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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Glaube - Wahrheit - Toleranz

Stichwort: Kultur, Glaube; multireligiöses - interreligiöses Gebet, Bedingungen

Kurzinhalt: Jede Vermischung von personalem und impersonalem Verständnis, zwischen Gott und den Göttern muß ausgeschlossen sein.

Textausschnitt: 87a Im Zeitalter des Dialogs und der Begegnung der Religionen ist notwendigerweise die Frage aufgestanden, ob man miteinander beten könne. Man unterscheidet dabei heute multireligiöses und interreligiöses Gebet. Das Modell für das multireligiöse Gebet bieten die beiden Weltgebetstage für den Frieden 1986 und 2002 in Assisi an. Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften versammeln sich. Ihnen ist gemeinsam das Leiden unter den Nöten der Welt und ihrer Friedlosigkeit, gemeinsam die Sehnsucht nach Hilfe von oben gegen die Mächte des Bösen, damit Friede und Gerechtigkeit in die Welt kommen können. Daraus folgt die Absicht, ein öffentliches Zeichen dieser Sehnsucht zu setzen, das alle Menschen aufrütteln und den guten Willen stärken soll, der Bedingung des Friedens ist. Die Versammelten wissen aber auch, daß ihr Verständnis des »Göttlichen« und daher ihre Weise, sich ihm zuzuwenden, so verschieden sind, daß ein gemeinsames Beten Fiktion wäre, nicht in der Wahrheit stünde. Sie versammeln sich, um ein Zeichen einer gemeinsamen Sehnsucht zu geben; aber sie beten - wenn auch gleichzeitig - doch an getrennten Orten, je auf ihre Weise. Natürlich heißt »Beten« im Falle eines impersonalen (mit dem Polytheismus häufig verbundenen) Gottesverständnisses etwas ganz anderes als Beten im Glauben an den einen, personalen Gott. Der Unterschied wird sichtbar dargestellt, aber in einer Weise, daß er zugleich wie ein Schrei nach der Heilung unserer Trennungen werden soll. (Fs)

87b Im Anschluß an Assisi -1986 sowohl wie 2002 - ist wiederholt und durchaus in sehr ernsthafter Weise die Frage gestellt worden: Kann man das? Wird nicht doch für die allermeisten eine Gemeinsamkeit vorgetäuscht, die es in Wirklichkeit nicht gibt? Wird so nicht doch der Relativismus gefördert - die Meinung, daß es im Grunde eben nur vorletzte Unterschiede seien, die zwischen den »Religionen« stehen? Und wird damit nicht doch der Ernst des Glaubens geschwächt und so letztlich Gott weiter von uns weggerückt, unser Alleingelassensein verstärkt? Solche Frage darf man nicht leichtfertig beiseite schieben. Die Gefahren sind unleugbar, und daß Assisi, besonders 1986, von vielen falsch ausgelegt wurde, kann man nicht bestreiten. Umgekehrt wäre es aber auch verkehrt, das multireligiöse Gebet im beschriebenen Sinn total und bedingungslos zu verwerfen. Richtig scheint es mir demgegenüber, es an Bedingungen zu knüpfen, die den Erfordernissen der inneren Wahrheit und der Verantwortung einer so großen Sache entsprechen, wie es das offene Rufen zu Gott vor aller Welt nun einmal ist. Ich sehe zwei Grundbedingungen:

1. Solches multireligiöses Beten kann nicht der Normalfall des religiösen Lebens sein, sondern nur als Zeichen in außergewöhnlichen Situationen bestehen, in denen gleichsam ein gemeinsamer Notschrei aufsteigt, der die Herzen der Menschen aufrüttelt und zugleich am Herzen Gottes rütteln soll. (Fs)

