Autor: Ratzinger, Joseph Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz Stichwort: Fides et Ratio; Religion und Heil; Ungleichheit der Religionen; Gewissen (Paulus, Moderne) Kurzinhalt: So ist im neuzeitlichen Gewissensbegriff das Gewissen die Kanonisierung des Relativismus, der Unmöglichkeit gemeinsamer sittlicher und religiöser Maß-stäbe, wie es umgekehrt für Paulus und die christliche Tradition die Gewähr für die Einheit ... Textausschnitt: Religion, Wahrheit und Heil
163a Lassen Sie mich an diesem Punkt noch einen Augenblick innehalten, weil er eine Grundfrage menschlicher Existenz berührt, die mit Recht auch eine Hauptfrage in der gegenwärtigen theologischen Debatte darstellt. Denn es geht ja um den eigentlichen Impuls, von dem Philosophie ausgegangen ist und zu dem sie immer zurückkehren muß; an ihm berühren sich Philosophie und Theologie notwendig, wenn sie ihrer Aufgabe treu bleiben. Es ist die Frage: Wie wird der Mensch heil? Wie wird er recht? Die alte Zeit hat dabei vornehmlich an den Tod und an das gedacht, was nach dem Tod kommt; die Gegenwart, die das Jenseits als unsicher ansieht und daher aus ihrem Fragen weitgehend ausklammert, muß immerhin nach dem Rechtsein in der Zeit suchen und kann dabei das Problem nicht beiseite lassen, wie der Tod zu bewältigen ist. In der Debatte um das Verhältnis von Christentum und Weltreligionen ist freilich merkwürdigerweise doch der eigentliche Diskussionspunkt geblieben, wie sich die Religionen und das ewige Heil verhalten. Die Frage, wie der Mensch gerettet werden kann, wird eher noch im klassischen Sinn gestellt. Und da hat sich nun ziemlich allgemein die These durchgesetzt: Die Religionen alle sind Heilswege. Vielleicht nicht der ordentliche Heilsweg, aber - wenn schon, dann eben »außerordentliche Heilswege«: durch die Religionen alle kommt man zum Heil, das ist zur gängigen Anschauung geworden. (Fs) (notabene)
164a Diese Antwort entspricht nicht nur der Idee von Toleranz und Achtung des anderen, die sich uns heute aufdrängt. Sie entspricht auch dem modernen Gottesbild: Gott kann nicht Menschen verwerfen, nur weil sie das Christentum nicht kennen und eben in einer anderen Religion aufgewachsen sind. Er wird ihre Frömmigkeit genauso annehmen wie die unsere. So einsichtig diese - inzwischen mit vielen weiteren Argumenten untermauerte - These auf den ersten Blick auch ist, sie ruft doch Fragen hervor. Denn die einzelnen Religionen fordern nicht nur Unterschiedliches, sondern auch Gegensätzliches. Angesichts des Anwachsens der Zahl von religiös nicht gebundenen Menschen wird inzwischen diese universale Heilstheorie auch auf konsequent gelebte nicht-religiöse Existenzformen ausgedehnt. Dann gilt erst recht, daß Widersprüchliches als zum gleichen Ziel führend angesehen wird - mit einem Wort: Wir stehen wieder vor der Frage des Relativismus. Man setzt stillschweigend voraus, daß im Grund alle Inhalte gleich gültig sind. Was eigentlich gilt, kennen wir nicht. Jeder muß eben seinen Weg gehen - auf seine Facon selig werden, wie Friedrich II. von Preußen sagte. So steigt über die Heilstheorien der Relativismus unweigerlich durch die Hintertür wieder herein: Die Frage nach der Wahrheit wird aus der Frage der Religionen und aus der Heilsfrage ausgeschieden. Die Wahrheit wird durch die gute Absicht ersetzt; Religion bleibt im Subjektiven, weil das objektiv Gute und Wahre nicht zu erkennen ist. (Fs)
a) Die Ungleichheit der Religionen und ihre Gefährdungen
164b Müssen wir uns damit abfinden? Ist die Alternative zwischen dogmatischem Rigorismus und menschenfreundlichem Relativismus unausweichlich? Ich denke, daß man bei den eben besprochenen Theorien drei Dinge nicht genau genug bedacht hat. Zunächst einmal werden die Religionen (und inzwischen auch Agnostizismus und Atheismus) alle als gleichartig angesehen. Aber gerade das ist nicht der Fall. Tatsächlich gibt es degenerierte und kranke Religionsformen, die den Menschen nicht aufbauen, sondern entfremden: Die marxistische Religionskritik war nicht ganz und gar aus der Luft gegriffen. Und auch Religionen, denen man sittliche Größe und das Unterwegssein zur Wahrheit zuerkennen muß, können streckenweise erkranken. Im Hinduismus (der eigentlich ein Sammelname für vielfaltige Religionen ist) gibt es großartige Elemente, aber auch negative Aspekte - die Verflechtung mit dem Kastensystem; die Witwenverbrennung, die sich aus anfangs symbolischen Vorstellungen herausgebildet hatte; Auswüchse des Saktismus wären zu nennen, um nur ein paar Hinweise zu geben. Aber auch der Islam mit allem Großen, das er darstellt, ist immer wieder in Gefahr, die Balance zu verlieren, der Gewalt Raum zu geben und die Religion ins Äußerliche und Ritualistische abgleiten zu lassen. Und natürlich gibt es auch, wie wir alle nur zu gut wissen, Erkrankungsformen des Christlichen - etwa wenn Kreuzritter bei der Eroberung der Heiligen Stadt Jerusalem, in der Christus für alle Menschen gestorben ist, ihrerseits ein Blutbad unter Moslems und Juden anrichteten. Das bedeutet: Religion verlangt Unterscheidung, Unterscheidung zwischen Gestalten der Religionen und Unterscheidung im Inneren der Religion selbst, auf ihre eigentliche Höhe hin. Mit der Vergleichgültigung der Inhalte und der Idee, daß alle Religionen unterschiedlich und eigentlich doch gleich seien, kommt man nicht weiter. Der Relativismus ist gefährlich, ganz konkret - für die Gestalt des Menschseins im einzelnen und in der Gemeinschaft. Die Absage an die Wahrheit heilt den Menschen nicht. Wieviel Böses in der Geschichte im Namen guter Meinungen und Absichten geschehen ist, kann niemand übersehen. (Fs)
