennoch von den Horizonten der Hoffnung, die er aus der jüdischen Überlieferung aufgenommen hatte. Wo Philosophie diesen Dialog mit dem Denken des Glaubens ganz ausblendet, endet sie - wie Jaspers einmal formuliert hat - in einem »leer werdenden Ernst«.1 Am Ende sieht sie sich dann genötigt, auf die Wahrheitsfrage zu verzichten, das heißt, sich selbst aufzugeben. Denn eine Philosophie, die nicht mehr danach fragt, wer wir sind, wozu wir sind, ob Gott ist und ewiges Leben, hat als Philosophie abgedankt. (Fs) (notabene) |