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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Fides et Ratio; Kultur und Wahrheit; Kriterien, Maßstäbe für die Begegnung mit Kulturen: Universalität, Treue zum Erbe, keine Einkapselung

Kurzinhalt: ... das erste Kriterium von selbst: Es besteht in der »Universalität des menschlichen Geistes, dessen Grundbedürfnisse in den verschiedenen Kulturen identisch sind«.1 Daraus folgt zugleich ein zweites Kriterium:

Textausschnitt: 157a Eine Enzyklika, die ganz dem Abenteuer der Wahrheit zugeordnet ist, mußte daher auch die Frage nach Wahrheit und Kultur stellen. Sie mußte fragen, ob es überhaupt eine Kommunion der Kulturen in der einen Wahrheit geben kann - ob Wahrheit sich über ihre kulturellen Gestalten hinweg für alle Menschen auszusagen vermag oder ob sie letztlich immer nur asymptotisch hinter unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen kulturellen Formen zu ahnen ist. (Fs)

157b Einem statischen Begriff von Kultur, der feste Kulturgestalten voraussetzt, die letztlich konstant bleiben und nur nebeneinander stehen, nicht ineinander übergehen können, hat der Papst in der Enzyklika ein dynamisches und kommunikatives Verständnis von Kultur entgegengestellt. Er unterstreicht, daß die Kulturen, wenn sie »tief im Humanen verwurzelt sind ..., das Zeugnis der typischen Öffnung des Menschen für das Universale und für die Transzendenz in sich«1 tragen. Deswegen sind Kulturen als Ausdruck des einen Wesens Mensch gezeichnet von der Dynamik des Menschen, die alle Grenzen überschreitet. Deshalb sind Kulturen nicht ein für alle Mal auf eine Gestalt fixiert; zu ihnen gehört die Fähigkeit zum Voranschreiten und zur Umformung, freilich auch die Gefahr des Verfalls. Sie sind auf Begegnung und gegenseitige Befruchtung hin angelegt. Weil die innere Offenheit des Menschen für Gott sie um so mehr prägt, je größer und je reiner sie sind, deshalb ist ihnen die innere Bereitschaft für die Offenbarung Gottes eingeschrieben. Die Offenbarung ist ihnen nichts Fremdes, sondern sie antwortet auf eine innere Erwartung in den Kulturen selbst. Theodor Haecker hat in diesem Zusammenhang vom adventlichen Charakter der vorchristlichen Kulturen gesprochen,2 und inzwischen haben vielfältige religionsgeschichtliche Untersuchungen dieses Zugehen der Kulturen auf den Logos Gottes, der in Jesus Christus Fleisch geworden ist, auch ganz anschaulich zeigen können.3 Der Papst greift in diesem Zusammenhang die Völkertafel des Pfingstberichtes der Apostelgeschichte (2,7-11) auf, die uns davon erzählt, wie durch alle Sprachen hindurch und in allen Sprachen, das heißt in allen Kulturen, die sich in der Sprache darstellen, das Zeugnis für Jesus Christus vernehmbar wird. In ihnen allen wird Menschenwort Träger von Gottes eigenem Sprechen, von seinem eigenen Logos. Die Enzyklika sagt dazu: »Die Verkündigung des Evangeliums in den verschiedenen Kulturen verlangt von den einzelnen Empfängern das Festhalten am Glauben; sie hindert die Empfänger aber nicht daran, ihre kulturelle Identität zu bewahren. Das erzeugt keine Spaltung, weil sich das Volk der Getauften durch eine Universalität auszeichnet, die jede Kultur aufnehmen kann ...«4

159a Der Papst entwickelt von da aus exemplarisch für das generelle Verhältnis des christlichen Glaubens zu vorchristlichen Kulturen am Beispiel der indischen Kultur Maßstäbe, die bei der Begegnung dieser Kulturen mit dem Glauben zu beachten sind. Er verweist zunächst ganz kurz auf den großen geistigen Aufschwung des indischen Denkens, das um die Freiheit des Geistes von den raumzeitlichen Bedingungen ringt und so die metaphysische Öffnung des Menschen praktiziert, die in bedeutenden philosophischen Systemen dann auch denkerisch gestaltet worden ist.5 Mit diesen Hinweisen wird die universale Tendenz großer Kulturen, ihr Übersteigen von Raum und Zeit und so auch ihr Vorstoßen auf das Sein des Menschen und auf seine höchsten Möglichkeiten deutlich. Darin besteht die Dialogfähigkeit der Kulturen untereinander, in diesem Fall zwischen indischer Kultur und Kulturen, die auf dem Boden des christlichen Glaubens gewachsen sind. So ergibt sich gleichsam aus der inneren Berührung mit der indischen Kultur das erste Kriterium von selbst: Es besteht in der »Universalität des menschlichen Geistes, dessen Grundbedürfnisse in den verschiedenen Kulturen identisch sind«.6 Daraus folgt zugleich ein zweites Kriterium: »Wenn die Kirche mit großen Kulturen in Kontakt tritt, mit denen sie vorher noch nicht in Berührung gekommen war, darf sie sich nicht von dem trennen, was sie sich durch die Inkulturation ins griechisch-lateinische Denken angeeignet hat. Der Verzicht auf ein solches Erbe würde dem Vorsehungsplan Gottes zuwiderlaufen ...«7 Schließlich nennt die Enzyklika einen dritten Maßstab, der aus den bisherigen Überlegungen über das Wesen von Kultur folgt: Man muß sich davor hüten, »den legitimen Anspruch des indischen Denkens auf Besonderheit und Originalität mit der Vorstellung zu verwechseln, eine kulturelle Tradition müsse sich in ihr Verschiedensein einkapseln und sich in ihrer Gegensätzlichkeit zu den anderen Traditionen behaupten; dies würde dem Wesen des menschlichen Geistes widersprechen.«8

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