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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: New Age

Kurzinhalt: Der Ausweg aus dem Dilemma der Relativität wird nun nicht in einer neuen Begegnung des Ich mit dem Du oder dem Wir gesucht, sondern in der Überwindung des Subjekts, in der ekstatischen Rückkehr in den kosmischen Reigen.

Textausschnitt: New Age

102a Der Relativismus von Hick, Knitter und von verwandten Theorien beruht letztlich auf einem Rationalismus, der die Vernunft im Sinne Kants der Erkenntnis des Metaphysischen unfähig erklärt;1 die Neubegründung von Religion erfolgt auf pragmatischem Weg mit mehr ethischer oder mehr politischer Tönung. Es gibt aber auch eine bewußt anti-rationalistische Antwort auf die Erfahrung des »Alles ist relativ«, die unter dem vielschichtigen Titel New Age zusammengefaßt wird.2 Der Ausweg aus dem Dilemma der Relativität wird nun nicht in einer neuen Begegnung des Ich mit dem Du oder dem Wir gesucht, sondern in der Überwindung des Subjekts, in der ekstatischen Rückkehr in den kosmischen Reigen. Ähnlich wie die antike Gnosis weiß sich dieser Weg in völligem Einklang mit allem, was uns Wissenschaft lehrt, und beansprucht, wissenschaftliche Erkenntnis aller Art (Biologie, Psychologie, Soziologie, Physik) auszuwerten. Zugleich aber bietet er auf diesem Hintergrund ein durchaus antirationalistisches Modell von Religion, eine moderne »Mystik« an: Das Absolute ist nicht zu glauben, sondern zu erfahren. Gott ist nicht eine der Welt gegenüberstehende Person, sondern die das All durchwaltende geistige Energie. Religion bedeutet das Einschwingen meines Ich ins kosmische Ganze, die Überwindung aller Trennungen. K. H. Menke charakterisiert die geistesgeschichtliche Wende, die sich hier zuträgt, sehr genau, wenn er sagt: »Das Subjekt, das sich alles unterwerfen wollte, will sich nun in >das Ganze< aufheben.«3 Die objektivierende Ratio - so sagt uns New Age - versperrt uns den Weg zum Geheimnis der Wirklichkeit; das Ich-Sein schließt uns ab von der Fülle der kosmischen Wirklichkeit, es zerstört die Harmonie des Ganzen und ist der eigentliche Grund unserer Unerlöstheit. Die Erlösung liegt in der Entschränkung des Ich, im Eintauchen in die Fülle des Lebendigen, in der Heimkehr ins All. Die Ekstase wird gesucht, der Rausch des Unendlichen, der sich in rauschhafter Musik, in Rhythmus, Tanz, in Raserei des Lichts und des Dunkels, in der Masse Mensch zutragen kann. Hier wird nicht nur der neuzeitliche Weg zur Herrschaft des Subjekts zurückgenommen; hier muß der Mensch - um erlöst zu werden - sich selbst zurücknehmen lassen. Die Götter kehren wieder. Sie sind glaubhafter geworden als Gott. Ur-Riten sollen erneuert werden, in denen das Ich in die Geheimnisse des Alls initiiert und von sich selbst frei gemacht wird. (Fs)

104a Die Erneuerung vorchristlicher Religionen und Kulte, die heute vielfach gesucht wird, hat viele Gründe. Wenn es die gemeinsame Wahrheit nicht gibt, die gilt, eben weil sie wahr ist, dann ist Christentum nur Import von auswärts, ein geistiger Imperialismus, den man nicht weniger abschütteln muß als den politischen. Wenn in den Sakramenten nicht die Berührung mit dem einen lebendigen Gott aller Menschen stattfindet, dann sind sie leere Rituale, die uns nichts sagen und nichts geben, bestenfalls das Numinosum spüren lassen, das in allen Religionen waltet. Dann erscheint es sinnvoller, das ursprünglich Eigene zu suchen, als sich das Fremde und Veraltete auflegen zu lassen. Vor allem aber: wenn die »nüchterne Trunkenheit« des christlichen Mysteriums uns nicht Gottes trunken machen kann, dann muß eben der reale Rausch wirksamer Ekstasen beschworen werden, deren Leidenschaft uns aufreißt und uns wenigstens einen Augenblick zu Göttern macht, uns einen Augenblick die Lust des Unendlichen spüren und den Jammer des Endlichen vergessen läßt. Je mehr die Vergeblichkeit politischer Absolutismen offenkundig wird, desto mächtiger wird die Attraktion des Irrationalismus, die Absage an die Realität des Alltags werden.4 (Fs)

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