b) Die Heilsfrage
165a Damit berühren wir schon den zweiten Punkt, der gemeinhin vernachlässigt wird. Wenn man von der Heilsbedeutung der Religionen spricht, denkt man erstaunlicherweise meistens nur daran, daß alle das ewige Leben ermöglichen, womit freilich zugleich der Gedanke an das ewige Leben neutralisiert wird, denn man kommt ohnedies dorthin. Aber damit ist die Heilsfrage in einer unangemessenen Weise verkürzt. Der Himmel beginnt auf der Erde. Das Heil im Jenseits setzt das rechte Leben im Diesseits voraus. Also kann man gar nicht einfach fragen, wer in den Himmel kommt und sich damit zugleich der Frage nach dem Himmel entledigen. Man muß fragen, was der Himmel ist und wie er auf die Erde kommt. Die jenseitige Rettung muß sich abzeichnen in einer Lebensform, die den Menschen hier »menschlich« und damit gottgemäß macht. Das bedeutet wiederum, daß man bei der Heilsfrage über die Religionen selbst hinausblicken muß und daß dazu Maßstäbe rechten Lebens gehören, die nicht beliebig relativiert werden können. Ich würde also sagen: Das Heil beginnt im Rechtwerden des Menschen in dieser Welt, das immer die beiden Pole des einzelnen und der Gemeinschaft umfaßt. Es gibt Verhaltensformen, die niemals dem Rechtwerden des Menschen dienen können, und solche, die immer zum Rechtsein des Menschen gehören. Das bedeutet: Das Heil liegt nicht in den Religionen als solchen, sondern es hängt mit ihnen zusammen, sofern und soweit sie den Menschen auf das eine Gute, auf die Suche nach Gott, nach Wahrheit und Liebe bringen. Deshalb trägt die Heilsfrage immer ein religionskritisches Element in sich, wie sie umgekehrt mit den Religionen positiv verknüpft sein kann. In jedem Fall hat sie mit der Einheit des Guten, mit der Einheit des Wahren - mit der Einheit Gottes und des Menschen zu tun. (Fs)
c) Das Gewissen und die Wahrheitsfähigkeit des Menschen
166a Diese Aussage führt zu dem dritten Punkt, den ich hier ansprechen wollte. Die Einheit des Menschen hat ein Organ: das Gewissen. Es war die Kühnheit des heiligen Paulus, die Hörfähigkeit auf das Gewissen bei allen Menschen zu behaupten, die Heilsfrage so von der Erkenntnis und dem Einhalten der Thora zu lösen und sie auf den gemeinsamen Anspruch des Gewissens zu stellen, in dem der eine Gott spricht, der das wahrhaft Wesentliche der Thora einem jeden sagt: »Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab ...« (Rom 2,14f). Paulus sagt nicht: Wenn Heiden sich an ihre Religion halten, ist es gut vor dem Gericht Gottes. Im Gegenteil, er verurteilt den Großteil der religiösen Praktiken jener Zeit. Er verweist auf eine andere Quelle - auf das, was allen ins Herz geschrieben ist, das eine Gute des einen Gottes. Hier stehen sich allerdings heute zwei konträre Gewissensbegriffe gegenüber, die freilich meist einfach ineinander geschoben werden. Für Paulus ist das Gewissen das Organ der Transparenz des einen Gottes in allen Menschen, die ein Mensch sind. In der Gegenwart hingegen erscheint das Gewissen als Ausdruck für die Absolutheit des Subjekts, über das hinaus es im Sittlichen keine Instanz mehr geben kann. Das Gute als solches ist nicht wahrnehmbar. Der eine Gott ist nicht vernehmbar. Was Moral und Religion angeht, ist das Subjekt die letzte Instanz. Das ist logisch, wenn die Wahrheit als solche unzugänglich ist. So ist im neuzeitlichen Gewissensbegriff das Gewissen die Kanonisierung des Relativismus, der Unmöglichkeit gemeinsamer sittlicher und religiöser Maß-stäbe, wie es umgekehrt für Paulus und die christliche Tradition die Gewähr für die Einheit des Menschen und die Vernehmbarkeit Gottes, für die gemeinsame Verbindlichkeit des einen und gleichen Guten gewesen war.1 Daß es zu allen Zeiten »heilige Heiden« gegeben hat und gibt, liegt daran, daß überall und in allen Zeiten - wenn auch oft nur mühsam und stückweise - der Spruch des »Herzens« vernehmbar war, daß uns Gottes Thora in uns selber, in unserem geschöpflichen Wesen als Verpflichtung hörbar wird und uns so möglich ist, das bloß Subjektive zu überschreiten, aufeinander und auf Gott hin. Und das ist Heil. Im übrigen bleibt, was Gott mit den armseligen Bruchstücken unseres Anlaufs auf das Gute, auf ihn selber hin tut, sein Geheimnis, das nachrechnen zu wollen wir uns nicht anmaßen sollten. (Fs)
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