2. Ein solcher Vorgang verführt fast zwangsläufig zu falschen Interpretationen, zur Gleichgültigkeit gegenüber dem Inhalt des Geglaubten oder nicht Geglaubten und damit zur Auflösung wirklichen Glaubens. Deswegen müssen - wie unter 1 gesagt - solche Vorgänge Ausnahmen bleiben, deswegen ist vor allem eine sorgsame Klärung dessen, was hier geschieht und nicht geschieht, von höchster Wichtigkeit. Diese Klärung, in der deutlich werden muß, daß es »die Religionen« überhaupt nicht gibt, daß es den gemeinsamen Gottesgedanken und -glauben nicht gibt, daß der Unterschied nicht bloß den Bereich der wechselnden Bilder und Begriffsgestalten, sondern die Letztentscheidungen selbst berührt - diese Klärung ist wichtig, nicht nur für die Teilnehmer des Geschehens selbst, sondern für alle, die Zeugen davon werden oder sonstwie darüber Informationen erhalten. Das Geschehen muß so klar in sich und vor der Welt stehen, daß es nicht zur Demonstration des Relativismus wird, durch den es sich in seinem Sinn selber aufheben würde. (Fs)
88a Während beim multireligiösen Gebet zwar im gleichen Kontext, aber doch getrennt gebetet wird, bedeutet interreligiöses Gebet ein Miteinanderbeten von Personen oder Gruppen mit verschiedener Religionszugehörigkeit. Ist das überhaupt in aller Wahrheit und Redlichkeit möglich? Ich bezweifle es. Jedenfalls müssen drei elementare Bedingungen gestellt werden, ohne deren Beachtung solches Beten zur Glaubensverleugnung würde:

1. Miteinander beten kann man nur, wenn Einmütigkeit darüber besteht, wer oder was Gott ist und darum auch grundsätzlich Einmütigkeit darüber vorliegt, was Beten heißt: ein dialogischer Vorgang, in dem ich zu einem Gott rede, der zu hören und zu erhören vermag. Anders gesagt: Gemeinsames Beten setzt voraus, daß der Adressat und damit auch der auf ihn bezogene innere Akt grundsätzlich gemeinsam verstanden wird. Wie im Fall von Abraham und Melchisedek, von Ijob und Jona muß klar sein, daß man mit dem einen Gott über den Göttern spricht, mit dem Schöpfer des Himmels und der Erde - meinem Schöpfer. Es muß also klar sein, daß Gott »Person« ist, das heißt erkennen und lieben kann; daß er Macht hat, mich zu hören und zu antworten; daß er gut und der Maßstab des Guten ist und das Böse keinen Anteil an ihm hat. Von Melchisedek her können wir sagen, es muß klar sein, daß er der Gott des Friedens und der Gerechtigkeit ist. Jede Vermischung von personalem und impersonalem Verständnis, zwischen Gott und den Göttern muß ausgeschlossen sein. Das erste Gebot gilt gerade auch im eventuellen interreligiösen Gebet. (Fs)

2. Es muß aber - vom Gottesbegriff her - auch ein grundlegendes Einverständnis darüber bestehen, was gebetswürdig ist und was Inhalt »von Gebet werden kann. Als Maßstab dessen, was wir rechtens von Gott erbitten dürfen, um gotteswürdig zu beten, sehe ich die Bitten des Vaterunser an: In ihnen wird sichtbar, wer und wie Gott ist und wer wir selber sind. Sie reinigen unser Wollen und zeigen, mit welcher Art von Wollen wir auf dem Weg zu Gott sind und welche Art von Wünschen uns von Gott entfernt, uns gegen ihn stellen würde. Bitten, die gegen die Richtung der Vaterunser-Bitten stehen, können für einen Christen nicht Gegenstand interreligiösen Betens, überhaupt keiner Art von Beten sein. (Fs)

3. Das Ganze muß so erfolgen, daß die relativistische Mißdeutung von Glaube und Gebet darin keinerlei Anhalt findet. Dieses Kriterium bezieht sich nicht nur auf die Christen, die nicht irregeführt werden dürfen, sondern genauso auch auf die Nicht-Christen, für die nicht der Eindruck einer Austauschbarkeit von »Religionen«, einer vorletzten und daher ersetzbaren Bedeutung etwa des christlichen Grundbekenntnisses entstehen darf. Abwesenheit solcher Irreführung verlangt deshalb auch, daß für den Nichtchristen nicht eine Verdunkelung des Glaubens der Christen an die Einzigkeit Gottes und an die Einzigkeit Jesu Christi, des Retters aller Menschen, folgen darf. Das oben erwähnte Dokument von Bose sagt dazu mit Recht, daß Teilnahme am interreligiösen Gebet nicht unseren Einsatz für die Verkündigung Christi an alle Menschen in Frage stellen darf.1 Wenn der Nichtchrist aus der Teilnahme eines Christen eine Relativierung des Glaubens an Jesus Christus, den einzigen Retter aller, heraushören könnte oder müßte, dann kann solche Teilnahme nicht stattfinden. Denn dann wiese sie in die falsche Richtung, wiese rückwärts statt vorwärts in der Geschichte der Wege Gottes. (Fs)

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